Ensminger: Viel wurde beim gestrigen Treffen und auch schon vorher über eine Verschärfung des Waffenrechts gesprochen. Für Sie als Bildungsministerin im Zusammenhang mit dem Amoklauf zu viel?
Bulmahn: Nicht zu viel, weil die Verschärfung des Waffenrechts aus meiner Sicht notwendig ist und die Vorschläge, die gestern erörtert wurden und wo man sich verständigt hat, es ist die richtige Zielrichtung - die sieben Schritte sollten gemacht werden -, halte ich selber für notwendig. Die Verschärfung des Waffenrechtes ist sicherlich ein wichtiger Schritt, wird aber nicht alle Probleme lösen. Darüber waren sich im übrigen gestern Abend auch alle einig.
Ensminger: Aber bei der Bildungspolitik blieb es ein bisschen schwammig. Haben Sie da nicht Sorge, dass das Thema doch zu wenig beachtet wird?
Bulmahn: In der Bildungspolitik reicht es nicht aus, dass man ein Gesetz ändert. Deshalb muss man in der Bildungspolitik unterscheiden zwischen kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen. Im übrigen muss man genauso auch in der Frage vorgehen, wie erreiche ich eigentlich, dass die gewaltverherrlichenden Darstellungen in unserer Gesellschaft insgesamt, im Fernsehen, über Videos, im Internet, zurückgenommen werden, dass Kinder nicht an Gewalt gewöhnt werden. Auch das war eine Frage, die gestern Abend erörtert worden ist.
Ensminger: Aber was muss denn dann tatsächlich kurz- und langfristig, wie Sie es sagen, getan werden in der Bildungspolitik? Wo sind die konkreten Vorschläge?
Bulmahn: Langfristig müssen Eltern und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Erziehungsfunktion, in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt werden. Kurzfristig muss man sicherlich erreichen, dass zum Beispiel die Frage der Abschlüsse geklärt wird, dass heißt das kein Abiturient, der nicht zum Abitur zugelassen wird oder durchs Abitur fällt, zum Beispiel ohne jeglichen Abschluss dasteht. Das muss kurzfristig geregelt werden. Es ist im übrigen kein Einzelfall, weil das nicht nur für Abiturienten ein Problem darstellt, sondern teilweise auch für andere Schüler, die kurz vor einem anderen Schulabschluss stehen. Was meines Erachtens auch geregelt, geklärt und auch verbessert werden muss - das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt - ist die Sicherung des Informationsflusses. Ich gehe auch darüber hinaus und sage eine Sicherung einer guten Zusammenarbeit zwischen Eltern, Lehrern und Schülern. Das ist nicht nur eine Frage der gesetzlichen Regelung, sondern wirklich eine Frage der Schulkultur. Gerade das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, dass Kinder nicht in eine derartige Krisensituation hineinschlittern und hineingeraten, ohne dass dieses bemerkt wird.
Ensminger: Nun sind viele der Punkte, die Sie angesprochen haben, oder die meisten, wenn es um Abschlüsse an den Schulen geht, Ländersache. Wie wollen Sie denn Einfluss nehmen?
Bulmahn: Es ist Ländersache, aber es geht darum, Probleme zu lösen, und es geht darum, Bewusstsein dafür zu erwecken, wach zu halten, dass es diese Probleme gibt, dass sie gelöst werden müssen. Deshalb glaube ich kommt es gerade in der Bildungspolitik darauf an, dass wir jetzt nicht nur zwei, drei Wochen eine Diskussion über zum Beispiel die Frage haben, wie kann ich diese Zusammenarbeit zwischen Lehrer, Eltern und Schüler stärken, verbessern, was muss dazu getan werden oder wie kann ich Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Eltern besser dazu befähigen, Krisensituationen ihrer Kinder zu erkennen, sie zu lösen, Kinder zu befähigen, Konflikte nicht mit Gewalt auszutragen, sondern sie wirklich lösen zu können, wie kann ich Mitschülerinnen und Mitschüler darin stärken. Ich habe zum Beispiel gemeinsam mit den Ländern ein Programm, wo Mitschülerinnen und Mitschüler zu Schülerlotsen ausgebildet werden, die nicht an der Straße regeln, sondern die zum Beispiel auch Konflikte zwischen ihren Mitschülern und mit Mitschülern regeln können. Das ist also ein ganzes Paket. Mir ist es ganz wichtig, dass dies nicht nur eine einmalige Diskussion bleibt, sondern dass wir einen Rahmen haben, dass wir eine kontinuierliche bildungspolitische Debatte über den Stellenwert von Erziehung und Bildung haben. Da ist gestern Abend überlegt und angeboten sowie diskutiert worden, ob wir zum Beispiel eine große Stiftung gründen, die diese Aufgabe Bildung und Erziehung immer wieder in den Mittelpunkt stellt, zum Hauptthema hat, um damit auch wenn Sie so wollen einen Weg zu haben, um kompetenzübergreifend diese Fragestellungen in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft zu stellen.
Ensminger: Das hört sich aber so an als würde da wieder eine Expertengruppe eingerichtet, die dann viel diskutiert und wahrscheinlich wenig Handlungsmöglichkeiten hat. Wie wollen Sie das in konkrete Vorschläge ummünzen?
Bulmahn: Ich habe ja eben einige konkrete Vorschläge gesagt. Das Problem in den vergangenen Monaten und Jahren war doch, dass diese Ergebnisse zum Beispiel aus den Erkenntnissen, die ich genannt habe, dass wir Schülerinnen und Schüler auch befähigen müssen, dass wir sie auch dafür ausbilden müssen, Konflikte zu erkennen, sie auch selber zu lösen, dass Lehrer diese Ausbildung haben, dass das Gespräch zwischen Eltern und Lehrern geführt werden muss, bekannt sind, dass dies aber auch in der öffentlichen Debatte keinen Stellenwert hatte. Deshalb glaube ich schon, dass es sinnvoll ist, wenn man eine Einrichtung hat, die genau diese öffentliche Debatte führt, und zwar nicht nur im Rahmen eines Landes, sondern eine gesellschaftliche Debatte. Es ist ja auch nicht nur eine Frage von Bildungspolitik; es ist eine Frage, wie wir selber mit Kinder umgehen, welcher Stellenwert Bildung und Erziehung zugemessen wird und zwar von allen.
Ensminger: Jetzt haben Sie vorgeschlagen, man sollte eine "task force" bilden, die sich gegen Gewalt an Schulen richtet. Ist das genau das, was dort beinhaltet sein muss, was Sie gerade formuliert haben?
Bulmahn: Das muss sicherlich eine Aufgabe, eine Sache sein, eine wichtige Aufgabe, dass man genau diese kurzfristigen Überlegungen durchführt, was kann man gegen Gewalt tun, weil wir aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen, dass Gewalt zugenommen hat. Dieser ganze Themenkomplex Bildung und Gewalt wird im übrigen noch einmal ein Gespräch der nächsten Runde zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung im Juli sein, sicherlich auch, weil man wie gesagt einfach nur drei Gesetzesänderungen nennen kann, wie es im Waffenrecht möglich ist, sondern weil hier einfach mehr zusammenarbeiten müssen. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass dieses Thema jetzt mit als Schwerpunkt in der nächsten Runde noch einmal ausführlich erörtert wird.
Ensminger: Sie haben die Weiterbildung von Lehrern auch schon angesprochen. Das ist eine Sache, die sicherlich sehr, sehr wichtig ist. Das hat man jetzt auch gesehen. Aber da sind natürlich auch Finanzierungsprobleme, die dann ins Spiel kommen. Wie wollen Sie das lösen?
Bulmahn: Das ist weniger ein Finanzierungsproblem, viel, viel weniger.
Ensminger: Aber auch eins!
Bulmahn: Da will ich widersprechen. Wir haben in allen Ländern zum Beispiel Lehrerfortbildungseinrichtungen. Wir haben Hochschulen, die sich mit Lehrerfortbildung beschäftigen, an denen im übrigen auch Forschung betrieben wird über Konfliktlösungsursachen. Wir haben Forschungsinstitute. Mit einem habe ich zum Beispiel dieses Modell der Schülerlotsen, Schülermediatoren durchgeführt. Es ist nicht eine Frage des Geldes, sondern es ist wirklich die Frage, dass ich das Bewusstsein dafür schaffe, dass solche erfolgreichen Wege nicht nur in einzelnen Schulen beschritten werden dürfen, sondern dass sie an allen Schulen beschritten werden.
Ensminger: Da schieben Sie aber ein ganz klein wenig die Verantwortung den Ländern zu?
Bulmahn: Nein, ich schiebe nicht die Verantwortung den Ländern zu, sondern wir haben gerade durch diese Programme, durch diese Ansätze gezeigt, wie man ein besseres Klima, ein besseres Lernklima, ein besseres Schulklima, ein gewaltfreies Klima an Schulen herstellen kann. Es reicht aber nicht aus, wenn dieses an 10 oder an 50 Schulen gemacht wird, sondern es kommt darauf an, dass es an den 30000, 35000 Schulen gemacht wird. Das kann ich allerdings als Bundesministerin nicht verordnen, sondern dieses müssen die Länder tun. Aber das Bewusstsein dafür zu schaffen, die Verabredung dafür zu treffen, dass dieses getan wird, das halte ich für zwingend notwendig.
Ensminger: Also eine dringende Aufforderung an die Länder?
Bulmahn: Richtig!
Ensminger: Vielen Dank! - So weit Edelgard Bulmahn, Forschungs- und Bildungsministerin sowie SPD-Präsidiumsmitglied. Danke fürs Gespräch!
Link: Interview als RealAudio