Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Kinder und Corona
Infektiologe: Kinder haben oft milde Krankheitsverläufe

Bei Kindern könne das Coronavirus teils über sechs Wochen nachgewiesen werden, sagte der Infektiologe Johannes Hübner im Dlf. Vermutlich seien sie aber nicht sechs Wochen lang ansteckend. Kinder hätten zudem häufig sehr milde Krankheitsverläufe, leider gebe es davon aber auch Ausnahmen.

Johannes Hübner im Gespräch mit Lennart Pyritz | 07.04.2020
Ein Erwachsener und ein Kind waschen sich zuhause am Waschbecken die Hände.
Nach aktuellem Wissenstand sind Kinder deutlich weniger gefährdet als Erwachsene (imago/Panthermedia)
In der vergangenen Woche ist im US-Bundesstaat Connecticut offenbar ein Säugling an einer Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben. Auch aus Frankreich, Belgien oder Großbritannien gibt es einzelne Berichte über den Tod von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit COVID-19.
In der Vergangenheit wurden Infektionen bei Kindern allerdings meist nur mit milden Symptomen in Verbindung gebracht – als Risikogruppe gelten sie nicht. Über den aktuellen Forschungsstand dazu, wie Säuglinge, Kinder und Jugendliche auf das neue Coronavirus reagieren, haben wir mit Johannes Hübner gesprochen. Er ist leitender Infektiologe an der Kinderklinik der LMU München.

Lennart Pyritz: Sind die Fallberichte zu schwer und tödlich verlaufenden Infektionen bei Kindern eine Folge der sprunghaft gestiegenen Infektionszahlen weltweit? Oder ist die Krankheit auch für sehr junge Menschen mitunter gefährlicher als gedacht?
Johannes Hübner: Das lässt sich aufgrund von diesen Medienberichten sehr schlecht beurteilen. Da sind normalerweise sehr wenig Informationen. Es ist nur irgendwie ein Bericht, dass ein Dreijähriger oder ein 16-Jähriger in einer Region, in einer Stadt gestorben ist.
Dazu bräuchten wir sehr viel mehr Informationen: Hat dieses Kind zusätzliche Erkrankungen gehabt? Was war die eigentliche Todesursache? War das Kind möglicherweise nur mit dem Coronavirus besiedelt? Diese Aussagen kann man, glaube ich, anhand von diesen Presseberichten nicht treffen.
"Durchgehend hatten Kinder eigentlich sehr milde Verläufe"
Pyritz: Es gab aber auch einige wissenschaftliche Studien, vor allem von chinesischen Mediziner-Teams, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden, wo es auch zumindest am Rande um die Auswirkungen einer Coronainfektion für Kinder und Säuglinge ging. Haben die neue Erkenntnisse gebracht, dass das Virus oder die Infektion unter Umständen gefährlicher sein kann für Kinder und Jugendliche, als bisher gedacht?
Hübner: Viele von diesen größeren Studien aus China oder auch aus Südkorea haben Tausende, zum Teil zigtausende von Patienten untersucht, und dabei erscheinen Kinder in Tabellen als bestimmte Altersgruppe, ohne dass jetzt da auf die Gründe für eine Hospitalisierung oder auch für den Tod von einem Kind genauer eingegangen wird. Daraus kann man wenig entnehmen.
Es gibt andere Studien, auch aus China. Das sind aber dann meistens sehr kleine Fallberichte. Da wird dann mal über sechs oder über neun Kinder berichtet. Und da ist es durchgehend eigentlich so gewesen, dass diese Kinder, die da berichtet worden sind, sehr milde Verläufe haben.
Das haben wir im Prinzip eigentlich bisher auch so gesehen, wobei je mehr man darauf aufmerksam wird, je mehr Leute sich auch darauf konzentrieren, desto mehr sieht man natürlich auch schwere Verläufe.
Pyritz: Sie haben ja die Kinder eines Webasto-Mitarbeiters in Bayern auch untersucht, die selbst infiziert waren. Haben Sie diese Kinder bis heute weiter verfolgt?
Hübner: Ich habe mit den Kollegen gesprochen, die diese Kinder auch noch mal weiter verfolgt und weiter gesehen hatten, und was ich Ihnen da berichten kann ist, dass diese Kinder alle komplett symptomlos sind: Wobei, was ganz auffällig war: Diese Kinder hatten zum Teil nur kurz, eines auch gar nicht, dieses Virus im Respirationstrakt nachgewiesen. Aber die hatten das alle im Stuhl und bei den Folgeuntersuchungen, die da gemacht worden sind, hatten diese Kinder über einen langen Zeitraum auch noch Nachweise von Virus RNA im Stuhl bis zu sechs Wochen. Das scheint, bei Kindern anders zu sein als bei Erwachsenen, dass sie sehr lange Träger dieser Viren sein können.
Corona-Pandemie: ​Wie Deutschland zur Normalität zurückkehren könnte
Noch mindestens bis zum 20. April befindet sich Deutschland im Corona-Stillstand. Doch bereits jetzt planen die Fachleute den Ausstieg. Welche Szenarien spielen dabei eine Rolle – und welche Risiken sind damit verbunden?
Pyritz: Sind die Kinder auch noch Überträger? Gibt es dazu auch schon neue Anhaltspunkte?
Hübner: Genau. Das ist natürlich die ganz entscheidende und wichtige Frage. Das haben die Kollegen hier bei uns auch versucht, die Virologen, die da beteiligt waren, und es ist nie gelungen, bei einem von diesen Kindern ein replikationsfähiges Virus im Stuhl nachzuweisen.
Es war letzten Endes immer die genetische Information des Virus da, aber kein Virus, was man dann zum Beispiel in einer Zellkultur hätte vermehren können, und das stellt natürlich die Frage, sind diese Kinder dann auch infektiös. Wahrscheinlich nicht. Was wir bisher sagen können, denke ich, dass diese Kinder nicht mehr infektiös waren, aber ganz sicher kann man das natürlich auch nicht sagen.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Pyritz: Es gibt ja inzwischen immer mehr Infektionen auch in Deutschland. Haben Sie auch unabhängig von diesen ersten infizierten Kindern noch andere erkrankte Kinder und Jugendliche in der Klinik gesehen, die neue Rückschlüsse auf den Verlauf der Krankheit bei Kindern zulassen?
Hübner: Wir haben jetzt auch die ersten Kinder bei uns in der Klinik gesehen, und da ist wirklich alles bisher dabei gewesen – von ganz milden Verläufen beziehungsweise wo kein Mensch daran gedacht hat. Das war in einem Fall ein Screening. Wir hatten ein Kind, was wir aufnehmen wollten, am Tag vorher einbestellt und da war der Virusnachweis dann positiv. Aber bis auch hin zu schweren Verläufen bis hin zur Intensivstation – auch das haben wir gesehen.
"Drei Kinder in ganz Deutschland liegen auf einer Intensivstation"
Pyritz: Ich weiß nicht, wie viele Fälle das jetzt sind, aber lassen sich da auch schon irgendwelche Rückschlüsse ziehen, wann es bei Kindern eher zu einem schweren Verlauf kommt und wann es ein milder Verlauf ist?
Hübner: Wir haben inzwischen deutschlandweit ein Meldesystem eingerichtet. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie hat ein Online-Meldesystem eingerichtet, wo beteiligte Kliniken real time die Informationen im Computer eingeben können. Da haben wir eigentlich eine ganz gute Vorstellung, wie viele Fälle wir im Moment in Deutschland haben. Da sieht es folgendermaßen aus: Da sind bisher 21 Kliniken beteiligt.
Wir haben 33 Kinder zum jetzigen Zeitpunkt, die stationär aufgenommen sind. Drei Kinder in ganz Deutschland liegen auf einer Intensivstation und bei diesen 33 stationären Aufnahmen sind auch fünf Neugeborene innerhalb der ersten 28 Lebenstage dabei.
Johannes Hübner ist stellvertretender Direktor des Uniklinikums der Münchner LMU
Johannes Hübner ist stellvertretender Direktor des Uniklinikums der Münchner LMU (LMU)
Pyritz: Lässt diese Aufschlüsselung oder diese Aufzählung dieser Daten dann auch Rückschlüsse darauf zu, welche Kinder oder wann Kinder eher unter schweren Verläufen leiden?
Hübner: Das ist jetzt natürlich bei drei Fällen schwer zu sagen. Der Fall, den wir jetzt konkret betreuen auf der Intensivstation, das ist ein Kind, was eine ganze Reihe von Risikofaktoren auch hat. Das wäre jetzt sicher ein per se auch gefährdetes Kind gewesen.
Pyritz: Aber das heißt, da lassen sich aufgrund der Datenlage noch keine statistisch wirklich haltbaren Aussagen machen?
Hübner: Noch keine klar erkennbaren Risikofaktoren, wo man sagen würde, Lungenerkrankungen oder Herzerkrankungen oder Erkrankungen des Immunsystems prädisponieren besonders.
Pyritz: Sie haben eben schon erwähnt, dass auch Säuglinge dabei sind. In den vergangenen Wochen gab es auch zwei Studien zur Übertragung des neuen Coronavirus von Müttern auf ihr ungeborenes Kind im Mutterleib. Eine hat keine Hinweise auf diese sogenannte vertikale Übertragung des Virus im Mutterleib gefunden, die andere Studie schon. Das ist allerdings auch nur ein einziger Fall. Wie schätzen Sie in dieser Hinsicht das Risiko ein, Übertragung des Virus von einer infizierten Mutter auf das ungeborene Kind?
Hübner: Ich glaube, dass wir bisher noch keinen Hinweis darauf haben. Diese eine Studie, die so was postuliert hat, hat letzten Endes bei dem Kind kein Virus selber nachweisen können, sondern nur Antikörper – Antikörper, von denen man annimmt, dass sie das Kind gebildet hat. Aber das ist, glaube ich, eine schwierige Interpretation. Ich denke, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine belastbaren Daten haben, die zeigen, dass das Virus von der Schwangeren auf das Neugeborene übertragen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.