
Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) möchte an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz per Gesetz eindämmen und hat dazu Punkte für einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die neuen Regelungen sollen die bisherigen freiwilligen Selbstverpflichtungen ablösen. Davor müssen sie allerdings in der Bundesregierung weiter abgestimmt werden. Auch wenn SPD, FDP und Grüne solche Werbebeschränkungen grundsätzlich im Koalitionsvertrag vereinbart haben, befürworten nicht alle Özdemirs Pläne.
Wie soll das Werbeverbot aussehen?
Konkret geht es um ein Werbeverbot von Lebensmitteln, die zu viel Zucker, Fett oder Salz beinhalten. Als Messlatte hierfür sollen Nährwertprofile der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen. Ausgenommen sind laut Ministerium Werbung für Milch und Obstsäfte.
Von 6 Uhr morgens bis 23 Uhr soll Werbung für ungesunde Lebensmittel verboten werden, wenn sie sich an Kinder unter 14 Jahren richtet, egal ob im Fernsehen, Radio oder im Internet. Damit sind auch Anzeigen vor Youtube-Videos, Influencer-Marketing oder an Kinder gerichtete Spots bei Übertragungen von Fußballspielen im Fernsehen eingeschlossen.
Daneben möchte Özdemir auch Werbung im direkten Umfeld von Schulen, Kitas, Spielplätzen und Sportvereinen regulieren. Hier soll eine Bannzone von 100 Metern für Plakatwerbung für ungesunde Snacks, die an Kinder gerichtet ist, gelten.
Was es hingegen nicht geben soll, ist ein allgemeines Werbeverbot oder gar ein Verbot ungesunder Lebensmittel.
Was spricht für ein Werbeverbot?
Bundesernährungsminister Özdemir begründete das geplante Gesetz mit einer Schutzverpflichtung Kindern gegenüber. Diese seien besonders empfänglich für Werbung und könnten diese darüber hinaus oft noch nicht als solche erkennen. Dem gegenüber stehe das große Problem, dass viele Kinder und Jugendliche übergewichtig seien, was mit erhöhten gesundheitlichen Risiken behaftet sei.
Unterstützung bekommt Özdemir von Parteikolleginnen und vom Koalitionspartner SPD: Oft beginne eine chronische Krankheit in der Kindheit, ungesunde Ernährung sei häufig der Anfang, sagte etwa Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gegenüber der dpa. Grünen-Politikerin Renate Künast wies auf hohe gesellschaftliche Kosten von Krankheiten hin.
Auch Gesundheits- und Verbraucherexperten begrüßten die Pläne. Ein Bündnis aus 40 Verbraucherschützern, Ernährungs- und Kinderschutzorganisationen sowie den größten deutschen Krankenkassen hatte schon im November 2022 ein solches Verbot von Werbung gefordert. Freiwillige Regeln hätten keinen Erfolg gezeigt.
Einer der Experten ist Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit und Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährung an der Kinderklinik der Universität München. Er bezeichnete die aktuellen Werbe-Regelungen
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als „unerträglich“. So entspreche beispielsweise ein Großteil der im Fernsehen beworbenen Lebensmittel für Kinder nicht den WHO-Kriterien für eine gesunde Ernährung. „Die Datenlage ist klar: Werbung erhöht den Verzehr ungesunder Lebensmittel und führt zu mehr Übergewicht und Adipositas“, so der Mediziner. Der Einfluss der Werbung dürfe nicht unterschätzt werden, auch wenn daneben natürlich noch andere Faktoren eine Rolle spielten.
Ähnlich sieht es Barbara Bitzer von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). In vielen Studien sei belegt, dass Werbung wirke und besonders bei Kindern Präferenzen fördere. Sie sprach
im Dlf Kultur
angesichts der Pläne Özdemirs von einem „Meilenstein der Kindergesundheit“.
Was spricht gegen ein Werbeverbot?
Aus der Lebensmittelwirtschaft, von der Opposition und auch von der mitregierenden FDP kam Kritik an Özdemirs Plänen. So lehnt etwa Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, das geplante Werbeverbot ab. Sollten die Regelungen tatsächlich so kommen, würde das laut Verband mehr als 70 Prozent der Produkte betreffen.
Auch der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft kritisierte die Pläne als „untauglich“. Das Problem müsse ganzheitlicher betrachtet werden, statt es „monokausal mit Werbeverboten zu lösen“, heißt es in einem Pressestatement. Werbung diene zudem an vielen Stellen der Refinanzierung von Medien und Sport.
Außerdem bemängelt der Verband die Kriterien für ungesunde Lebensmittel. Hierzu kommt auch Kritik vom Koalitionspartner FDP: Bei der Einstufung von Lebensmitteln in gesund und ungesund seien die WHO-Grenzwerte in der Praxis nicht umsetzbar und hätten deshalb auch nicht den Weg in den Koalitionsvertrag gefunden, sagte FDP-Politikerin Carina Konrad gegenüber „Welt“.
Die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU/CSU, Gitta Connemann (CDU), ärgert sich indes über „Bevormundung pur“. Nicht Werbung sei das Problem, sondern übermäßiger Konsum.
Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen - Wie groß ist das Problem?
Knapp über 15 Prozent der drei bis 17-Jährigen in Deutschland sind nach einer Studie des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2018 übergewichtig, fast sechs Prozent gelten als adipös. Mögliche Folgen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Gelenkprobleme und Depressionen. Hinzukommt laut Bundesgesundheitsministerium, dass in der Kindheit entwickeltes Übergewicht oft ein Leben lang beibehalten werde.

Die Ursachen für Übergewicht sind laut RKI vielfältig: Neben dem Medienkonsum spielen zahlreiche Faktoren wie Verpflegung in Kitas, Lebensmittelkosten, der sozioökonomische Status der Familie und Kinderarmut, das Verhalten der Eltern und vor allem auch Bewegung eine entscheidende Rolle.
Und auch die Corona-Pandemie hatte hier einen Einfluss. Den Ergebnissen einer Elternumfrage aus dem Mai 2022 nach hat sie sich negativ auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten ausgewirkt. Demnach bewegte sich fast die Hälfte der Kinder weniger, ein Viertel konsumierte mehr Süß- und Knabberwaren. Insgesamt 16 Prozent sind dadurch dicker geworden, bei den Zehn- bis Zwölfjährigen sogar jeder Dritte.
Zudem hätten sich soziale Unterschiede noch verstärkt, so Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der TU München, im Dlf. Er hält es für zwingend erforderlich gegenzusteuern, ansonsten komme eine neue und folgenschwere „Epidemie von Erkrankungen“ auf die Gesellschaft zu, die mit Übergewicht und Fettleibigkeit in Zusammenhang stehen.
Welche Ideen, das Problem anzugehen, gibt es noch?
Um Wege zu einer gesünderen Ernährung wird seit langem gerungen. Da die Ursachen für Übergewicht bei Kindern so divers sind, sind auch die Lösungsansätze vielfältig – da sind sich eigentlich alle Experten einig.
Die Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands Ramona Pop, betonte im Dlf, dass eine klare Werberegulierung nur ein Baustein in einer breiten Palette an Maßnahmen sei, um ein gesundes Aufwachsen von Kindern zu fördern: „Es braucht mehr Bewegung natürlich. Es braucht gesundes Essen in Kitas und Schulen beispielsweise, das ist ja auch noch ein weiter Weg. Aber es braucht auch eben diese klare Werberegulierung“, so Pop gegenüber dem Dlf.
Ähnlich sieht es Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der TU München. Neben Werbebeschränkungen schlägt er eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse und eine Zuckersteuer vor.
„Fasst natürlich bei uns niemand an. Aber es gibt inzwischen weit über 40 Länder weltweit, die das eingeführt haben wie zum Beispiel England. Sie haben das wirklich clever gemacht, der Industrie auch Zeit gelassen, ihr Produktportfolio zu ändern. Und der Konsum von Zucker über zuckerhaltige Getränke ist dort wirklich signifikant gesenkt worden“, so Hauner im Dlf.
Neben den präventiven Maßnahmen müsse auch den bereits übergewichtigen Jugendlichen geholfen werden, beispielsweise mit frühen Adipositas-Therapien und Kostenübernahmen durch die Krankenkassen.
Quellen: dpa, kna, Panajotis Gavrilis, Volker Mrasek, WHO, RKI, ikl