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"Kinder werden zum Einkommensfaktor für die Eltern"

Der Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) ist der Überzeugung, dass die Regierungskoalition mit der Einführung des Betreuungsgeldes vielen Kindern aus sozial schwachen Familien einen Bärendienst erweist. Man müsse in Schulen und Betreuungsangebote investieren, nicht den Geldtransfer auf das Konto der Eltern erhöhen.

Heinz Buschkowsky im Gespräch mit Gerwald Herter | 28.10.2009
    Gerwald Herter: Union und FDP haben in Rekordzeit ihren Koalitionsvertrag ausgehandelt. Einiges soll in Arbeitsgruppen weiter diskutiert werden, anderes betrifft auch Länder und Kommunen, Steuerentlastungen zum Beispiel. Angesichts einer nicht gerade komfortablen Mehrheit im Bundesrat wird es der schwarz-gelben Koalition schwer fallen, sich über die Einwände der CDU-Ministerpräsidenten zumindest einfach hinwegzusetzen. Neben Ländern sind auch Städte, Gemeinden oder Bezirke von den Koalitionsplänen betroffen. Neukölln gilt ohnehin schon als Berliner Problembezirk. Mit dem Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) bin ich nun verbunden. Guten Morgen, Herr Buschkowsky.

    Heinz Buschkowsky: Guten Morgen!

    Herter: Herr Buschkowsky, haben Union und FDP Vereinbarungen zu Lasten Dritter, zu Lasten der Kommunen getroffen?

    Buschkowsky: Ja, mit Sicherheit, aber sie haben vor allen Dingen Vereinbarungen zu Lasten der Schwächsten getroffen, nämlich der Kinder.

    Herter: Ab 2013 sollen Eltern, die ihre Kinder ab dem Alter von drei Jahren zu Hause betreuen, monatlich 150 Euro erhalten. Sie kritisieren dieses Betreuungsgeld heftig, obwohl man doch sagen muss, damit werden Familien unterstützt. Was ist schlecht daran?

    Buschkowsky: Weil wir einen Großteil von Eltern haben, die erziehungsüberfordert oder erziehungsunwillig sind. Wir haben nun mal eine Schicht, egal ob Sie sie deutsche Unterschicht nennen, ob Sie sie migrantische Unterschicht nennen, die einfach für die Kinder, für ein Hineinwachsen in die Gesellschaft eine Gefahr darstellen. Und wir waren uns eigentlich bisher alle einig, wenn wir den Kindern, die im Milieu aufwachsen, wirklich Chancengleichheit angedeihen lassen wollen, dass wir dann in die vorschulische Erziehung investieren müssen, also sie quasi herausholen. Wir haben immer gesagt, komm, gib dein Kind in den Kindergarten, hier lernt es mit anderen Kindern, hier kann es auch auf die Schule vorbereitet werden. Jetzt zurück - Marsch, Marsch - ins Familienbild der 1950er-Jahre, Mutti hütet den Herd und die Kinder. Deswegen nennt man das ja auch Herdprämie im Jargon. Jetzt sagen wir, bleib zu Hause, mach deine Wohnungstür zu, du kriegst dafür noch eine Prämie. Wie werden sich wohl genau diese Eltern, wo das Geld nicht bei den Kindern ankommt, bei der Frage entscheiden: Willst du 200 Euro für den Kindergarten zahlen, oder willst du für deine zwei Kinder 300 Euro kassieren? Wie werden sie wohl entscheiden? So ist nun mal der Mensch und den Kindern dient das gar nicht und wir finanzieren weiter Eltern, statt in die Kinder zu investieren. Deswegen sage ich, das ist rückwärts gewandt, das wird auch der Integration einen Bärendienst erweisen.

    Herter: Also ganz konkret: was würde in diesen Problemfamilien, die Sie auch kennen, passieren, wenn die Eltern monatlich 150 Euro für ihr Kind bekommen?

    Buschkowsky: Dort, wo wir vom Milieu sprechen, dort wird das Geld in Statussymbole fließen. Das Geld wird in den Konsum fließen, es wird auch durch die Kehle gehen, es wird in das heimatliche Dorf fließen. Es wird mit dem Geld alles Mögliche passieren, nur es wird nicht der Beitrag für die Musikschule bezahlt werden, oder für den Sportverein. Das wissen wir aus der Arbeit des Jugendamtes jeden Tag.

    Herter: Aber da gibt es doch ein Gerechtigkeitsproblem. Wer Kinder zu Hause erzieht, darf doch dafür nicht bestraft werden, oder wollen Sie das?

    Buschkowsky: Nein, ich will ja niemand bestrafen. Ich will ja, dass die Kindergärten und die Vorschulerziehung kostenlos ist. Jeder kann sein Kind da hingeben, jeder sollte sein Kind da hingeben. Mit der Kindergelderhöhung von 20 Euro, die jetzt wieder beschlossen ist, können sie die gesamte Vorschulerziehung für alle Kinder in der Bundesrepublik Deutschland kostenfrei machen. Das wäre mal eine strukturpolitische Entscheidung zugunsten der Kinder in diesem Land, zugunsten der Bildung in diesem Land. Die Kanzlerin sagt, sie will eine Bildungsrepublik. Mit dem Betreuungsgeld stabilisiert sie und zementiert sie die Unterschichten und damit holen wir die Kinder nicht aus dem Milieu.

    Herter: Sind Sie gegen die geplante Kindergelderhöhung?

    Buschkowsky: Ich würde die Kindergelderhöhung so nicht machen. Ich würde das Geld in die Vorschulerziehung stecken und das für alle kostenlos in der Bundesrepublik Deutschland machen, übrigens wie alle anderen OECD-Staaten. Wir wenden das meiste Geld auf in der Familienpolitik, aber wir sind in der Nachhaltigkeit so gut wie an letzter Stelle von den OECD-Staaten, weil alle anderen Länder investieren in Kindergärten, in Ganztagsschulen, in Sozialarbeiter in den Schulen, in die Lehrer und in das Essen in der Schule. Viele Kinder bei uns, die zur Schule kommen, haben ja noch nicht mal was zu beißen. In die Kinder müssen wir investieren und nicht den Geldtransfer auf das Konto der Eltern erhöhen. Wir machen im Übrigen damit auch die Transferzahlungen immer attraktiver. Kinder werden zum Einkommensfaktor für die Eltern und das kann nicht gut gehen.

    Herter: Sie sprechen für Neukölln, selbstverständlich, das ist ja klar. Aber ist das nicht ein Sonderfall? In Schwarzwaldgemeinden zum Beispiel sieht es ja mit der Kinderbetreuung ganz anders aus. Müsste man eine differenzierte Lösung finden?

    Buschkowsky: Ich glaube, dass es ganz, ganz viele Neuköllns gibt und in den Groß- und Mittelstadtlagen sind die Verhältnisse nicht anders, wie ich aus meinen Besuchen in anderen Städten weiß. Die heile Welt, bei uns ist alles in Ordnung und bei uns gibt es keine Probleme, das ist eine Lebenslüge in vielen Bereichen heute schon, auch in den Flächenländern. Schauen Sie sich mal die explodierenden Kosten für die Hilfen zur Erziehung in den Jugendämtern an. Dann wissen Sie, wie die gesellschaftliche Realität bei uns ist.

    Immer mehr Eltern ziehen sich zurück, immer mehr Eltern sagen, was geht das mich an, das soll der Staat mal regeln. Ich will damit niemandem zu nahe treten, der sich liebevoll um die Kinder kümmert. Davon gibt es genug. Aber wir haben einen Aufwuchs der Subkulturen, wir haben einen Aufwuchs der Unterschichten und das lösen wir nicht, indem wir immer mehr Geld in den Transfer stecken.

    Herter: Herr Buschkowsky, gibt es denn irgendwas, was im Koalitionsvertrag steht, was Sie auch für positiv halten, dem Sie zustimmen können?

    Buschkowsky: Mir fehlen eigentlich die Strukturentscheidungen. Es ist eine Geschenkeverteilung, Kindergeld, Betreuungsgeld. Bei den Jobcentern wird nicht das Recht vereinfacht, sondern man sagt, wir zerschlagen die einfach mal wieder und nehmen sie auseinander. Das löst erst mal einen millionen- und abermillionenschweren Bürokratieschub aus. Wir schaffen wieder die alten Sozialämter an. Das ist aus meiner Sicht nicht zukunftsgewandt. Aber Sie haben mich gefragt und da kann ich nur sagen, als Kommunalpolitiker sehe ich im Moment, dass wir die Zeche bezahlen und dass das Leben nicht einfacher wird.

    Herter: Die Koalitionsbeschlüsse und die Wirklichkeit des Berliner Bezirks Neukölln. Das war Heinz Buschkowsky, der Bezirksbürgermeister von Neukölln, im Deutschlandfunk. Vielen Dank.