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Kinderbücher
Die Rückkehr der Kinderbande

Ob Erich Kästners "Emil und die Detektive", Louis Pergauds "Krieg der Knöpfe", Kurt Helds "Die rote Zora und ihre Bande", "Vorstadtkrokodile" von Max von der Grün oder Cornelia Funkes "Herr der Diebe" – es sind die Kinder, die im Großen wie im Kleinen ihr Leben trotz aller Probleme selbstbestimmt in die Hand nehmen. Die Kinderbande feiert in den aktuellen Kinderbüchern ihre Rückkehr.

Von Karin Hahn | 29.03.2014
    Ob Erich Kästners "Emil und die Detektive", Louis Pergauds "Krieg der Knöpfe", Kurt Helds "Die rote Zora und ihre Bande", "Vorstadtkrokodile" von Max von der Grün oder Cornelia Funkes "Herr der Diebe" – es sind die Kinder, die im Großen wie im Kleinen ihr Leben trotz aller Probleme selbstbestimmt in die Hand nehmen. Die Kinderbande feiert in den aktuellen Kinderbüchern ihre Rückkehr.
    Nina Weger, Frank Maria Reifenberg, Gina Mayer, Antje Herden und Katarina Mazetti erzählen in ihren aktuellen Büchern von Kindern, die Freiheit und Eigenständigkeit in einer Gemeinschaft entdecken dürfen.
    Sicher waren sie nie weg, die Banden in der Kinderliteratur, aber auffällig ist doch, dass immer mehr Autoren sie wieder für sich entdecken. Dabei ist für viele Mädchen und Jungen heutzutage die Zeit der unbeaufsichtigten Kindheit längst vorbei. Ihr Leben ist durch den stressigen Schulalltag und diverse Freizeitaktivitäten Tag für Tag durchgetaktet. Wenn sich Kinder heute verabreden, dann spielen sie meistens zu zweit.
    Kinderbanden, die sich am Nachmittag spontan zusammenfinden, sind selten, wie überhaupt das Spiel auf der Straße. Und so entdecken Leser im Alter von neun bis zwölf Jahren ihre Lust am Abenteuer und erwachtem Freiheitsdrang wohl eher zwischen zwei Buchdeckeln. Auch der Kölner Autor Frank Maria Reifenberg hatte beim Schreiben seiner "Schattenbande" etwas nachzuholen.
    "Beim Schreiben schwingt natürlich immer ein bisschen die Sehnsucht nach der eigenen Kindheit oder Vergangenem mit, und beim Schreiben einer Kinderbande für mich schwingt ein bisschen mit, dass ich keine hatte. Ich war eigentlich nie Teil von so einer Bande oder einer Clique also in der Kindheit, in der Jugend schon etwas mehr und natürlich holen wir Autoren alle mit unseren Büchern und Geschichten ein bisschen was nach."
    "Wir waren immer eine große Horde von Kindern. Ich selber habe drei jüngere Geschwister und wir waren am Wochenende immer gemeinsam unterwegs. Wir haben ein Wochenendhaus, wir durften Freunde mitnehmen, wir hatten dort Ponys und sind morgens immer in den Wald geritten und spät nachmittags wiedergekommen. Wir waren schon sehr frei und wild mit einer Kinderbande unterwegs, doch das kann man sagen. Ich glaube, dass man gerade als Kind, wenn man einfach den Einflüssen der Erwachsenenwelt sehr schutzlos ausgeliefert ist, sich immer wünscht, gemeinsam mit Gleichgesinnten gestärkt als Bande aufzutreten."
    ... erzählt Nina Weger. In ihrem Kinderbuch "Ein Krokodil taucht ab" sind die Hauptfiguren der 86 cm lange Mississippi-Alligator Orinoko, sein Freund, der zehnjährige Paul, und eine Kinderbande, die tief in der Kanalisation ihr Zuhause gefunden hat. Als Pauls alleinerziehender Vater, ein erfahrener Zoologe, sich in die Sängerin Katharina verliebt und sie zu ihnen zieht, verändert sich alles. Paul kann nicht fassen, dass er nun sein Reptilienzimmer für Katharinas nervige Tochter Elektra räumen muss. Während eines heftigen Streits der beiden im Badezimmer landet der Alligator in der Toilette und wird hinuntergespült. Paul sieht nur einen Ausweg, er muss ihn retten. Filmreif wird der Junge von der achtköpfigen Kinderbande sechs Meter unter der Erde aufgegriffen und entführt. Niemand darf von ihrer Existenz etwas wissen.
    "Diese Kinderbande hat sich wunderbar organisiert, das ist ja wie ein kleines Dorf unter der Stadt. Sie haben Aufgaben verteilt, wer sich um was kümmert, sie haben ihre Raubzüge, die sie begehen, um das zu besorgen, was sie brauchen und sie sind vollkommen autark. Sie brauchen keine Erwachsenen, sie stimmen demokratisch ab, es gibt eine Art Anführer, aber das ist mehr so eine moralische Instanz, also nicht, dass er bestimmt, eben weil er am längsten dort unten ist und die meisten Erfahrungen hat. Aber jede Stimme zählt gleich viel und sie beschließen, dass wenn jemand aufgenommen ist in der Bande, dass man dann für immer füreinander dort ist, dass sie sich umeinander kümmern und niemals jemand die Bande verlässt."
    Paul muss wie jedes Bandenmitglied einen Eid leisten. Ziemlich verunsichert ahnt er jedoch, nur mit den Kindern hat er eine Chance im 8000 km langen Kanalsystem seinen Alligator wiederzufinden.
    Buchausschnitt – Ein Krokodil taucht ab
    "Da fasste ich den Entschluss und verkündete laut und deutlich: 'Niemals wird einer von uns die Bande verlassen.'
    Denn so, wie ich mein altes Zuhause liebte, gab es das ohnehin nicht mehr. Orinoko würde nie mehr dort leben können. Und mein Vater? Der interessierte sich sowieso nicht mehr für mich. Der hatte mich allein gelassen. Der hatte nicht mehr auf mich geachtet."
    Nach und nach findet Paul heraus, warum die Kinder der Kanalbande als Wohnort die stinkende Kloake vorziehen. Alle Jungen und Mädchen suchen einen festen Halt, denn mit ihren Eltern haben sie Erfahrungen gemacht, die nur enttäuschend waren. Entweder stellten sie zu hohe Erwartungen an sie oder in der Familie wurde ständig gestritten und die Eltern drohten mit Scheidung oder die Kinder wurden abgeschoben, allein gelassen, vernachlässigt oder wie Paul einfach vergessen.
    "Diesen Dramen entziehen sich die Kinder, indem sie sagen, wir gehen und wir gründen unsere eigene Familie, und eine Alternative zu dem schaffen, was die Eltern ihnen da oben geboten haben und was ihnen auch nicht genügt hat, mit Recht."
    Immer vor den Nachstellungen des Sicherheitsdienstes und der Polizei auf der Hut
    beginnt die kreative Suche nach Pauls Alligator, über dessen Verhaltens- und Lebensweise der Leser immer am Beginn jedes Kapitels informiert wird. Die Kinder bauen Flöße, um schnell die Unterweltkanäle zu durchqueren. Sie bringen all ihr Wissen ein, um das exotische Tier letztendlich zu finden. Pauls Eid und die Regeln der Kinderbande jedoch werden ihm nun zum Verhängnis, denn der Alligator kann ohne Sonnenlicht nicht überleben.
    "Die Kinder stoßen ja mit ihren sehr harten Regeln auch an ihre Grenzen und müssen das dann auch überdenken. Ich stelle ja nicht die Regeln hin und sage, das sind gute Regeln, sondern ich stelle mit meiner Bande Regeln auf, an denen sie sich abarbeiten müssen und dann auch den Vor- und Nachteil von Regeln, starren Regeln und wann man Regeln durchbrechen muss, üben müssen. Es ist ja wie eine kleine Versuchsanordnung, die sie sich selbst da unten schaffen und ja, austesten."
    Bestärkt durch ihre Recherchen in Wien und Hannover weiß Nina Weger, ein Leben unter der Erde wäre möglich und so liest sich ihre lebendig erzählte Kinderbanden-Geschichte, so verrückt sie klingen mag, durchaus glaubwürdig. Gut beobachtet sind auch die existentiellen Probleme, die Kinder mit Erwachsenen austragen müssen. In der Geschichte wird deutlich, einerseits werden Jungen und Mädchen heutzutage in Watte gepackt und andererseits müssen sie, obwohl sich die Zeitspanne der Kindheit in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verkürzt hat, in der Erwachsenenwelt ohne Wenn und Aber perfekt funktionieren.
    Als die Darmstädter Autorin Antje Herden über den Flohmarkt spazierte, fand sie in einer Kiste ein Buch aus ihrer Kindheit, "Timur und sein Trupp", geschrieben vor über 70 Jahren vom sowjetischen Autor Arkadi Gaidar. Jeder, der in der DDR zur Schule gegangen ist, kennt die Geschichte von Timur, der gemeinsam mit seinen Freunden heimlich in der Nacht die Angehörigen der Frontsoldaten unterstützt. Antje Herden hat das Buch noch einmal gelesen und dabei festgestellt, dass Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt, wie sie in diesem Kinderbuch beschrieben werden, in unserer Zeit keine große Rolle mehr spielen. Durch die Erinnerungen an die eigenen Kindertage und Beobachtungen in der Gegenwart angeregt entstand die Idee zu ihrem neuen Buch "Julia und die Stadtteilritter".
    Erzählt wird aus den unterschiedlichen Perspektiven zweier Kinder – Julia und Paul. Die 11-jährige Julia ist innerhalb der Klasse eher eine Außenseiterin, ein ruhiges Mädchen und nicht so angesagt wie andere, die auf Facebook aktiv sind und ein iPhone besitzen. Paul, der auf Julia recht überheblich wirkt, ist neu in der Klasse. Als der Deutschlehrer ein Projekt vorschlägt, findet Julia keinen Anschluss. Kleine Gruppen sollen sich zusammenfinden, um ein gemeinsames Vorhaben mit einem gemeinnützigen oder einem umweltbezogenen Hintergrund zu erarbeiten. Julia erinnert sich, dass ihre Mutter etwas sentimental von ihrer DDR-Vergangenheit erzählt hat und den Kindertrupps, die anderen damals selbstlos geholfen haben. Julias Mutter musste natürlich betonen, dass Hilfsbereitschaft heutzutage nicht mehr angesagt ist. Julia fühlt sich herausgefordert, springt über ihren Schatten und ergreift die Initiative.
    Buchausschnitt - Julia und die Stadtteilritter
    "Später in der Klasse beobachte ich, wie Julia sich umsieht und dann blitzschnell einen Zettel ans Schwarze Brett heftet. In der Pause schlendere ich daran vorbei und lese:
    Helpful Gang! (hilfsbereite Bande)
    Wer macht mit?
    Spannendes Projekt für Deutsch."
    Aber nicht nur Paul wird sich Julias Gruppe mit Treffpunkt an Rudis Würstchenbude anschließen, auch der unsichere, dicke Mike, der immer Hunger hat, Alexander, der Alleswisser und Ingo, den alle den langen Lulatsch nennen. Allerdings kommen die guten Taten, die die fünf sich vornehmen, bei den Hilfebedürftigen nicht so richtig an. Eigentlich wollten die Kinder einer alten Frau, die schweren Taschen tragen. Aber niemand im Haus kennt ihren Namen. Als die Kinder Elli Lampe dann nach langem Suchen endlich finden, tanzt sie in Erinnerung an ihre alten Theaterzeiten auf dem Dachboden des Hauses zur Musik des alten Grammofons.
    Buchausschnitt – Julia und die Stadtteilritter
    "Elli Lampe zieht das Grammofon auf. 'Meine Damen und Herren, viel Vergnügen mit wunderbaren Chansons und fröhlichen Tanzliedern', verkündet sie. Dann tanzen wir zu Elli Lampes alten Platten. Wir drehen uns im Kreis in einem Gestöber aus bunten Federn, die sich aus unseren Federboas lösen. Wir fühlen uns wie in einer überdimensionalen Schneekugel. Irgendwann klettert Elli Lampe auf den wackligen Stuhl. Ingo reicht ihr galant den Arm, damit sie nicht herunterfällt. Paul stellt das Grammofon aus und Elli Lampe singt ein Lied für uns. Es klingt wunderbar."
    Antje Herdens Protagonisten erkennen erst nach und nach, was für eine unbeschreibliche Freude sie der einsamen alten Dame bereitet haben. Aus den harmlos angedachten Hilfsaktionen werden letztendlich ungewollte Alltagsabenteuer. Ohne moralische Vorbehalte baut die Autorin auch eine Episode ein, die für Paul sehr gefährlich wird. Er macht sich Sorgen um den stadtbekannten Obdachlosen Hermann. Bei seiner Suche nach ihm stürzt Paul im heruntergekommenen Kanalhaus ab und verletzt sich ernsthaft. Erst die Bande findet ihn und rettet durch ihren Einsatz dem sturzbetrunkenen Hermann das Leben. Fast alle Unternehmungen der Kinderbande sind durchaus hilfreich, aber keine spektakulären Bilderbuch-Heldentaten, die sie, so der Eindruck der fünf, vor ihrer Klasse stolz dokumentieren könnten.
    Ein Irrtum, denn alle, denen die Stadtteilritter geholfen haben, finden sich zum guten Ende bei der Projektpräsentation in der Schule ein. Es ist die Eigenständigkeit der Kinder, ihre Ideen, ihre Zweifel, die Erfolge und Rückschläge, die die fünf zusammenbringen. Und die Kinderbande, und das ist überzeugend dargestellt, schenkt Julia letztendlich etwas, das sie sicher nicht erwartet hätte: Selbstvertrauen, Anerkennung in der Klasse und vor allem Freunde.
    Buchausschnitt – Julia und die Stadtteilritter
    Nach der Schule stehen wir noch lange im Hof zusammen. Nicht nur wir fünf, sondern auch Luisa und viele andere aus der Klasse.
    "Mensch, Leute, das war wirklich toll!"
    "Was für eine coole Idee!"
    "Echt super!"
    "Ich würde gerne in eure Bande aufgenommen werden", sagt einer.
    "Ich auch", ruft noch einer.
    "Wann treffen sich die Stadtteilritter denn das nächste Mal?", fragt ein Dritter.
    "Heute um drei an Rudis Kiosk", rufen wir im Chor und Paul
    nimmt meine Hand. Das wird ein Supersommer, da bin ich mir ganz sicher.
    Kinder streben gerade in einer Zeit, in der es allzu viele Turboeltern gibt, die ständig über ihren Sprößlingen kreisen, nach Autonomie. Hier setzt das Motiv der Kinderbande an, denn wo sonst als unter Gleichgesinnten kann man sich geborgen, aber auch frei fühlen. Autoren, die über Kinderbanden schreiben, tauchen, ob nun in klassischen oder gegenwärtigen Geschichten, ganz und gar in den Alltag der Kinder ein. Nur so finden sie einen Weg gewonnene Erkenntnisse, Erfahrungen, aber auch Nöte ihrer jungen Protagonisten für den Leser offenzulegen. Eingebettet in aufregende Abenteuer werden aber nie einfache Lösungen angeboten. Die Autoren vertrauen auf die offenen Gespräche der Kinder, ihren Gerechtigkeitssinn und ihre Risikobereitschaft. Dabei wählen die Autoren für ihre Hauptfiguren immer ein Umfeld, das vorerst unbeobachtet bleibt, ob es nun ein stillgelegtes Kino bei Cornelia Funke, die unübersichtliche Großstadt bei Erich Kästner oder die Wälder bei Louis Pergaud sind. Nina Wegers verschworene Kanalbande entzieht sich dem überwachten sozialen Raum, organisiert ihre ganz eigene Lebensform und muss doch vor den gesellschaftlichen Normen kapitulieren. Antje Herdens Stadtteilritter sammeln Erfahrungen in ihrer unmittelbaren Umgebung, die sie allein so nie gemacht hätten. Aus einer Notsituation heraus bildet sich die vierköpfige Schattenbande. Niemand fühlt sich ernsthaft für die Waisenkinder zuständig. Gegen die Schikanen im Kinderheim können sie sich nicht wehren. Als Ausweg aus der Misere bleibt für sie nur die Flucht in die Anonymität der Großstadt.
    "Die Geschichte spielt in Berlin, weil natürlich in den 20er-Jahren Berlin das Epizentrum der Kultur und des politischen Geschehens in Deutschland war und auch kulturell für ganz Europa ein ganz wichtiger Ort war. Das ist einfach eine ganz heiße, spannende Stadt gewesen, auch eine sehr brutale und schreckliche Stadt, was man so an einigen Stellen in dem Buch auch wiederfindet. Und so sind Gina Mayer und ich sehr gerne an den Punkt gegangen, wo es besonders spannend und besonders prickelig ist."
    Frank Maria Reifenberg und Gina Mayer konfrontieren in ihrem Mehrteiler "Die Schattenbande" vier sehr unterschiedliche Hauptfiguren. Klara ist eine hervorragende Taschendiebin und kleidet sich mit Schiebermütze und Knickerbocker wie ein Junge. Sie konkurriert mit Otto, der ein guter Fassadenkletterer ist, um die Chefposition in der Gruppe. Paule darf als einziger frech berlinern und sich als Erfinder ausprobieren. Seine Schwester Lina ist die Jüngste in der Bande und wittert schnell und intuitiv Gefahr.
    Buchausschnitt – Die Schattenbande legt los!
    "Wir sind die Schatten ...", flüsterte Otto, die anderen wiederholten die Worte und gemeinsam riefen sie den Wahlspruch hinaus in die Dunkelheit. "Wir sind die Schatten, schnell und schlau, keiner sieht sie je genau!"
    Am Lützowufer in einer verlassenen Schreinerei befindet sich das Bandenversteck der vier anarchischen Kinder. Sie gehen nicht in die Schule und leben von dem, was sie sich geschickt zusammenstehlen. Allerdings sind ihre Gesetzesübertretungen positiv besetzt, denn geklaut wird nur zum Überleben. Die vier geraten in jedem Band unfreiwillig in aufregende Kriminalfälle, die sie, um nicht wieder im Heim zu landen, vor der Polizei lösen müssen.
    "Wir wollten keine weichgespülte kindertümelnde Geschichte schreiben, deshalb haben wir uns immer Fälle ausgesucht, die schon irgendwie ein bisschen dramatischer und härter auch sind. Und im ersten Band geht es ja auch gleich um einen Mordfall, in den ersten Kapiteln gibt es eine tote russische Großfürstin und Otto wird verdächtigt, der Mörder zu sein. Und daraus ergibt sich dann der Fall, sie müssen den Mörder finden, damit sie sich selbst reinwaschen können."
    Buchausschnitt – Die Schattenbande legt los!
    "Raus mit der Sprache, wie sieht deine Idee aus?", fragte Klara. "Wenn wir Otto befreien wollen, bevor er Moos ansetzt, müssen wir nämlich langsam loslegen." Paule zog eine Grimasse. "Also jut. Ich hab mir jedacht, det wir ein kleines Feuerwerk im Innenhof vom Polizeipräsidium vaanstalten."
    "Bitte was?", fragte Lina entgeistert.
    "Ein Feuerwerk. Die Jitterfenster von die Arrestzellen jehen allesamt zum Hof", erklärte Paule. "Det hat mir Messerkalle erzählt, den ham se oft jenug da einjebuchtet. Und wenn im Innenhof ein Feuer ausbricht, dann müssen sie die Jefangenen ja wohl exhumieren oder wie sich dit schimpft."
    "Evakuieren", korrigierte Lina.
    "Und det is unsere Schanze."
    "Paule ist der Einzige, der berlinert, das könnte auch schon einer zuviel sein. Aber wir wollten über diesen Weg das Berliner Lokalkolorit ein bisschen hineinbringen und ihm darüber hinaus auch eine eigene Note geben."
    Als Otto mithilfe seiner Freunde aus dem Gefängnis fliehen kann, muss nicht nur ein Mord, sondern auch ein Diamantendiebstahl aufgeklärt werden. Unterstützt wird die Schattenbande durch einen nicht ganz selbstlosen Reporter des Berliner-Lokal-Anzeigers. Bei der KneipenwirtinMuttchen Pieper können die Kinder sich verstecken und sie bekommen ab und zu eine warme Mahlzeit. Zuflucht bietet auch das Varieté der Madame Fatale am Nollendorfplatz. Hier allerdings geht nicht alles mit rechten Dingen zu.
    "Das fantastische Element in dem Buch, bei dem immer ein bisschen offen bleibt, ob es wirklich fantastisch ist oder nicht, mit diesem Zweifel spielen wir auch, spiegelt natürlich zum einen aus der Zeit heraus, den unglaublichen Willen, aus der Realität zu fliehen, das ist ja ein Kennzeichen der 20er-Jahre, wo der Tanz auf dem Vulkan stattfand und alle versuchten nach dem Schrecken des Krieges, der Inflation, der Armut und der Arbeitslosigkeit in irgendeiner Form Fantastisches, Schönes, Wildes zu erleben. Im Buch hat es die Funktion, Spannung zu erzeugen und immer diese Frage zu stellen, was ist wahr, was ist real, was ist fantastisch."
    Die Kinderbuch-Reihe wird von Gerda Raidt illustriert. Ihre Bilder ähneln den Zeichnungen von Walter Trier und erinnern an Erich Kästners Kinderroman "Emil und die Detektive", in dem ebenfalls eine Krimigeschichte erzählt wird und dessen Handlung fast an den gleichen Orten und zur gleichen Zeit wie "Die Schattenbande" spielt. Allerdings schreibt das Autoren-Duo in einem völlig anderen, zeitgemäßeren Tempo als Kästner und die Lebensverhältnisse der Schattenbanden-Kinder sind nicht vergleichbar mit denen der Bande um Gustav mit der Hupe. Allerdings werden in beiden Geschichten die Charaktere überwiegend aus ihrem Gesprächsverhalten heraus entwickelt und es fehlt nicht an komischen Momenten. Wie Jungen und Mädchen in den 1920er-Jahren, in denen es wirklich Kinderbanden gab, aber auch der Armut und vielen Ungerechtigkeiten ausgeliefert waren, wird im Handlungsverlauf der "Schattenbanden" - Bücher nicht verschwiegen. Wer will, kann unterschwellig die Kritik der Autoren an den sozialen Verhältnissen herauslesen, zum Beispiel wenn es um Kinderarbeit geht.
    Buchausschnitt – Die Schattenbande jagt den Entführer!
    "Paule schwitzt. So anstrengend hatte er sich das Leben als Dienstmädchen nicht vorgestellt. Zuerst musste er Berge von silbernen Löffeln polieren. Er rieb und wischte und putzte, was das Zeug hielt. Nach einer halben Stunde war sein Daumen wund, nach einer Stunde auch der Zeigefinger, danach brannte die ganze Hand. Aber das war nicht das Schlimmste, das Schlimmste war Johann. Der Sauertopf, wie Paule ihn insgeheim nannte, ließ ihn keine Sekunde aus dem Auge. Selbst wenn der Diener nicht im Raum war, schien er Paule im Blick zu haben, und wenn Paule auch nur den kleinsten Fehler machte, dann stürzte sich Johann sofort auf ihn wie ein Habicht auf ein wehrloses Kaninchen."
    Entwickelt wurde die Kinderbuchreihe "Die Schattenbande" von Frank Maria Reifenberg und Gina Mayer. Beide haben für ihre Recherchen historische Berliner Stadtkarten der Weimarer Republik studiert und Zeitschriften, in denen sie bei ihrer Themensuche vor allem in den Feuilletons fündig wurden. Und so beginnt auch jeder Band mit einem kurzen Artikel des Berliner Lokal-Anzeigers im damaligen Layout. Beim ersten Buch "Die Schattenbande legt los!" verfassten die Autoren die Kapitel noch abwechselnd, veränderten dann aber ihre Arbeitsweise.
    "Im Moment machen wir es so, dass sich immer einer führend um einen Band kümmert und der andere berät, überarbeitet und in der Endphase dann noch mal sehr stark einsteigt, wenn das Ganze geglättet und zu einem echten Schattenbanden-Buch wird."
    Zu einer verschworenen Bande wie der Schattenbande müssen sich die vier Karlsson Kinder in der Geschichte von Katarina Mazetti erstmal noch zusammenraufen. "Spukgestalten und Spione" heißt der erste Teil der vielseitigen, schwedischen Autorin und entführt auf eine einsame kleine Insel, auf der Tante Frida als erfolgreiche Künstlerin lebt. Die Schwestern Julia und Daniella, genannt Hummel, kennen ihre Cousins George und Alex nur vom Erzählen. Jetzt sollen alle vier ihre Sommerferien bei ihrer kinderlosen Tante verbringen.
    Buchausschnitt – Spukgestalten und Spione
    "Nur damit ihr's nicht vergesst: Von jetzt an habt ihr Sommerferien, in denen jeder tun und lassen kann, was er will! Und hier auf der Insel gibt's eine Menge zu tun. Schwimmen und Spiele spielen, auf Bäume klettern und faul in der Sonne liegen, mit dem Boot aufs Meer rudern, die tollsten Sachen bauen und Schätze suchen. Nur eins muss klar sein: dass ich nicht die Ferienmama bin, die alles für euch organisiert – wie zum Beispiel regelmäßige Mahlzeiten und all so was, nicht wahr!"
    Von da an machten sie sich Gedanken darüber, was sie am liebsten tun wollten. Es fühlte sich ein bisschen ungewohnt an, weil es zu Hause meistens jemanden gab, der bestimmen wollte, was man zu tun hatte, zum Beispiel Eltern. Oder Lehrer. Oder überhaupt Erwachsene.
    Da Alex das Kochen übernimmt, ist schon mal ein Problem gelöst. Ferien ohne Fernseher, Wasserleitung oder gar Kühltruhe sind schon ziemlich abenteuerlich, doch dann finden die vier Kinder heraus, dass sie nicht allein auf der Insel sind. Konservendosen verschwinden, das Brennholz löst sich in Luft auf, ein einsamer Schuh liegt am Strand und Rauch steigt in der Nacht auf. Als Frida dann feststellt, dass irgendjemand in Stockholm unter ihrem Namen gefälschte Skulpturen verkauft, muss sie die Kinder allein lassen.
    Unheimlich ist der Gedanke schon, dass sie sich nun mit fremden Dieben die Insel teilen müssen. Richtig bösartig jedoch können sie nicht sein, denn sie klauen immer nur das Nötigste und flüchten jedesmal Hals über Kopf, wenn die Kinder sie aufspüren. Nicht nur auf die äußerlich spannende Handlung orientiert, offenbart Katarina Mazetti ihren Lesern auch nach und nach was Julia, Hummel, Alex und George innerlich beschäftigt. Immer vertrauter werden die Karlsson Kinder miteinander und beginnen, sich ihre Geheimnisse zu erzählen. Bei einer erneuten dramatischen Suchaktion entdecken die Kinder endlich die fremden Eindringlinge.
    Buchausschnitt - Spukgestalten und Spione
    "Also", sagte Alex schließlich. "Das ist Nabila und das ist Amir. Auf der Insel sind sie, weil Schlepper sie ausgesetzt haben. Die beiden kommen aus Algerien. Von dort sind sie vor zwei Wochen aufgebrochen."
    Aufmerksam und liebevoll kümmern sich die vier um die zwei verängstigten Kinder, deren Eltern nicht mehr leben und die gehofft hatten, bei ihrem Onkel in Stockholm zu wohnen. Die gemeinsamen Sommertage der Karlsson-Bande scheinen zu Beginn sehr idyllisch, zumal Katarina Mazetti ihre Protagonisten an einem übersichtlichen, ja fast naturbelassenen Handlungsort zusammentreffen lässt. Aber dann durchbricht sie diese Bullerbü-Atmosphäre und öffnet ihre Geschichte für die großen, existentiellen Probleme in der Welt.
    Alle Kinderbanden-Bücher, die heute vorgestellt wurden, sind wahres Lesefutter für Mädchen und Jungen. Schnell können die Leser sich mit ihren Lieblingsfiguren identifizieren und bei ihren Abenteuern mitfiebern. Die Geschichten vermitteln immer ein Gefühl von Autonomie, spielen aber auch moralisch-ethische Vorstellungen durch und zeigen, wozu Kinder gestärkt durch eine Gemeinschaft fähig sind.
    Nina Weger: "Ein Krokodil taucht ab", Oetinger Verlag, Hamburg 2013, 336 Seiten, Euro13,95, ISBN 978-3-7891-5129-3
    Katarina Mazetti: "Die Karlsson Kinder - Spukgestalten und Spione", Aus dem Schwedischen von Anu Stohner, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014, 208 Seiten, Euro10,95, 978-3-423-64004-6
    Frank M. Reifenberg, Gina Mayer: "Die Schattenbande legt los!", Bloomoon, München 2014, 240 Seiten, Euro12,99, ISBN 978-3-7607-9936-0
    Frank M. Reifenberg, Gina Mayer: "Die Schattenbande jagt den Entführer", Bloomoon, München 2014, 240 Seiten, Euro12,99, ISBN 978-3-8458-0358-6
    Antje Herden, Eva Schöffmann-Davidov (Ill.): "Julia und die Stadtteilritter", Tulipan Verlag, Berlin 2014, 200 Seiten, Euro12,95, ISBN 978-3-86429-186-9