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Kinderfernsehen
Für Kinder vom Grauen erzählen

Darf man Kindern im Grundschulalter vom Zweiten Weltkrieg erzählen, von Judenhass und Konzentrationslagern? Ja, sagen die Macher der Serie "Der Krieg und ich", die ab Herbst 2018 im öffentlich-rechtlichen Kinderkanal laufen soll.

Von Eric Leimann | 20.02.2018
    Ein Militärflugzeug aus dem 2. Weltkrieg
    Ein Militärflugzeug aus dem 2. Weltkrieg (picture-alliance / dpa / UPI)
    Die erste Folge erzählt vom zehnjährigen Anton und dem Jahr 1938. Anton will kein Außenseiter mehr sein und meldet sich gegen den Willen des Vaters bei der Hitlerjugend an. Dafür fälscht er dessen Unterschrift. Die Sache fliegt auf, Antons Gruppenführer stellt Vater und Sohn zur Rede:
    "Heil Hitler, Herr Meier. Ihr Sohn hat mit alles erzählt. Wir sind hier, um die Sache zu klären. Lassen Sie ihn bei uns mitmachen!"
    Der Vater ist gegen die Nazis, aber Anton will bei der Jugendorganisation bleiben. Auch deren Argumente hat er schon übernommen.
    "Papa, wenn du es mir verbietest, dann bist du nicht nur gegen mich, dann bist du auch gegen unseren Führer, Adolf Hitler."
    In der Folge "Anton" wird nicht nur die ideologische Vereinnahmung Antons, sondern auch die Verfolgung der Juden in Deutschland geschildert. Der Zehnjährige ist mit dem jüdischen Nachbarmädchen Greta befreundet.
    Während der Reichspogromnacht versteckt Antons Vater Gretas Familie. Die kann zwar später ins Ausland fliehen. Weil Anton sein Geheimnis aber dem Gruppenführer verrät, wird der Vater verhaftet und kommt erst Tage später nach Hause zurück. Neben der Spielhandlung, die immer die Sicht des kindlichen Helden beibehält, erklären Film-Einspieler mit Archivmaterial, was damals passiert ist. In einfachen Worten.
    "Nicht nur Juden werden verhaftet, sondern auch alle, die ihnen helfen. Die meisten Deutschen sind damit einverstanden, was die Nazis mit den Juden machen. Zu viele schweigen oder schauen weg. Die einen, weil es ihnen egal ist. Die anderen aus Angst, selbst verfolgt zu werden."
    Das Wohl der Kinder an erster Stelle
    Lene Neckel, verantwortliche Redakteurin beim SWR, weiß, dass sie mit "Der Krieg und ich" ein heikles Projekt betreut.
    "Oberste Regel bleibt natürlich das Wohl der Kinder. Denn ganz oft ängstigt es sie ja nicht, die Dinge an sich zu erfahren, sondern es ist die Art und Weise, wie wir es ihnen erzählen und die Fragen, die offen bleiben. Also wir müssen es nüchtern und klar und deutlich ihnen in einer für sie verständlichen Art und Weise erklären."
    Genauso sieht es auch Maya Götz, Leiterin des Münchener Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen. An ihrem Institut, das gemeinsam mit Historikern und Pädagogen die Serie begleitet, liefen im Januar Testvorführungen der Folge "Anton" und einer weiteren, die im KZ spielt, vor vierten Schulklassen.
    "Eines der großen Probleme in unserem jetzigen Schul-Curriculum ist, dass das Thema Nationalsozialismus eigentlich erst in der zehnten Klasse kommt. Und die Frage, wer sind eigentlich Juden, wird zum Beispiel erst in der siebten Klasse bei den meisten Schulformen behandelt."
    Dabei tauchen die Fragen der Kinder bereits viel früher auf.
    "Warum haben die Nazis die Juden so gehasst? Warum haben sie das getan? Und das ist auch eine Frage, die Kinder durchaus mitnimmt, die sie bewegt. Das sind keine konkreten Ängste, das ist mehr eine Vorstellung: dass Menschen so etwas tun aus rassistischen Gründen, das ist beunruhigend. Aber - das sollte für uns alle beunruhigend sein."
    Aus Geschichte lässt sich lernen
    Auch Anton ist Manipulationsversuchen ausgesetzt - und erliegt ihnen zunächst. Genau darin liegt die große Stärke der ersten Episode: Dass sie ihren Protagonisten ernst nimmt - mit all seinen Unsicherheit und Ängsten, aber auch mit seinem untrüglichen Gespür für Gut und Böse. Die Tagebucheinträge echter Kriegskinder, die in die acht Episoden eingeflochten sind, stehen genau für diese Suche nach echter Orientierung.
    Lene Neckel: "Ja, unsere Protagonisten lernen alle irgendetwas. Das, was Anton am Ende dieser Episode lernt, nämlich dass er doch Greta helfen muss. Das haben auch - ich habe Zeitzeugen-Interviews parallel dazu gemacht - das haben die Kinder, die das damals tatsächlich durchlebt haben, das haben die erst 1950, 1947, 19-was-weiß-ich-was gelernt. Und sie haben mir dann sehr oft gesagt: Ich wollte mich danach niemals mehr so vereinnahmen lassen."
    "Der Krieg und ich" zeigt vorbildhaft, dass Schweigen und Wegsehen für diese Form der Vereinnahmung einen weitaus besseren Nährboden schaffen als das verantwortungsvolle, wohl dosierte Heranführen an die Härten unserer Geschichte.