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Kinderfernsehen
Second Screen in Bauklotzstadt

Kinder schauen gerne fern. Aber sie hocken nicht nur vor dem Flachbildschirm, sondern surfen dazu oft auch noch parallel im Netz. Diese noch relativ neue Angewohnheit wollen die klassischen Fernsehmacher jetzt für sich nutzen.

Von Henning Hübert | 14.11.2017
    ILLUSTRATION - Ein Kind schaut auf einem Laptop einen Trickfilm, aufgenommen am 06.01.2015 in Dresden (Sachsen).
    Kinder schauen längst nicht mehr nur auf dem Fernseher. (dpa-Zentralbild / Thomas Eisenhuth )
    Am frühen Morgen gehört Super RTL den Vorschulkindern. Ab kurz vor sechs erscheint als Logo links oben auf dem Bildschirm die Toggolino-Kuh, bunt gescheckt und aufrecht. Klingelt es deutschlandweit in den Schulen zur ersten Stunde, fordern bei den Kindern zu Hause Animationsfilm-Helden die Aufmerksamkeit, wie "Noddy, der kleine Detektiv". Der löst dann zum Beispiel den Fall der müden Stadtbewohner:
    "Schnarchen. Sie ist schon wieder eingeschlafen. Es sind nicht nur die Bauarbeiter. Alle hier in Bauklotzstadt sind offenbar richtig müde. Da muss ich mal nachforschen."
    Bauarbeiter und Einhörner
    Noddys Fährte: Es ist auch in der Nacht viel zu hell in Bauklotzstadt. Eine Stadt, in der Bauarbeiter und süße Einhörner friedlich zusammenleben. Diese heile Bildschirmwelt mit Identifikationsangeboten für Jungs und Mädchen wird es auch in Zukunft geben, glaubt man Super RTL-Programmdirektor Carsten Göttel. Nur bei den Zusatzangeboten im Internet will er gendern und sein Angebot stärker untergliedern - Lego-Ninja-Kampfschulen für Jungs, das Pferde-Paradies-Spiel für Mädchen:
    "Ich glaube, wenn man im Second Screen Angebote macht, muss man das tun. Im klassischen Fernsehen glaube ich, wenn wir den Anspruch haben, Marktführer bleiben zu wollen, müssen wir auf beide gehen. Und am Ende im Gesamtkontext ein Medium brauchen, das maximal hohe Reichweiten holt. Und das ist sozusagen immer noch das nicht-genderspezifische Fernsehangebot."
    Eltern mit ins Boot holen
    Reichweite holen, das geht im deutschen Kinderfernsehen nur, wenn auch die Eltern mit im Boot sind. Schließlich hört die Mutter aus der Küche immer mit einem Ohr mit, sagt Göttel. Deshalb testet Super RTL die Synchronstimmen für die vielen Fremdproduktionen aus dem Ausland stets darauf hin, ob sie auch bei den Erwachsenen gut ankommen.
    Auch gibt es eine Internet-Informationsseite, die sich speziell an Eltern richtet. Sie soll Vertrauen aufbauen für Toggolino und Co.. Denn bei allen TV-Inhalten gilt - ob Zeichentrick-Serie oder Bildungsformat: Immer mehr Kinder schauen gleichzeitig auf den Fernseher und ins Netz.
    Carsten Göttel, Programmdirektor Super RTL Köln: "Kinder schauen, ich nehme jetzt mal eine Erwachsenensendung - DSDS, mit einem Ohr, mit einem Auge. Und mit dem anderen chatten sie mit ihren Freunden, die in der Nachbarschaft wohnen, über die Ergebnisse, lästern über die Stars, was auch immer. Das heißt, es läuft alles parallel. Das heißt, muss ich denn nicht als Fernsehsender auch parallel anbieten - den Kindern, während sie DSDS gucken - auch in ihrem Handy zusätzliche Informationen?"
    Neben dem Sog des Internets bestehen
    Bei der Verbreitung von Fernsehinhalten via Internet sind sehr viele rechtliche und finanzielle Fragen noch nicht geklärt. Wer darf kostenpflichtige Apps ordern? Wer bestimmt, welche Art von Werbung erlaubt ist? Google will zum Beispiel auf Android-Apps für Kinder keine Werbung für Fanta oder Milchschnitte sehen.
    Die Frage ist: Behalten die Sender die volle Kontrolle über ihre Inhalte oder machen sie sich abhängig von Appstores und Facebook? Brigitta Mühlenbeck, die Leiterin der Programmgruppe "Kinder und Familie" beim WDR, warnt: Zwar sind gerade Mediatheken zur zeitautonomen Programmnutzung schwer in Mode.
    Mehr als nur Heidi
    Die Kinderprogramme dürfen sie aber nicht bewerben, weil in den Mediatheken auch jugendgefährdende Inhalte auf dem Spätprogramm abrufbar sind. Wie also bestehen neben dem Sog des Internets, neben Horror, Kriegs- und Krisenberichterstattung? Nur Bauklotzstadt und Alm-Idylle sollen es nicht sein.
    "Ich bin immer dafür, nicht den Weg zu gehen 'mehr Heidi'. Ich verstehe einen gewissen Eskapismus. Ich glaube fast, dass er mehr von den Eltern ausgeht, die ihre Kinder schützen möchten und möchten, dass die Kinder nicht in Kontakt kommen mit problematischen Nachrichten. Ich verstehe das auch. Eine normale Nachrichtensendung ist für Kinder in bestimmten Altersgruppen kaum verkraftbar , weil - es fängt immer mit schlechten Nachrichten an mittlerweile."
    Brigitta Mühlenbeck setzt da auf konstruktiven Journalismus für Kinder. Etwa, indem Kika häufig Geschichten von Kindern aus Kriegsgebieten erzählt. Oder Gewalt weniger schockierend präsentiert - wie in dem gesellschaftspolitischen Kindermagazin "Neuneinhalb".
    Brigitta Mühlenbeck: "Kinder zu informieren, ohne sie zu erschrecken. Sie auch zu ermuntern, sich selber darum zu kümmern, weitere Informationen zu bekommen und Fragen zu stellen."
    Und, das ist der WDR-Programmmacherin wichtig, bei Kindern Neugier und Lust am Leben zu wecken.