Donnerstag, 25. April 2024

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Kindergeld für EU-Bürger
"Missbrauch effektiv bekämpfen"

Der Städtetag sorgt sich wegen der weiter gestiegenen Kindergeldzahlungen an EU-Bürger. Möglicher Missbrauch müsse effektiver bekämpft werden, sagte FDP-Sozialpolitiker Matthias Seestern-Pauly im Dlf. Dazu brauche es ein europäisches Melderegister und eine länderübergreifende Vernetzung der Behörden.

Stefan Heinlein im Gespräch mit Matthias Seestern-Pauly | 09.08.2018
    Matthias Seestern-Pauly, MdB, FDP. Berlin
    Matthias Seestern-Pauly, FDP, hält ein überarbeitetes "Kindergeld 2.0" für sinnvoll (imago / photothek.net/ Thomas Imo)
    Stefan Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt den Kinder- und Jugendpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Matthias Seestern-Pauly. Ich grüße Sie!
    Matthias Seestern-Pauly: Guten Tag!
    Heinlein: Wie berechtigt sind aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Liberalen die Klagen des Deutschen Städtetages?
    Seestern-Pauly: Entschuldigung, ich habe die Frage nicht richtig verstanden.
    Heinlein: Wie berechtigt sind die Klagen des Deutschen Städtetages, über Sozialbetrug, über den Missbrauch des Kindergeldes?
    Seestern-Pauly: Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass man eine sachliche Debatte über dieses Themenfeld weiter führt. Es ist ja auch, wie im Bericht schon angeklungen, ja nicht das erste Mal, sondern in gehäufter Form. Und ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass man in diesem weiten Feld zwei unterschiedliche Aspekte unterscheidet, nämlich zum einen den Missbrauch, der auch konsequent bekämpft werden muss, und zum Zweiten das Gerechtigkeitsempfinden. Ob es richtig ist, dass bei sehr unterschiedlichen Lebenshaltungskosten gleiche Summen zur Auszahlung gebracht werden. Wichtig in dem Zusammenhang ist, wenn man sich den Bereich Missbrauch anschaut, dass eine Indexierung nach Aussagen auch vieler Experten gar nicht geeignet wäre, um diesen effektiv zu bekämpfen, weil der normale Weg darüber läuft, dass beispielsweise jemand betrügen möchte, mit gefälschten Geburtsurkunden zu einem Einwohnermeldeamt geht, da eine Adresse angibt, die hinterlegt und wie bei jedem anderen Bürger auch einige Wochen darauf die Steueridentifikationsnummer ja zugeschickt wird. Und mit dieser Steueridentifikationsnummer beantrage ich dann bei der zuständigen Familienkasse das Kindergeld.
    Europäisches Melderegister gegen Missbrauch
    Das bedeutet, dass wir eigentlich schon ganz am Anfang dieser Kette unterbinden müssen, dass man überhaupt in das System reinkommt, beispielsweise um zu überprüfen, ob die Kinder, die per gefälschter Geburtsurkunde dann da vorgelegt werden, überhaupt existieren. Das heißt, wir bräuchten de facto eigentlich ein europäisches Melderegister, um überprüfen zu können, ob diese Kinder überhaupt existieren. Zum Zweiten bräuchten wir sicherlich auch eine bessere Vernetzung der Familienkassen untereinander. Und zum Dritten müsste man dann auch einen Außendienst haben über die Familienkassen, die überprüfen müssten, stichprobenartig, ob die gemeldeten Personen eigentlich überhaupt da wohnen, wo es angegeben wurde.
    Heinlein: Ich würde gern noch eine Frage stellen, Herr Seestern-Pauly. Sie haben also schon sehr konkrete Lösungsvorschläge. Die Oberbürgermeister werfen ja der Bundesregierung vor, dieses Problem zu verschlafen. Wie werden Sie als Opposition versuchen, die Koalition aufzuwecken?
    Seestern-Pauly: Wir haben dazu in der Vergangenheit schon mehrere Anfragen gestellt, wo die Antworten der Bundesregierung leider häufig sehr wässrig gewesen sind. Also beispielsweise, wie sie vorgehen wollen, was sie eigentlich genau unternehmen. Das ist ja auch so ein bisschen ein Eiertanz, den sie da aufführen. Auf der einen Seite bekunden sie ja sehr regelmäßig, dass sie aktiv werden wollen, zum anderen sehen wir aber keine wirklichen Initiativen. An der einen oder anderen Stelle wird ja dann auch bekundet, dass es rechtlich gar nicht möglich sei, eine Indexierung vorzunehmen nach europäischem Recht. Wenn dem aber so ist, ist es unsere Auffassung als Freie Demokraten, dass man halt andere Wege finden muss, um Missbrauch auch effektiv zu bekämpfen, beispielsweise durch eine bessere Vernetzung der Familienkassen, beispielsweise durch die Schaffung eines europäischen Melderegisters, um überprüfen zu können, ob gewisse Personen überarbeitet de facto existent sind, über einen Außendienst. Und darüber hinaus schwebt uns ja auch als Freie Demokraten vor, dass wir ein Kindergeld 2.0 schaffen wollen: Das heißt, viele Leistungen, die Kinder und Jugendlichen zugute kommen, wollen wir bündeln, um damit auch mehr Transparenz zu schaffen, um zu entbürokratisieren und dann vielleicht auch über ein Wohnortprinzip besser kontrollieren zu können, an wen es eigentlich ausgezahlt wird.
    Heinlein: Reden wir noch über das aktuelle Kindergeld. Fakt ist, das ist ja keine Sozialleistung, sondern wird für Menschen gezahlt, die hier leben und auch arbeiten. Also warum sollte letztendlich rumänischen oder auch bulgarischen Arbeitnehmern dieses Recht verweigert werden können?
    Lebenshaltungskosten der Herkunftsländer als Basis?
    Seestern-Pauly: Das ist eine berechtigte Frage, die Sie da aufwerfen. Das ist ja derzeit so geregelt. Deshalb ist auch die Frage, ob man an dieser Regelung festhält oder ob man dann beispielsweise über das Kindergeld 2.0 eine Änderung und ein Wohnortprinzip einführen würde. Man darf natürlich jetzt auch bei denen, die befürworten, dass es eine Indexierung geben soll, nicht vergessen, dass eine Indexierung auch bedeuten würde, dass an Kinder in anderen europäischen Ländern sogar mehr Geld ausgezahlt würde. Wenn ich da beispielsweise an die Benelux-Staaten denke, wenn ich an Frankreich denke, wenn ich da an Dänemark denke, wo die Lebenshaltungskosten über denen der Bundesrepublik Deutschland liegen, würde das da auch mit einher gehen.
    Heinlein: Herr Seestern-Pauly, Wolfgang Schäuble hat als Finanzminister ja schon einmal versucht, einen Gesetzentwurf durchzubringen, dass eben Kindergeld für EU-Ausländer an das Niveau der Herkunftsländer bindet. Das hat er versucht, aber er ist gescheitert am Widerstand der EU-Kommission. Wie will man Brüssel jetzt überzeugen, dass man das doch ändert und vielleicht sogar ihr Kindergeld 2.0 durchsetzt?
    Seestern-Pauly: Ich glaube, dass es kurzfristig nicht möglich sein wird, dass es eine veränderte Auffassung der zuständigen EU-Kommissarin geben könnte. Deswegen muss man ja auch überlegen, andere Wege zu suchen, wie ich das ja gerade skizziert habe, mit der Missbrauchsbekämpfung, Außendienst, Melderegister, bessere Vernetzung der Familienkassen. Und dann natürlich auch über das Kindergeld 2.0. Das würden wir ja dann über ein potenzielles Wohnortprinzip laufen lassen. Das würde wahrscheinlich auch dem europäischen Recht nicht entgegenlaufen, weil wir nicht mehr dem bulgarischen oder rumänischen oder polnischen oder französischen Kind irgendwas nehmen würden, sondern wir würden einfach sagen: Bring es zur Auszahlung für die Kinder, die in der Bundesrepublik Deutschland halt wohnhaft und gemeldet sind. Dementsprechend müsste man das sicherlich noch mal prüfen, aber es wäre zumindest ein lösungsorientierter Ansatz, der obendrein sogar noch den Nebeneffekt hätte, dass wir entbürokratisieren würden und die Familien, die hier tatsächlich leben und arbeiten, stärken würden.
    Rechtspopulisten könnten Thema instrumentalisieren
    Heinlein: Alle Seiten sind sich ja letztendlich einig, dass das Thema nicht ganz neu ist, es kommt immer wieder hoch. Jetzt sind die deutschen Städte und Gemeinden vorgeprescht. Ist das letztendlich auch eine Art soziale Neiddebatte und es besteht auch die Gefahr, dass die AfD und andere Rechtsaußenparteien versuchen, mit diesem Thema ihr ausländerfeindliches Süppchen zu kochen?
    Seestern-Pauly: Es bestehen ja gewisse Herausforderungen, denen man sich auch stellen muss, und wir als Freie Demokraten lassen uns da auch nicht ins Bockshorn jagen, wenn da Rechtspopulisten probieren, das Thema für sich zu instrumentalisieren. Nichtsdestotrotz müssen ja gewisse Probleme, die ja existieren, tatsächlich gelöst werden, sachorientiert und lösungsorientiert. Das vermisse ich bei den Rechtspopulisten, da höre ich nämlich keine vernünftigen Vorschläge. Ich würde jetzt auch nicht den Oberbürgermeistern unterstellen, dass sie da Rechtsauslegerpolitik betreiben würden, sondern ich glaube, da existieren gewisse Nöte und Problemlagen. Und deswegen müssen wir diese Probleme auch lösen, damit sie nicht weiter instrumentalisiert werden können.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der FDP-Politiker Matthias Seestern-Pauly. Ich danke für das Gespräch, und auf Wiederhören!
    Seestern-Pauly: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.