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Kinderlos in Nigeria
Beten für Nachwuchs

Kinderlosigkeit ist in Nigeria ein Stigma. Künstliche Befruchtung ist verpönt, Gurus und Geistheiler bieten hingegen ungewollt kinderlosen Paaren ganz offen ihre dubiosen Dienste an.

Von Katrin Gänsler | 08.10.2019
Schulkinder in der nigerianischen Hauptstadt Abuja Im Wörterbuch speichern Keine Wortliste für Englisch -> Deutsch... Eine neue Wortliste erstellen... Kopieren
Schulkinder in der nigerianischen Hauptstadt Abuja (picture-alliance / dpa / Antti Aimo-Koivisto )
Es ist Gottesdienst in Abuja, der Hauptstadt Nigerias. In die Spirit and Life Bible Family Church eine nigerianische Freikirche, sind vor allem junge Paare und ein paar alleinstehende Frauen gekommen. Das Thema des zweistündigen Gottesdiensts lautet: Glücklich verheiratet. Bishop Gordon Junior und seine Frau Martha geben zahlreiche Tipps, wie Paare ihre Ehe frisch halten können. Ein Thema darf dabei nicht fehlen, sagt Bishop Gordon Junior: "In unserem aktuellen Programm geht es auch um Paare, die bisher keine Kinder haben und sich diese wünschen. Wir beten für sie und sprechen mit ihnen. Wir ermutigen Frauen, dass sie ihre eigenen Kinder bekommen können."
Für Gottesdienste wie diese wird in Nigeria oft geworben. Mit 200 Millionen Menschen ist es zwar Afrikas größter Staat, der jährlich um knapp vier bis fünf Millionen Einwohner wächst. Gynäkologen zufolge steigt jedoch die Zahl ungewollt kinderloser Paare. Laut verschiedener Schätzungen bleibt bei jeder vierten Frau nach einem Jahr ungeschützten Geschlechtsverkehrs eine Schwangerschaft aus. Grund dafür sind Infektionen, späte Schwangerschaften und Spätfolgen von Abtreibungen, die privat und ohne Ärzte durchgeführt wurden. Der soziale Druck ist enorm, gibt in Sabon Wuse, einer Kleinstadt im Bundesstaat Niger, auch Mister James zu. Seinen vollen Namen will er aus Scham nicht nennen:
"Wenn jemand heiratet, erwarten die Eltern des Brautpaares als nächstes ein Kind. Meine Frau und ich haben aber in den vergangenen fünf Jahren keins bekommen. Das beeinträchtigt uns sehr, sogar mein Unternehmen. Es ist pleite gegangen, weil ich das Geld für Behandlungen ausgegeben habe."
"Gott will das nicht"
Wer keine Kinder bekommt, sucht überall nach Hilfe: auch in Kirchen, Moscheen und bei traditionellen Heilern. Dabei kam bereits 1998 das erste im Reagenzglas gezeugte Baby, Hannatu Kupchi, auf die Welt. In Städten wie Abuja, Lagos und Port Harcourt sind seitdem zahlreiche – zumeist privat betriebene – Fruchtbarkeitskliniken entstanden. Doch akzeptiert ist diese Behandlungsmethode nicht, sagt Arati Sohoni, leitende Ärztin des Nordica Fertility Centre in Abuja:
"Befruchtungen im Reagenzglas sind im ländlichen Afrika, wo die Bewohner nicht lange zur Schule gegangen sind, noch immer ein Tabu und etwas, das gegen Gott und die Religion ist. In vielen Religionen, auch im Islam und Christentum, heißt es: Gott will das nicht."
Auch nach einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung und der Geburt bleibt es ein Tabu, so Arati Sohoni. Patienten wollen niemandem sagen, dass sie hier in die Klinik kommen. Manchmal schicken sie uns keine Fotos der Babys und erzählen nichts über sie. Wir akzeptieren das. Wir müssen jedoch Aufklärungsarbeit machen, damit Menschen kommen und ihre Unfruchtbarkeit behandeln lassen.
Dafür sprechen Ärzte mitunter sogar in Kirchen und Moscheen über die medizinischen Möglichkeiten. Was Paare jedoch auch davon abhält, sind die hohen Preise. Die Befruchtung im Reagenzglas kostet je nach Aufwand umgerechnet rund 2500 Euro. Das verdienen Fahrer oder Putzfrauen in zwei Jahren. Krankenversicherungen, die diese Ausgaben übernehmen, gibt es nicht.
Die bösen Geister sind schuld
Das ist mein am meisten verkauftes Produkt, sagt in Gurara im Bundesstaat Niger Saidu Muhammed. Der große Mann mit dem weißen Bart holt aus dem Regal eine durchsichtige Tüte mit pinkem Etikett, auf dem zwei Skelette abgebildet sind. Es ist sein Mittel gegen Unfruchtbarkeit, für das der traditionelle Heiler 2,50 Euro verlangt. Neben Infektionen muss nämlich vor allem eins behandelt werden, sagt Saidu Muhammed.
"In Afrika gibt es noch einen Grund für Unfruchtbarkeit. Das sind die bösen Geister. Es gibt zwei Arten: die männlichen, die zu den Frauen kommen und die weiblichen, die die Männer heimsuchen. Die weiblichen heißen Aashika, die männlichen Aashik. Wenn diese Geister Männer oder Frauen heimsuchen, dann lassen sie keine Schwangerschaft zu."
Ein Widerspruch zum Islam sei das nicht, findet der praktizierende Muslim: "Im Islam gibt es viele Bücher, die über Pflanzenheilkunde sprechen. Ich beziehe mich vor allem auf drei Bücher."
Ohnehin sei im Islam der Umgang mit Unfruchtbarkeit eher unkompliziert, sagt Hadiza El-Rufai. Sie lebt in der Stadt Kaduna im Norden, der muslimisch geprägt ist. In ihrem ersten Roman schreibt die Autorin über eine Frau, die lange auf eigene Kinder gewartet hat.
"Hier im Norden ist das kein großes Problem. Stattdessen gibt es viel Unterstützung für unfruchtbare Frauen. Das liegt wohl an der Polygamie. Die Gesellschaft akzeptiert, dass der Mann eine andere Frau heiratet und ihm Kinder gebärt."
150 Kilometer weiter südlich spürt jedoch auch Mister James, der Christ ist, einen ähnlichen Druck, wenn er Freunden das verzweifelte Warten auf ein eigenes Kind schildert.
"In einer solchen Situation sagen Freunde, dass der Fehler bei deiner Frau liegt und empfehlen: Lass' dich scheiden und heirate eine andere Frau. Für mich ist das aber keine Lösung."
Ganz hat er die Hoffnung allerdings noch nicht aufgeben: Er und seine Frau wollen beten und – falls sie etwas Geld haben – sich erneut einer Behandlung unterziehen.