Biehn: Guten Morgen, Herr Zagatta.
Zagatta: Frau Biehn, die Familien haben ja glänzende Zukunftsaussichten, wenn man den Wahlversprechen der verschiedenen Parteien glauben würde, doch bevor wir darauf zu sprechen kommen: Welche Bilanz hat denn Ihren Erfahrungen nach, die rot-grüne Koalition jetzt vorzuweisen? Geht es den Kindern in Deutschland jetzt besser oder schlechter als vor vier Jahren?
Biehn: Also, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass es ihnen besser geht, aber ich sehe, dass viel mehr Kinder in Armut leben, dass die Zahl eher wächst als geringer wird. Das zum einen. Und zum anderen ist es schon so, dass es auch den Kindern, die es schon gibt und die bereits arm sind, nicht besser gegangen ist. Denn wenn ich mir vorstelle, dass das Kindergeld zwar ganz deutlich erhöht worden ist in diesen vier Jahren, aber leider Gottes ist in den Haushalten von Sozialhilfebeziehern von diesen gesamten Kindergelderhöhungen lediglich bei einem Kind 10,25 Euro und bei zwei und mehr Kindern lediglich 20,50 Euro überhaupt im Portemonnaie geblieben, weil das ist das, was nicht an Kindergeld auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Das Problem ist einfach seit Jahrzehnten, dass das Kindergeld zwar an die Haushalte ausgezahlt wird, aber in der Sozialhilfe als Einkommen berücksichtigt wird und damit im Grunde genommen überhaupt nicht mehr für diese Familie vorhanden ist. Das ist eines der aller größten Probleme, mit dem wir, wie gesagt, bereits seit Jahrzehnten kämpfen.
Zagatta: Seit Jahrzehnten. Als die SPD und die Grünen die Kohl-Regierung damals vor vier Jahren abgelöst haben, da sind sie ja mit dem Anspruch angetreten, gerade für die Kinder etwas zu tun und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Ist das in Ihren Augen fehlgeschlagen?
Biehn: Also, weitgehend schon. Selbst in dem Bereich Regelsatz, wo ja bereits zu Kohls Zeiten eindeutig festgelegt worden war, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Regelsatzneuberechnung erfolgen sollte, ist immer weiter vor sich hergeschoben worden, und das heißt, dass auch der Regelsatz nicht entsprechend verändert worden ist. Es hat zwar durchaus marginale Erhöhungen gegeben, entsprechend der Preissteigerungsrate - beziehungsweise die Rentenanpassung ist ja zur Zeit der Maßstab -, aber das reicht natürlich nicht aus, um Armut von Kindern zu beseitigen. Arme Kinder leiden ständig darunter, und die PISA-Studie hat ja auch noch mal ergänzend sehr deutlich gemacht, welche Probleme für arme Kinder entstehen. Wobei die PISA-Studie nur die letzte Studie ist. Menschen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, konnten es eigentlich immer schon wissen. Es gab schon in der Vergangenheit genügend Studien, die alle aussagen, dass Kindern aus niederer sozialen Herkunft auch vorgegeben ist, welche Bildungschancen sie haben. Es gibt natürlich immer wieder Ausbrüche, sodass durchaus einzelne Kinder schaffen, obwohl sie Eltern haben, die beispielsweise von Sozialhilfe leben, ihr Abitur zu erreichen. Das will ich überhaupt nicht negieren. Nur, das Problem ist, dass diese Kinder sich deutlich mehr anstrengen müssen als alle anderen Kinder, und das ist ein großes Problem für viele Familien. Ich selber habe auch sehr wenig Einkommen und wenn ich im Moment wieder mitkriege, was die Kinder für die Schule alles brauchen, ob es die Klassenreise ist, ob es die Literatur ist, die im Gymnasium, aber nicht nur dort, sondern überhaupt gebraucht wird - für Kunst ist. Das schlägt natürlich immer sehr deutlich zu Buche, und wenn man das Geld nicht hat, dann schicken die Eltern ihre Kinder eher nicht auf weiterführende Schulen.
Zagatta: Frau Biehn, die Grünen haben jetzt im Wahlkampf vorgeschlagen, das Kindergeld noch weiter anzuheben in der nächsten Legislaturperiode und das Ganze auch vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen. Die CDU/CSU fordert ein Familiengeld in ganz erheblicher Höhe. Wenn würden Sie denn wählen, wenn Sie von Sozialhilfe leben müssten und einige Kinder hätten?
Biehn: Also, die Wahl ist sehr schwierig, weil ich das, was an Programmen im Hinblick auf die Kinder überhaupt vorhanden ist, alles nicht sehr berauschend finde. Natürlich ist es günstig, wenn das Kindergeld erhöht wird. Für die Familien, die im Grenzbereich der Sozialhilfe leben, ist es gut, weil Sozialhilfe immer noch sehr stigmatisierend ist, und diese Familien sind letztendlich froh, wenn sie aus der Sozialhilfe rauskommen. Und wenn das über das Kindergeld passieren kann, dann ist das natürlich gut. Allerdings halte ich persönlich von Familiengeld überhaupt nichts, weil das letztendlich eine Falle für die Frauen ist, die dann wieder aus dem Beruf rausbleiben, und der Neueinstieg für Frauen dann sehr viel schwerer fällt nach drei, sechs oder auch weiteren Jahren. Das ist ja auch das, was sich in der Vergangenheit immer wieder zeigte, und deshalb lehne ich persönlich das Familiengeld grundsätzlich ab.
Zagatta: Erika Biehn, die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen. Frau Biehn, schönen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Zagatta: Frau Biehn, die Familien haben ja glänzende Zukunftsaussichten, wenn man den Wahlversprechen der verschiedenen Parteien glauben würde, doch bevor wir darauf zu sprechen kommen: Welche Bilanz hat denn Ihren Erfahrungen nach, die rot-grüne Koalition jetzt vorzuweisen? Geht es den Kindern in Deutschland jetzt besser oder schlechter als vor vier Jahren?
Biehn: Also, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass es ihnen besser geht, aber ich sehe, dass viel mehr Kinder in Armut leben, dass die Zahl eher wächst als geringer wird. Das zum einen. Und zum anderen ist es schon so, dass es auch den Kindern, die es schon gibt und die bereits arm sind, nicht besser gegangen ist. Denn wenn ich mir vorstelle, dass das Kindergeld zwar ganz deutlich erhöht worden ist in diesen vier Jahren, aber leider Gottes ist in den Haushalten von Sozialhilfebeziehern von diesen gesamten Kindergelderhöhungen lediglich bei einem Kind 10,25 Euro und bei zwei und mehr Kindern lediglich 20,50 Euro überhaupt im Portemonnaie geblieben, weil das ist das, was nicht an Kindergeld auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Das Problem ist einfach seit Jahrzehnten, dass das Kindergeld zwar an die Haushalte ausgezahlt wird, aber in der Sozialhilfe als Einkommen berücksichtigt wird und damit im Grunde genommen überhaupt nicht mehr für diese Familie vorhanden ist. Das ist eines der aller größten Probleme, mit dem wir, wie gesagt, bereits seit Jahrzehnten kämpfen.
Zagatta: Seit Jahrzehnten. Als die SPD und die Grünen die Kohl-Regierung damals vor vier Jahren abgelöst haben, da sind sie ja mit dem Anspruch angetreten, gerade für die Kinder etwas zu tun und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Ist das in Ihren Augen fehlgeschlagen?
Biehn: Also, weitgehend schon. Selbst in dem Bereich Regelsatz, wo ja bereits zu Kohls Zeiten eindeutig festgelegt worden war, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Regelsatzneuberechnung erfolgen sollte, ist immer weiter vor sich hergeschoben worden, und das heißt, dass auch der Regelsatz nicht entsprechend verändert worden ist. Es hat zwar durchaus marginale Erhöhungen gegeben, entsprechend der Preissteigerungsrate - beziehungsweise die Rentenanpassung ist ja zur Zeit der Maßstab -, aber das reicht natürlich nicht aus, um Armut von Kindern zu beseitigen. Arme Kinder leiden ständig darunter, und die PISA-Studie hat ja auch noch mal ergänzend sehr deutlich gemacht, welche Probleme für arme Kinder entstehen. Wobei die PISA-Studie nur die letzte Studie ist. Menschen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, konnten es eigentlich immer schon wissen. Es gab schon in der Vergangenheit genügend Studien, die alle aussagen, dass Kindern aus niederer sozialen Herkunft auch vorgegeben ist, welche Bildungschancen sie haben. Es gibt natürlich immer wieder Ausbrüche, sodass durchaus einzelne Kinder schaffen, obwohl sie Eltern haben, die beispielsweise von Sozialhilfe leben, ihr Abitur zu erreichen. Das will ich überhaupt nicht negieren. Nur, das Problem ist, dass diese Kinder sich deutlich mehr anstrengen müssen als alle anderen Kinder, und das ist ein großes Problem für viele Familien. Ich selber habe auch sehr wenig Einkommen und wenn ich im Moment wieder mitkriege, was die Kinder für die Schule alles brauchen, ob es die Klassenreise ist, ob es die Literatur ist, die im Gymnasium, aber nicht nur dort, sondern überhaupt gebraucht wird - für Kunst ist. Das schlägt natürlich immer sehr deutlich zu Buche, und wenn man das Geld nicht hat, dann schicken die Eltern ihre Kinder eher nicht auf weiterführende Schulen.
Zagatta: Frau Biehn, die Grünen haben jetzt im Wahlkampf vorgeschlagen, das Kindergeld noch weiter anzuheben in der nächsten Legislaturperiode und das Ganze auch vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen. Die CDU/CSU fordert ein Familiengeld in ganz erheblicher Höhe. Wenn würden Sie denn wählen, wenn Sie von Sozialhilfe leben müssten und einige Kinder hätten?
Biehn: Also, die Wahl ist sehr schwierig, weil ich das, was an Programmen im Hinblick auf die Kinder überhaupt vorhanden ist, alles nicht sehr berauschend finde. Natürlich ist es günstig, wenn das Kindergeld erhöht wird. Für die Familien, die im Grenzbereich der Sozialhilfe leben, ist es gut, weil Sozialhilfe immer noch sehr stigmatisierend ist, und diese Familien sind letztendlich froh, wenn sie aus der Sozialhilfe rauskommen. Und wenn das über das Kindergeld passieren kann, dann ist das natürlich gut. Allerdings halte ich persönlich von Familiengeld überhaupt nichts, weil das letztendlich eine Falle für die Frauen ist, die dann wieder aus dem Beruf rausbleiben, und der Neueinstieg für Frauen dann sehr viel schwerer fällt nach drei, sechs oder auch weiteren Jahren. Das ist ja auch das, was sich in der Vergangenheit immer wieder zeigte, und deshalb lehne ich persönlich das Familiengeld grundsätzlich ab.
Zagatta: Erika Biehn, die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen. Frau Biehn, schönen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio