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Kindernothilfe: Einwanderung möglich machen

Mit Blick auf die afrikanischen Flüchtlinge, die beim Versuch nach Europa zu gelangen, im Mittelmeer ertrinken, hat Dietmar Roller von der Kindernothilfe die europäische Flüchtlingspolitik scharf kritisiert. Die Flüchtenden würden illegal einwandern und dabei Krankheit und Tod in Kauf nehmen, weil es kaum noch legale Wege gebe, Europa zu betreten.

Moderation: Friedbert Meurer | 11.07.2008
    Friedbert Meurer: Fast 1000 afrikanische Flüchtlinge sollen allein letztes Jahr bei dem Versuch gestorben sein, über das Meer nach Spanien oder zu den Kanarischen Inseln zu fliehen. Diese Zahl wird von einer spanischen Menschenrechtsorganisation genannt. 1000 Schicksale, die hierzulande, wenn wir ehrlich sind, kaum noch jemand registriert. Jetzt ist in Almería ein sechs Meter langes Schlauchboot gelandet beziehungsweise vor der Küste aufgefunden worden. Fast 50 afrikanische Flüchtlinge hatten die mörderische Überfahrt gewagt. 15 sind dabei gestorben und darunter befanden sich neun Kinder im Alter von nur ein bis vier Jahren. Der spanische Regierungschef Zapatero hat von einer "unerträglichen Tragödie" gesprochen. Am Telefon begrüße ich Dietmar Roller. Er ist Vorstandsmitglied der Kindernothilfe, die bekannt ist durch die Kinderpatenschaften, die sie vermittelt. Guten Morgen Herr Roller.

    Dietmar Roller: Guten Morgen!

    Meurer: Wissen Sie, wie häufig so etwas vorkommt, dass Kinder auf hoher See bei diesen Flüchtlingsdramen mit dabei sind und sterben?

    Roller: Man kann sagen, dass quasi bei jeder Überfahrt immer auch Kinder mit im Boot sind. Das hat damit zu tun, dass diese Flüchtlinge, die Menschen, die oft Monate und Jahre unterwegs sind, ihre Kinder entweder von zu Hause mitnehmen. Die meisten kommen ja irgendwo aus dem afrikanischen Kontinent und sind schon, bevor sie an die Küste kommen, um dann Richtung Spanien überzusetzen, Monate und Jahre unterwegs. Manche dieser Kinder werden auf diesem Weg geboren. Man muss sich das Elend vorstellen, das damit auch schon verbunden ist, dass oft auch Mütter alleine unterwegs sind, die ihre Kinder mit an der Hand haben, oder kleine Familien, die dann noch zusätzlich Neugeborene haben. Die Menschen wissen oft dann gar nicht, wenn es zur Überfahrt kommt, wie lange das dauert, was da auf sie zukommt.

    Meurer: Das heißt es gab in den meisten Fällen gar nicht die Möglichkeit, dass man die Kinder bei den Verwandten im Dorf oder in der Stadt lässt?

    Roller: Das kommt darauf an. Es gibt ja verschiedene Arten der Katastrophen. Wir reden ja von menschengemachten Katastrophen und von Naturkatastrophen. Beide Katastrophen führen eigentlich immer zu einem: zu menschlichem Elend und Leid. Aber bei menschengemachten Katastrophen, wenn Krieg, Bürgerkrieg da ist - und in Afrika ist das ganz häufig der Fall -, flüchten ganze Familien und dann nimmt man die Kinder mit. Oder, was immer häufiger vorkommt - und wir sehen das hier in Deutschland mit mehreren Hunderten unbegleiteten Flüchtlingskindern, die hier in Deutschland ankommen -, dass Kinder alleine auf den Weg geschickt werden.

    Meurer: Wer ist Schuld am Tod der Kinder? Sie sagen die Eltern nicht. Dann die Schlepper oder wer?

    Roller: Das ist natürlich immer eine Verquickung von ganz vielen Dingen. Zum einen ist die Situation selber Schuld, dass Menschen, Afrikaner sich überhaupt auf den Weg hierher machen müssen, denn gerade in Afrika lebt man eigentlich am liebsten zu Hause. Man ist ganz stark verwurzelt mit seiner eigenen Identität, mit seinem eigenen Dorf. Ich würde aber sagen ein Großteil der Schuld liegt natürlich schon auch da, wenn Menschen, wenn Schlepper rücksichtslos die Menschen ausbeuten, und immerhin bezahlen die 300 bis 400 Euro pro Überfahrt. Dann wird nicht mal adäquat dafür gesorgt, dass sie sicher herüberkommen.

    Meurer: Herr Roller, halten Sie die europäische Flüchtlingspolitik für unmenschlich?

    Roller: Es sind schon sehr große Anfragen daran zu stellen, dass Europa sich absolut abschottet - und zwar rücksichtslos -, denn das ist natürlich auch ein Teil der Problematik, dass Menschen auf die gewagtesten Ideen kommen, nach Europa hereinzukommen, weil es kaum noch legale Wege gibt und man dann eben versuchen muss, illegal irgendwo hereinzukommen. Da greifen Menschen nach der letzten Hoffnung, die sie haben, und würden sich oft sogar aufs Floß setzen, nur um endlich diesem Elend zu entkommen.

    Meurer: Wie lautet da Ihre Forderung?

    Roller: Wir von der Kindernothilfe haben denke ich eine doppelte Forderung. Wir sehen zum einen, dass man in Afrika selber mit Projekten, so wie wir sie auch machen, den Menschen wieder Zukunft geben muss. Dann gehen die Menschen dort auch nicht weg. Zum anderen lautet unsere Forderung, dass man Einwanderung möglich machen muss. Es ist ja so, dass in Afrika immer noch Menschen davon leben, dass hier Menschen arbeiten. Etwa vier Milliarden - und das sind die größten Einkommen in Afrika - kommt im Moment an Einkommen von Auswanderern, die hier arbeiten und Geld nach Afrika zurücksenden. Davon leben im Moment ganze Familien. Wir fordern eben auch, dass das möglich sein muss.

    Meurer: Die Kindernothilfe, für die Sie im Vorstand sitzen - sie ist übrigens der Diakonie angeschlossen, die zur Evangelischen Kirche gehört -, vermittelt vor allen Dingen Kinderpatenschaften. Ist das eigentlich noch ein zeitgemäßes Instrument?

    Roller: Wir sehen Kinderpatenschaften immer so, dass Kinder vor Ort zum Beispiel in Afrika ein Stück weit Botschafter sind für ihre Community, für ihre Gemeinschaft. Das heißt Kinderpatenschaft ist sehr, sehr zeitgemäß - und zwar deshalb, weil zum einen der Pate, der hier in Deutschland ist, einen sehr engen Kontakt zu der Situation vor Ort hat. Der weiß was passiert und er sieht, wie wir vor Ort die Projekte gestalten und diese Kinder in den Projekten ein Stück weit von dem berichten, was wir an Lebensqualität und Zukunft in Afrika schaffen.

    Meurer: Aber es wird immer gesagt, man pickt einzelne heraus und das ganze Dorf profitiert wenig davon.

    Roller: So ist es eben nicht, sondern es ist umgekehrt. Ein Kind steht sozusagen als Repräsentant für einen Teil des Projekts und berichtet den Paten hier davon. Aber gefördert wird die Schule im Dorf zum Beispiel, wo ganz viele Kinder da sind, die Wasserversorgung im Dorf. Es wird auch die Rehabilitation nach Kriegen gefördert, dass Kinder - und zwar nicht nur ein Kind, sondern ganz viele Kinder - wieder eine Zukunft und Hoffnung haben.

    Meurer: Noch ganz kurz zur Dimension. Haben Sie eine Zahl, wie viele Kinder pro Jahr bei der Flucht ums Leben kommen?

    Roller: Man weiß das nicht genau, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen - ich habe lange in Afrika gelebt und oft auch Flüchtlinge vor der Haustür gehabt -, es müssen Tausende sein, die jedes Jahr still und elend irgendwo zwischen Marokko und Kenia sterben. Wir wissen es nicht. Wir können es nicht genau sagen. Aber das Elend ist groß und uns hier in Europa erreicht das Elend heute gar nicht mehr.

    Meurer: Dietmar Roller war das bei uns im Deutschlandfunk, Mitglied des Vorstands der Kindernothilfe in Duisburg. Schönen Dank Herr Roller und auf Wiederhören.