Freitag, 19. April 2024

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Kinderrechte ins Grundgesetz
Humanwissenschaftler Klundt: „Der Gesetzentwurf ist ein Rückschritt“

Es sei zwar richtig, wenn Kinderrechte ins Grundgesetz eingeführt würden, der bisherige Gesetzentwurf sei aber „zu mangelhaft“, so Michael Klundt. Ohnehin habe die Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche während der Pandemie stark gelitten, sagte der Professor für Kinderpolitik im Dlf.

Michael Klundt im Gespräch mit Stephanie Gebert | 01.06.2021
Kinder mit Atemschutzmasken im Unterricht im Schulhaus Fluntern, aufgenommen am Montag, 25. Januar 2021 in Zürich.
Kindeswohlvorrang finde zumindest derzeit nicht wirklich statt - und auch die Partizipation der Jüngsten sei sehr stark eingeschränkt, sagt Michael Klundt. (picture alliance/KEYSTONE | ENNIO LEANZA)
Ein noch offenes Projekt der kürzlich zurückgetretenen Familienministerin Franziska Giffey ist es, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern und damit zu stärken. In den Augen von Michael Klundt ist das ein wichtiger Schritt. Klundt hat die deutschlandweit einzige Professur für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg/Stendal inne und sagt, dass die Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche in den zurückliegenden 14 Pandemie-Monaten sehr stark in den Hintergrund getreten sei.
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Wie ausgeprägt Kindern letztendlich Mitspracherechte eingeräumt würden – zum Beispiel in der Schule – "hängt auch sehr stark damit zusammen, inwiefern Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler selbst von der Kinderrechtskonvention wissen", so Klundt.
Immer dann, wenn Lehrende in ihrer Ausbildung die UN-Kinderrechtskonvention kennengelernt und sich mit den Vorteilen der Partizipation befasst hätten, spiele die Beteiligung in der Regel eine wichtige Rolle, erläuterte Klundt. Da das Thema in der Ausbildung jedoch noch viel zu selten vorkomme, finde es sich leider auch in der Schule ebenfalls sehr selten.

Gesetzentwurf falle hinter EU-Kinderrechtskonvention zurück

Zwar schätzt Klundt die Arbeit der ausgeschiedenen Bundesfamilienministerin Giffey ("im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen hat sie relativ gute Arbeit geleistet"), der bisherige Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung der Kinderrechte ins Grundgesetz sei in seinen Formulierungen jedoch "zu mangelhaft". Der Entwurf spreche zum Beispiel davon, dass Kindeswohl nicht vorrangig, sondern nur angemessen berücksichtigt werden soll. "Damit stellt er auch einen Rückschritt zum Status quo der seit 1992 im Bundesgesetz verankerten UN-Kinderrechtskonvention dar", erklärte Klundt.

Das Interview in voller Länge:

Stephanie Gebert: Wir haben viel geredet in dieser Pandemie-Zeit über Kinder, viel wurde über sie bestimmt, ob es jetzt um die Schulöffnungen beziehungsweise die -schließungen ging, um das Tragen der Maske oder jetzt das Impfen. Wenn Sie auf die vergangenen Monate schauen, wie viel Mitbestimmung war denn drin für Kinder und Jugendliche?
Michael Klundt: In der Regel müssen wir sagen sehr wenig. Das heißt, wenn wir jetzt mal bestimmte Kriterien der UN-Kinderrechtskonvention uns nehmen, Kindeswohlvorrang bei allen staatlichen und nicht-staatlichen Maßnahmen, die Berücksichtigung von Beteiligung, von Schutz, von Förderung, dann ist das alles im Laufe der letzten 14 Monate sehr stark in den Hintergrund getreten.

Von Kenntnis und Unkenntnis der UN-Kinderrechtskonvention

Gebert: Schauen wir mal auf die Orte, an denen Kinder und Jugendliche sich beteiligen können. Ich habe es gerade gesagt, Schule ist so ein Ort. Es gibt ja da die Schülervertretung oder bei der Zeugniskonferenz sitzen sie teilweise mit Vertreterinnen der Schülerschaft mit am Tisch. Aber damit ist sicherlich auch in Schule noch nicht das Maximum erreicht, wenn es um Beteiligung geht?
Klundt: Nein, sicherlich nicht. Das hängt auch sehr stark damit zusammen, inwiefern Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler auch zum Beispiel von der Kinderrechtskonvention selbst wissen. Das hängt sozusagen jeweils von der Schule, von der Schulform ab, vom Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Und wenn die selbst in ihrer Ausbildung die UN-Kinderrechtskonvention kennengelernt haben und sich auch zu Partizipation und deren Vorteilen schlau gemacht haben, dann spielt das in der Schule eine wichtige Rolle. Und wenn das ein eher fremdes Thema ist, weil es einfach auch in der Ausbildung immer noch viel zu selten überhaupt vorkommt, dann ist es häufig auch in der Schule selbst nur ein ganz seltenes Thema. Und damit verbunden ist dann halt oft auch der Bereich der Partizipation eher so etwas, was man noch so routinemäßig irgendwann auch noch akzeptieren muss.
Gebert: Sie sagen, wenn das Wissen da ist und die Partizipation groß geschrieben wird in Schulen, dann können Kinder wirklich mitsprechen?
Klundt: Ja, gut, die Schule ist natürlich auch noch mal eine besondere Instanz, es ist ja auch eine Zwangsinstitution, wir haben ja schließlich Schulpflicht. Aber wenn wir jetzt bei der Schule bleiben, dann gibt es natürlich verschiedenste Möglichkeiten von der Schulleitung, Lehrerschaft, Eltern, Kinder so tatsächlich miteinander zu kooperieren, dass das Lernen tatsächlich Spaß macht. Und dann ist das etwas, wo alle dran beteiligt sind, wo die Kinder und Jugendlichen auch selbst gefragt sind, wo und wie kannst du am besten lernen, auch differenziert, und wie kannst du dich selbst mit einbringen, du bist ein gefragter Mensch. Das sollten alle Kinder in Schulen lernen, dann sind das, glaube ich, auch gelingende Lernbiografien.
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Gebert: Jetzt will die aktuelle Regierungskoalition die Kinderrechte ja im Grundgesetz verankern. Aktivistinnen und Aktivisten sagen aber, das ist alles andere als ein großer Wurf. Was ist Ihr Eindruck, wie ernst meinen es die Politikerinnen und Politiker, wenn es um die Kinderrechte geht?
Klundt: Auch die Auseinandersetzung um die Frage Kinderrechte ins Grundgesetz verdeutlicht noch mal, wie wichtig es ist, sich über Kindeswohl und Partizipation, über Kinderarmut und Kinderrechte gerade auch in den Corona-Zeiten auseinanderzusetzen. Denn gerade dieser Gesetzentwurf kann das ganz gut verdeutlichen. Er spricht zum Beispiel davon, dass er Kindeswohl nicht vorrangig berücksichtigen möchte, sondern nur angemessen berücksichtigen möchte und dass Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen nur auf rechtliches Gehör beschränkt werden und nicht umfassend geltend sollen.

Kindeswohlvorrang finde derzeit "nicht wirklich statt"

Das heißt, er stellt damit einen Rückschritt zum Status quo, der seit 1992 als Bundesgesetz verankerten UN-Kinderrechtskonvention dar. Und womöglich könnte dieser Entwurf als auch Ausdruck der realen Umsetzungsprobleme bei den Kinderrechten in der Corona-Krise angesehen werden. Das merken wir ja auch, genau an den Punkten hapert es ja jetzt auch im Moment, dass ein Kindeswohlvorrang nicht wirklich stattfindet und dass die Partizipation sehr eingeschränkt stattfindet. Insofern ist es richtig, wenn die Kinderrechte ins Grundgesetz eingeführt werden, aber die bisherige Formulierung erscheint mir tatsächlich immer noch als zu mangelhaft.
Gebert: Und wie kommen wir da jetzt voran mit diesem Gesetzentwurf, wo ja Familienministerin Franziska Giffey gegangen ist und ihr Amt von der Justizministerin einfach mitgeführt wird?
Klundt: Gut, man kann immer noch an die Vernunft der Teilnehmenden appellieren und hoffen, dass da tatsächlich eine gewisse Einsicht noch da ist, aber sie hat tatsächlich in der Zeit, in der sie jetzt aktiv war, hat sie tatsächlich im Vergleich zu all ihren Vorgängerinnen relativ gute Arbeit geleistet und das vorangebracht. Es wäre gut gewesen, wenn man mit ihr weiter darüber jetzt auch gestritten hätte über diese Form, es wäre überhaupt wichtig gewesen während der gesamten Krise, dass sie oder irgendwer, der für Familien zuständig ist, zum Beispiel in den Krisenkabinetten des Bundes und der Länder einfach auch anwesend gewesen wäre, um einfach die Perspektive von Kindern, Jugendlichen und Familien stärker in den Vordergrund zu bringen, dass die nicht so schnell übergangen wird.
Gebert: Sie haben die einzige Professur für Kinderpolitik in Deutschland inne. Sie machen es ja gerade schon deutlich, aber was sagt auch das über den Stellenwert von Kinderrechten auch in der Wissenschaft aus?
Klundt: Es ist schon ein Stück weit seltsam. Bei uns ist es ja so, dass unser Studiengang auch selbst zu angewandten Kindheitswissenschaften auch als Bachelor-Studiengang ein Unikat in Deutschland ist. Das wäre natürlich erfreulicher, wenn das tatsächlich ein bisschen weiter verbreitet wäre, Kinderpolitikwissenschaften, Kindheitswissenschaften. Und wenn wir noch mal das Beispiel nehmen bei der UN-Kinderrechtskonvention, die ja wie gesagt Bundesgesetz ist seit fast 30 Jahren, da gibt es einen eigenen Artikel 42, der besagt, dass der Vertragsstaat, also die Bundesrepublik, allen Kindern und allen Erwachsenen die UN-Kinderrechtskonvention bekannt macht und was es damit auf sich hat. Wenn Sie jetzt schauen, wie viele wissen davon? Und ich frage ja immer wieder Studentinnen und Studenten, wie viel habt ihr davon erfahren in der Kita, in der Grundschule, in der Mittelstufe, in der Oberstufe. Das sind immer noch so wahnsinnig niedrige Zahlen, das zeigt einfach nur, dass man dem nicht nachgekommen ist bislang, dass da einfach noch viel mehr getan werden muss, um das bekannt zu machen, die UN-Kinderrechtskonvention. Und das kann man auch schaffen und machen, indem es auch mehr Lehrende gibt, also auch in den Hochschulen mehr Lehrende gibt, die dazu entsprechend tätig sind.
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