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"Kings of War" bei den Wiener Festwochen
Moralines Zeigefingertheater

In einer Art Compilation hat Ivo van Hove die Shakespeare-Könige Henry V., Henry VI. und Richard III. bei den Wiener Festwochen auftreten lassen. Trotz aller technischen Raffinesse scheint es allerdings so, als übertrüge sich die spießige Bunkeraura der Bühnenszenerie unmerklich auch auf die theatrale Atmosphäre des Abends, findet unser Kritiker.

Von Sven Ricklefs |
    "Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd." Natürlich darf dieser Satz nicht fehlen, wenn gleich drei Könige in einer Art Shakespeare-Compilation auftreten, um zu zeigen, was es heißt, von den "Freuden und Leiden" der Herrschaft kosten zu dürfen, der Wollust und der Verantwortung von Macht, und wenn einer von ihnen Richard III. heißt. Die berüchtigte Missgeburt, die bereits mit Zähnen auf die Welt kam, mit den Füßen zuerst und vor der sogar die Hebamme erschrak, steht für alles, was die dunkle Seite der Macht an Verführungen zu bieten hat: Gewalt und Mord und mit ihnen: die erotische Strahlkraft des Bösen. Der hinkende Richard ist der Dritte im Bunde der drei aufeinanderfolgenden Könige, die sich Ivo van Hove aus Shakespeares Königsrepertoire herausgesucht hat. Den Beginn macht Henry V. aus dem kaum je aufgeführten gleichnamigen Stück. Er ist bei allem Machthunger, der ihn vor allem nach Frankreich führt, um den kontinentalen Erzrivalen auf Dauer zu unterwerfen, ein von menschlicher Demut und Respekt im Umgang mit den Feinden gezeichnete Persönlichkeit, die der Größe und der Herausforderung seiner Aufgabe als König und Herrscher durchaus gewachsen scheint.
    Schon einmal hat Ivo van Hove drei Shakespeare-Dramen zusammengespannt, ebenfalls mit seiner Toneelgroep und ebenfalls als Premiere bei den Wiener Festwochen, das war vor sieben Jahren, damals zeigte er Shakespeares Rom und seine Protagonisten aus "Coriolan", "Julius Cäsar" und "Antonius und Cleopatra" als beeindruckendes Spiel der Macht in einer Welt als Medienlounge, die der Zuschauer sogar selbst betreten konnte. Diesmal lässt der Regisseur die vierte Wand bestehen und verlegt die Handlung der drei Dramen in den War-Room von Winston Churchill, von wo aus dieser seinen Verteidigungskrieg gegen Nazideutschland leitete. Ein paar Schreibtische, eine Küchenzeile, ein Feldbett, ein paar strategische Landkarten, hier und da ein Sofa, ein Teppich für die Wohnlichkeit. Natürlich dürfen die drei farblich unterschiedlichen Telefone nicht fehlen, mit ihren Direktleitungen. Zugleich verweisen ein paar Monitore dezent darauf, dass die technische Entwicklung seit Churchill fortgeschritten ist. Ein paar Kriegsszenerien, die vor sich hinsterbenden Könige am Ende ihres jeweiligen Dramas, Intrigen und Mordkomplotte werden in ein uneinsichtiges Gängelabyrinth hinter die Szene verlegt und von dort auf die große Screen über der Bühne projiziert.
    Hier hat sich einer vergaloppiert
    Doch trotz aller technischen Raffinesse scheint es fast so, als übertrüge sich die eher spießige Bunkeraura der Bühnenszenerie unmerklich auch auf die theatrale Atmosphäre des Abends. Was bei "Henry V." im schnellen Schnitt zwischen England und Frankreich noch szenisch durch Tempo zu interessieren vermag, zehrt bei dem sich anschließenden Drama um den eher zögerlichen und den Flüsterstimmen seiner Berater hilflos ausgelieferten "Henry VI." schon mehr am Geduldsfaden, da man rasch verstanden hat, welcher Prototyp von Machthaber einem hier im Schnelldurchlauf vor Augen geführt werden soll. Und ähnlich geht es einem dann bei dem ja eigentlich so spannenden Bastard Richard III., der in dem gut fünf Stunden dauernden Abend dann die letzten beiden Stunden für sich beansprucht und dennoch die von Shakespeare in diesen Charakter hineingeschriebenen Subtilitäten aufgrund der notwendigen Kürzungen nicht wirklich entfalten kann.
    Das vermag dann auch das wie immer schauspielerisch präsente Ensemble der Toneelgroep nicht zu ändern. Und so bleibt der Eindruck, dass der sonst szenisch so zupackende Ivo van Hove diesmal mit seinem vielleicht allzu politisch korrekten Anliegen im eher moralinen Zeigefingertheater gelandet ist. Und wenn Richard der III. endlich sein "Mein Königreich für ein Pferd" herausschreit und dann, in Ermangelung eines solchen, selbst anfängt, im Bühnenrund vor sich hin zu galoppieren, dann kann man sich den Kalauer nicht verkneifen, dass sich hier einer eher vergaloppiert hat.