Elke Durak: Rom also im Ausnahmezustand quasi. Der Papst stirbt und die ganze Welt schaut zu, nimmt Anteil bis zu seinem allerletzten Tag hier, dem Tag seiner Beisetzung. Die Medien ermöglichen es, aber auch die katholische Kirche, weil sie es erlaubt und unterstützt. Staatsmänner und -frauen aus aller Welt lassen es sich nicht nehmen, dabei zu sein. Sie haben es gehört. Vielleicht ist es ja aus kirchlicher, aus religiöser Sicht ketzerisch zu sagen, das alles überschreitet wo möglich inzwischen Grenzen, ist übertrieben, zuweilen hysterisch und möglicherweise auch nicht von Gott gewollt, denn wer nutznießt im guten Glauben oder in schlechter Absicht von der großen Popularität des verstorbenen Papstes? - Am Telefon ist Monsignore Martin Hülskamp, bischöflicher Offizial im Bistum Münster. Er hatte und hat eine ganze Reihe von Aufgaben und Funktionen beim Vatikan und auch in Münster. Stichworte Kirchenrecht und Medienpolitik. Guten Morgen Herr Hülskamp.
Martin Hülskamp: Guten Morgen Frau Durak.
Durak: Im Ernst gefragt: finden Sie das noch angemessen, was sich da alles in Rom heute abspielt?
Hülskamp: Also Sie haben völlig Recht. Das was sich dort abspielt ist völlig beispiellos. Es gibt dafür keine Vergleichspunkte. Insofern beschleichen einen durchaus auch - wie soll ich sagen - gegenteilige Gefühle: auf der einen Seite eben die Freude darüber trotz des Abschiedes, dass der Tot des Papstes so großen Respekt findet, so großen Anklang, und auf der anderen Seite dann doch auch das Empfinden, dass hier etwas ganz Persönliches, nämlich das Sterben, das Verabschieden von einem Menschen stattfindet und gleichzeitig in eine Öffentlichkeit gezerrt wird, die ihres Gleichen sucht und die auch erbarmungslose Anzeichen und Anteile hat.
Durak: Was heißt gezerrt wird? Die katholische Kirche erlaubt es doch?
Hülskamp: Auf der einen Seite erlaubt sie es, richtig. Das ist wahr. Aber ich erinnere mich jetzt insbesondere auch an die Todesstunde des Papstes. Da wurde nach meinem Empfinden jedenfalls wirklich gezerrt von den Medien, nämlich am Freitag, am Samstag - Sie erinnern sich vielleicht -, wo man regelrecht den Vatikan ausfringen wollte nach neuen Nachrichten und eine neue Nachricht konnte nur eine schlechte Nachricht sein, nämlich der Tot des Papstes. Die sollte dann doch irgendwie - so hatte man das Empfinden jedenfalls - auch in ein mediales Raster hereinoperiert werden. Das kam mir schon sehr schwierig und sehr gezerrt vor. Jetzt - da haben Sie Recht - ist es mit Erlaubnis der katholischen Kirche so, dass die Menschen Anteil nehmen können und Anteil nehmen wollen an den Feierlichkeiten, sicherlich in einer Weise, viel mehr als das in den zurückliegenden Jahren - ich erinnere mich an Papst Paul VI. - gewesen ist und einfach auch sein konnte, weil die medialen Mittel heute zur Verfügung stehen: Stichwort Großleinwand, Stichwort Direktübertragung aus allen möglichen Winkeln des Vatikan, was früher in dieser Weise eben nicht möglich war.
Durak: Herr Hülskamp, die katholische Kirche steht bis zum letzten Tag von Johannes Paul II. auf Erden in unerhörtem Medieninteresse. Sie haben es gesagt. Das kann ihr doch eigentlich nur nützen, denn wer weiß, unter welchen Umständen die wieder so möglich ist. Aber könnte sie nicht auch Schaden nehmen?
Hülskamp: Das ist wiederum, wie ich finde, etwas zwiespältig. Natürlich hat sich die katholische Kirche durch diesen Papst zu einem medialen Ereignis gemacht. Der Papst hat die Kirche und die Welt und die Weltkirche zu einem globalen Dorf gemacht und das spiegelt sich jetzt in Rom auch wieder. Die Dorfbewohner kommen sozusagen zu demjenigen, der ihnen jetzt fehlt.
Auf der anderen Seite entsteht dadurch natürlich auch eine Öffentlichkeit und auch ein Druck auf die katholische Kirche, die jetzt wirklich erbarmungslos gewissermaßen auch aus der Nähe betrachtet und auch kontrolliert wird. Das heißt alles, was ein neuer Papst tun muss, wird auch irgendwo an dieser veröffentlichten Meinung, an dieser Form von Präsenz gemessen werden müssen. Sie haben also Recht: das ist eine durchaus zweischneidige Geschichte.
Durak: Die Zahl der Katholiken weit ab von Europa, die nimmt zu, aber in Europa, speziell in Deutschland, eben nicht. Könnte dies auch mit dem Tot von Johannes Paul II. sich fortsetzen?
Hülskamp: Das weiß ich nicht. Ich vermute, dass ein Teil dieses Interesses und dieser großen medialen Begleitung in allen vor allen Dingen Fernsehanstalten und Radioanstalten, auch der Privaten und Kommerziellen ja interessanterweise, mit zurückzuführen ist auf sagen wir mal ein respektvolles Interesse aus einer gewissen Distanz heraus, die auch mit Ignoranz zu tun hat. Es entsteht durch die größere Säkularisierung auch irgendwo wieder ein Interesse, zumindest ein Staunen, ein überrascht sein an Dingen, die man eigentlich schon vergessen hatte und die man jetzt ganz neu entdeckt. Ob das nun fruchtbar wird für die Kirche, oder ob es dann so wieder abstirbt nach dem ersten Staunen und mit Anschauen, das wird sich zeigen müssen.
Durak: Welche Rolle spielt dabei die Person des Papstes, wer neuer Papst wird beispielsweise? Da gibt es ja auch schon sozusagen Volksgespräche, Meinungen, also wenn der Ratzinger das wird, dann trete ich aus.
Hülskamp: Ja. Da sagen die Leute manchmal auch etwas unüberlegt durchaus nicht ganz logische Dinge. Auf der einen Seite finden sie, wie ich kürzlich im Radio und im Fernsehen gehört habe, sie fänden es ganz toll, wenn es ein Deutscher würde - und der bekannteste Deutsche ist da nun mal Kardinal Ratzinger -, auf der anderen Seite sagen sie dann so etwas wie Sie vermuten, nämlich wenn der es wird, dann trete ich aus. Also es geht hier offenbar nicht nur mit ganz logischen Kriterien zu, sondern es ist ein Gemenge von Gefühlen und Empfindungen und Hoffnungen, die da im Raum stehen.
Die Kandidatenfrage ist naturgemäß immer ein Lesen im Kaffeesatz und eine Spekulation erster Klasse. Dass dieser Papst Papst werden würde, war nicht ausgemachte Sache im Vorfeld. Es war eine Überraschung damals. Die Kardinäle werden sich schon noch etwas einfallen lassen müssen, um einen Nachfolger zu finden, der auf der einen Seite an das anknüpft, was der jetzige Papst sozusagen in Vorlage gebracht hat, und der auf der anderen Seite - davon bin ich auch irgendwo sehr überzeugt - ein völlig anderer Papst sein muss. Denn das, was der jetzige getan hat, lässt sich nicht einfach mehr potenzieren, sondern es muss denke ich schon eine neue Art des Papsttums auch entdeckt werden, die - so vermute ich auch - sehr viel bescheidenere und zurückhaltendere Züge tragen muss als dasjenige, was wir in den vergangenen 26 Jahren erleben durften. Ich sage das durchaus positiv.
Durak: Und trotzdem höre ich Kritik heraus aus Ihren Worten an der Art und Weise, wie Johannes Paul II. sein Pontifikat geführt hat?
Hülskamp: Ich will das nicht als Kritik bezeichnen, sondern zunächst mal als eine Beschreibung. Der Papst kam aus Polen, aus einem Land, das mit einer großen kirchlichen Mehrheit, aber das in Unterdrückung lebte. Er war gekennzeichnet von der Notwendigkeit, dass die Kirche geschlossen sein musste, dass sie wahrnehmbar sein musste gegenüber dem Staat, um nicht unter zu gehen und nicht sozusagen auseinanderdividiert zu werden. Das sind Grundkategorien des bisherigen Papstes gewesen, die einfach zu seiner Biographie gehören, und die hat er auf die Weltkirche übertragen. Das heißt alles spielte sich in einer gewissen Größe, in großen Quantitäten ab. Das zeichnete sein Pontifikat aus und er konnte das auch erreichen und umsetzen. Ich bin mir nicht sicher, ob das in Zukunft immer so weitergetrieben werden kann und getrieben werden muss in diesen großen Zahlen, in diesen großen Quantitäten mit den vielen Texten. Man spricht von über 80.000 Seiten, die der Papst gewissermaßen beschrieben hat. Ob man das alles lesen kann, umsetzen kann, beherzigen kann, das halte ich dann doch für eine große Frage. Ich könnte mir also gut vorstellen, dass in einem neuen Pontifikat auch die Bescheidenheit neu erfunden werden muss.
Durak: Es wird auch ganz deutlich davon gesprochen - da muss man ja nicht hier herumdiskutieren -, dass sich ein Reformstau gebildet hat, den Papst Johannes Paul II. im Grunde hinterlassen hat, innerkirchlich, aber auch was die Frauen und die Kinder dieser Welt betrifft. Herr Hülskamp, das gewaltige Interesse der Weltöffentlichkeit und auch die unglaubliche Anteilnahme von Millionen Menschen auf dieser Welt, das könnte man doch auch in der katholischen Kirche als Aufforderung, als Verpflichtung betrachten, eben diese Dinge rasch anzugehen. Wären Sie dafür?
Hülskamp: Ich habe zehn Jahre meines Lebens in Rom gearbeitet und ich habe gelernt, dass es eine gesunde Spannung geben muss, eine gesunde Spannung nämlich zwischen denjenigen, die versuchen, in ihren Lebensorten, wo sie sind, irgendwo auf der Welt, den Glauben konkret zu leben, konkret anzupassen auch an ihre Lebenswirklichkeiten. Das ist die eine Seite und es muss auf der anderen Seite auch im Interesse der Identität der Kirche sozusagen die Autorität geben, die also an den substanziellen Dingen des Glaubens festhält, um das Gesicht, wenn Sie so wollen, der Kirche nicht gestaltlos werden zu lassen und die Botschaft und die Inhalte nicht zu verwässern. Wo da jetzt die Grenze liegt und was zum Wesen der Kirche gehört und zu ihrer Identität und was nicht dazu gehört, das vermag ich jetzt im Letzten nicht zu sagen. Aber diese Auseinandersetzung zwischen der Zentrale und der Peripherie und den Bedürfnissen und Empfindungen der einzelnen, das wird sicherlich sehr viel stärker uns in Zukunft beschäftigen, als das in den vergangenen Jahren gewesen ist. Davon bin ich überzeugt.
Durak: Noch einmal kurz konkret nachgefragt. Schwangerschaftsabbrüche, Benutzung von Kondomen und andere Verhütungsmittel, wird sich da rasch etwas ändern?
Hülskamp: Das kann ich nicht genau sagen. Ich vermute zunächst einmal weniger. Der Papst hat ja nicht eine Privatmeinung vertreten, sondern er hat, wenn auch sehr dezidiert, die Lehre der Kirche vertreten. Ich glaube weniger, dass sich auf absehbare Zeit dort Grundlegendes ändern wird. Es könnte sein, dass die Begründungszusammenhänge anders werden. Es könnte natürlich auch sein, dass die Entscheidung für oder gegen bestimmte Maßnahmen dann auch noch mehr und deutlicher in die Gewissensebene des Einzelnen gelegt werden. Aber ich denke schon, dass an der Substanz der Lehre der Kirche sich in dieser Hinsicht wohl eher weniger ändern wird.
Durak: Monsignore Martin Hülskamp, bischöflicher Offizial im Bistum Münster. Besten Dank für das Gespräch, Herr Hülskamp.
Martin Hülskamp: Guten Morgen Frau Durak.
Durak: Im Ernst gefragt: finden Sie das noch angemessen, was sich da alles in Rom heute abspielt?
Hülskamp: Also Sie haben völlig Recht. Das was sich dort abspielt ist völlig beispiellos. Es gibt dafür keine Vergleichspunkte. Insofern beschleichen einen durchaus auch - wie soll ich sagen - gegenteilige Gefühle: auf der einen Seite eben die Freude darüber trotz des Abschiedes, dass der Tot des Papstes so großen Respekt findet, so großen Anklang, und auf der anderen Seite dann doch auch das Empfinden, dass hier etwas ganz Persönliches, nämlich das Sterben, das Verabschieden von einem Menschen stattfindet und gleichzeitig in eine Öffentlichkeit gezerrt wird, die ihres Gleichen sucht und die auch erbarmungslose Anzeichen und Anteile hat.
Durak: Was heißt gezerrt wird? Die katholische Kirche erlaubt es doch?
Hülskamp: Auf der einen Seite erlaubt sie es, richtig. Das ist wahr. Aber ich erinnere mich jetzt insbesondere auch an die Todesstunde des Papstes. Da wurde nach meinem Empfinden jedenfalls wirklich gezerrt von den Medien, nämlich am Freitag, am Samstag - Sie erinnern sich vielleicht -, wo man regelrecht den Vatikan ausfringen wollte nach neuen Nachrichten und eine neue Nachricht konnte nur eine schlechte Nachricht sein, nämlich der Tot des Papstes. Die sollte dann doch irgendwie - so hatte man das Empfinden jedenfalls - auch in ein mediales Raster hereinoperiert werden. Das kam mir schon sehr schwierig und sehr gezerrt vor. Jetzt - da haben Sie Recht - ist es mit Erlaubnis der katholischen Kirche so, dass die Menschen Anteil nehmen können und Anteil nehmen wollen an den Feierlichkeiten, sicherlich in einer Weise, viel mehr als das in den zurückliegenden Jahren - ich erinnere mich an Papst Paul VI. - gewesen ist und einfach auch sein konnte, weil die medialen Mittel heute zur Verfügung stehen: Stichwort Großleinwand, Stichwort Direktübertragung aus allen möglichen Winkeln des Vatikan, was früher in dieser Weise eben nicht möglich war.
Durak: Herr Hülskamp, die katholische Kirche steht bis zum letzten Tag von Johannes Paul II. auf Erden in unerhörtem Medieninteresse. Sie haben es gesagt. Das kann ihr doch eigentlich nur nützen, denn wer weiß, unter welchen Umständen die wieder so möglich ist. Aber könnte sie nicht auch Schaden nehmen?
Hülskamp: Das ist wiederum, wie ich finde, etwas zwiespältig. Natürlich hat sich die katholische Kirche durch diesen Papst zu einem medialen Ereignis gemacht. Der Papst hat die Kirche und die Welt und die Weltkirche zu einem globalen Dorf gemacht und das spiegelt sich jetzt in Rom auch wieder. Die Dorfbewohner kommen sozusagen zu demjenigen, der ihnen jetzt fehlt.
Auf der anderen Seite entsteht dadurch natürlich auch eine Öffentlichkeit und auch ein Druck auf die katholische Kirche, die jetzt wirklich erbarmungslos gewissermaßen auch aus der Nähe betrachtet und auch kontrolliert wird. Das heißt alles, was ein neuer Papst tun muss, wird auch irgendwo an dieser veröffentlichten Meinung, an dieser Form von Präsenz gemessen werden müssen. Sie haben also Recht: das ist eine durchaus zweischneidige Geschichte.
Durak: Die Zahl der Katholiken weit ab von Europa, die nimmt zu, aber in Europa, speziell in Deutschland, eben nicht. Könnte dies auch mit dem Tot von Johannes Paul II. sich fortsetzen?
Hülskamp: Das weiß ich nicht. Ich vermute, dass ein Teil dieses Interesses und dieser großen medialen Begleitung in allen vor allen Dingen Fernsehanstalten und Radioanstalten, auch der Privaten und Kommerziellen ja interessanterweise, mit zurückzuführen ist auf sagen wir mal ein respektvolles Interesse aus einer gewissen Distanz heraus, die auch mit Ignoranz zu tun hat. Es entsteht durch die größere Säkularisierung auch irgendwo wieder ein Interesse, zumindest ein Staunen, ein überrascht sein an Dingen, die man eigentlich schon vergessen hatte und die man jetzt ganz neu entdeckt. Ob das nun fruchtbar wird für die Kirche, oder ob es dann so wieder abstirbt nach dem ersten Staunen und mit Anschauen, das wird sich zeigen müssen.
Durak: Welche Rolle spielt dabei die Person des Papstes, wer neuer Papst wird beispielsweise? Da gibt es ja auch schon sozusagen Volksgespräche, Meinungen, also wenn der Ratzinger das wird, dann trete ich aus.
Hülskamp: Ja. Da sagen die Leute manchmal auch etwas unüberlegt durchaus nicht ganz logische Dinge. Auf der einen Seite finden sie, wie ich kürzlich im Radio und im Fernsehen gehört habe, sie fänden es ganz toll, wenn es ein Deutscher würde - und der bekannteste Deutsche ist da nun mal Kardinal Ratzinger -, auf der anderen Seite sagen sie dann so etwas wie Sie vermuten, nämlich wenn der es wird, dann trete ich aus. Also es geht hier offenbar nicht nur mit ganz logischen Kriterien zu, sondern es ist ein Gemenge von Gefühlen und Empfindungen und Hoffnungen, die da im Raum stehen.
Die Kandidatenfrage ist naturgemäß immer ein Lesen im Kaffeesatz und eine Spekulation erster Klasse. Dass dieser Papst Papst werden würde, war nicht ausgemachte Sache im Vorfeld. Es war eine Überraschung damals. Die Kardinäle werden sich schon noch etwas einfallen lassen müssen, um einen Nachfolger zu finden, der auf der einen Seite an das anknüpft, was der jetzige Papst sozusagen in Vorlage gebracht hat, und der auf der anderen Seite - davon bin ich auch irgendwo sehr überzeugt - ein völlig anderer Papst sein muss. Denn das, was der jetzige getan hat, lässt sich nicht einfach mehr potenzieren, sondern es muss denke ich schon eine neue Art des Papsttums auch entdeckt werden, die - so vermute ich auch - sehr viel bescheidenere und zurückhaltendere Züge tragen muss als dasjenige, was wir in den vergangenen 26 Jahren erleben durften. Ich sage das durchaus positiv.
Durak: Und trotzdem höre ich Kritik heraus aus Ihren Worten an der Art und Weise, wie Johannes Paul II. sein Pontifikat geführt hat?
Hülskamp: Ich will das nicht als Kritik bezeichnen, sondern zunächst mal als eine Beschreibung. Der Papst kam aus Polen, aus einem Land, das mit einer großen kirchlichen Mehrheit, aber das in Unterdrückung lebte. Er war gekennzeichnet von der Notwendigkeit, dass die Kirche geschlossen sein musste, dass sie wahrnehmbar sein musste gegenüber dem Staat, um nicht unter zu gehen und nicht sozusagen auseinanderdividiert zu werden. Das sind Grundkategorien des bisherigen Papstes gewesen, die einfach zu seiner Biographie gehören, und die hat er auf die Weltkirche übertragen. Das heißt alles spielte sich in einer gewissen Größe, in großen Quantitäten ab. Das zeichnete sein Pontifikat aus und er konnte das auch erreichen und umsetzen. Ich bin mir nicht sicher, ob das in Zukunft immer so weitergetrieben werden kann und getrieben werden muss in diesen großen Zahlen, in diesen großen Quantitäten mit den vielen Texten. Man spricht von über 80.000 Seiten, die der Papst gewissermaßen beschrieben hat. Ob man das alles lesen kann, umsetzen kann, beherzigen kann, das halte ich dann doch für eine große Frage. Ich könnte mir also gut vorstellen, dass in einem neuen Pontifikat auch die Bescheidenheit neu erfunden werden muss.
Durak: Es wird auch ganz deutlich davon gesprochen - da muss man ja nicht hier herumdiskutieren -, dass sich ein Reformstau gebildet hat, den Papst Johannes Paul II. im Grunde hinterlassen hat, innerkirchlich, aber auch was die Frauen und die Kinder dieser Welt betrifft. Herr Hülskamp, das gewaltige Interesse der Weltöffentlichkeit und auch die unglaubliche Anteilnahme von Millionen Menschen auf dieser Welt, das könnte man doch auch in der katholischen Kirche als Aufforderung, als Verpflichtung betrachten, eben diese Dinge rasch anzugehen. Wären Sie dafür?
Hülskamp: Ich habe zehn Jahre meines Lebens in Rom gearbeitet und ich habe gelernt, dass es eine gesunde Spannung geben muss, eine gesunde Spannung nämlich zwischen denjenigen, die versuchen, in ihren Lebensorten, wo sie sind, irgendwo auf der Welt, den Glauben konkret zu leben, konkret anzupassen auch an ihre Lebenswirklichkeiten. Das ist die eine Seite und es muss auf der anderen Seite auch im Interesse der Identität der Kirche sozusagen die Autorität geben, die also an den substanziellen Dingen des Glaubens festhält, um das Gesicht, wenn Sie so wollen, der Kirche nicht gestaltlos werden zu lassen und die Botschaft und die Inhalte nicht zu verwässern. Wo da jetzt die Grenze liegt und was zum Wesen der Kirche gehört und zu ihrer Identität und was nicht dazu gehört, das vermag ich jetzt im Letzten nicht zu sagen. Aber diese Auseinandersetzung zwischen der Zentrale und der Peripherie und den Bedürfnissen und Empfindungen der einzelnen, das wird sicherlich sehr viel stärker uns in Zukunft beschäftigen, als das in den vergangenen Jahren gewesen ist. Davon bin ich überzeugt.
Durak: Noch einmal kurz konkret nachgefragt. Schwangerschaftsabbrüche, Benutzung von Kondomen und andere Verhütungsmittel, wird sich da rasch etwas ändern?
Hülskamp: Das kann ich nicht genau sagen. Ich vermute zunächst einmal weniger. Der Papst hat ja nicht eine Privatmeinung vertreten, sondern er hat, wenn auch sehr dezidiert, die Lehre der Kirche vertreten. Ich glaube weniger, dass sich auf absehbare Zeit dort Grundlegendes ändern wird. Es könnte sein, dass die Begründungszusammenhänge anders werden. Es könnte natürlich auch sein, dass die Entscheidung für oder gegen bestimmte Maßnahmen dann auch noch mehr und deutlicher in die Gewissensebene des Einzelnen gelegt werden. Aber ich denke schon, dass an der Substanz der Lehre der Kirche sich in dieser Hinsicht wohl eher weniger ändern wird.
Durak: Monsignore Martin Hülskamp, bischöflicher Offizial im Bistum Münster. Besten Dank für das Gespräch, Herr Hülskamp.