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Kirchliche Gemeinden
Die Seele der Singles

Wer nicht in einer Partnerschaft lebt und keine Kinder hat, fühlt sich in Kirchengemeinden oft fremd. Denn dort ist Vieles auf Familien ausgerichtet. Was Singles bewegt, wird wenig berücksichtigt. Doch erste Gemeinden beginnen nun damit, die Singleseelsorge auszubauen.

Von Gabriele Höfling | 24.09.2019
Frau sitzt im Magdeburger Dom inmitten leerer Stuhlreihen und betet.
Auch Jesus war Single - und viele Singles wünschen sich mehr Angebote von ihren Kirchengemeinden für ihre Lebensform (imago )
Magarete Weber ist 55 Jahre alt und lebt in Köln. Ihren wirklichen Namen möchte sie nicht nennen. Mit dem, was sie zu erzählen hat, steht sie zwar nicht allein, aber es ist ihr ein bisschen unangenehm. Sie lebt seit rund zehn Jahren nicht mehr in einer Beziehung. Alleinstehende wurden Menschen wie sie früher oft mitleidig genannt, seit vielen Jahren heißen sie Single. Magarete Weber empfindet ihr Single-Dasein oft als Vorteil: sie muss im Alltag keine Kompromisse eingehen, nicht rund um die Uhr für Kinder da sein, kann ihren Interessen uneingeschränkt nachgehen. Doch es gibt es auch Situationen, in denen ihr Leben allein schwerfällt: Wenn sie mal krank im Bett liegt und trotzdem alles allein organisieren muss zum Beispiel. Oder auch an Feiertagen:
"Es fällt einem dann manchmal die Decke auf den Kopf, so grad am Sonntag, wenn dann alle Paare irgendwie was Schönes machen und wenn ich dann nicht vorgesorgt hab und mich verabredet hab, kann das auch sehr unangenehm werden. Ich kenn durchaus auch wirklich so Attacken von Einsamkeit. Das ist manchmal auf einfach mit dabei. Und da dann freundlich mit umzugehen, das ist manchmal gar nicht so einfach."
Lebensfragen klein und groß
Und so geht es vielen, weiß die evangelische Theologin Astrid Eichler. Die 61-Jährige ist ihr Leben lang als Single unterwegs. Um sich mit anderen in der gleichen Situation auszutauschen, initiierte sie 2006 das Netzwerk "Solo und Co". Mittlerweile nutzen die überkonfessionelle Plattform deutschlandweit rund 1.500 bis 2.000 Frauen und Männer. Was Singles in ihrer Lebenssituation beschäftigt, beschreibt Astrid Eichler so:
"In der jüngeren Lebensphase, also unter 40, ganz besonders für Frauen das Thema Kinderwunsch, das ist ein ganz existentielles Thema, dann später ab 45 plus, 50: mit wem werd' ich alt, ja, die zentralen Fragen, mit wem fahre ich in den Urlaub, mit wem feiere ich Weihnachten? Also auch da merken wir, es sind wieder die ganz existentiellen, großen Lebensfragen und es sind die ganz kleinen, alltäglichen Lebensfragen."
"Du hast doch Zeit"
Eine Situation die, so könnte man meinen, doch geradezu nach einer speziellen Seelsorge der Kirchen ruft. Doch eigene Mitarbeiter für die Singlepastoral sind höchst selten. Hedwig Lamberty, die diese Aufgabe seit 2016 für das Erzbistum Köln wahrnimmt, kennt kein einziges weiteres Bistum, das ebenfalls eine Singlereferentin beschäftigen würde. Und auch in den Gemeinden vor Ort gibt es nur selten explizite Angebote für Singles. Ihre ehrenamtliche Hilfe sei dafür umso mehr gefragt, sagt Hedwig Lamberty:
"Mir sagen viele Singles, sie würden dann von den Gemeinden schon mal gefragt, hey, du hast doch Zeit, du kannst doch beim Pfarrfest meinetwegen das Bier ausschenken oder die Bänke aufbauen oder da oder dort helfen und da fühlen sie sich überhaupt nicht wertgeschätzt, da ziehen sie sich dann auch zurück aus den Gemeinden."
Wie Singles und die Kirche zueinander stehen, das wird mittlerweile sogar wissenschaftlich untersucht. Die CVJM-Hochschule in Kassel hat für eine Studie gut 3.000 evangelische, hochreligiöse Singles befragt – also solche, in deren Leben der Glaube eine zentrale Rolle spielt. Wichtiges Ergebnis: Singles sind mit ihrem Leben deutlich zufriedener, wenn sie aktiv in eine Gemeinde eingebunden sind. Doch Studienleiter Tobias Künkler bestätigt den Eindruck, dass sich manche auch ausgenutzt fühlen.
"Dieses Klischee, die sind diejenigen, die haben viele zeitliche Ressourcen zur Verfügung, weil sie keine Familie haben. Und in vielen Kirchengemeinden werden sie vor allen Dingen dann in den Blick genommen als potentielle ehrenamtliche Mitarbeiter. Und da reagieren doch einige sehr allergisch darauf verständlicherweise, wenn sie da so verzweckt werden."
Kirchliches Familienideal
Rund 50 Prozent der Befragten wünschen sich pastorale Angebote, die speziell auf Singles zugeschnitten sind, aber nur rund sechs Prozent gaben an, dass es eine solche Seelsorge in ihren Gemeinden bereits gibt. Überhaupt ist das Verhältnis zwischen Singles und Kirchen nicht gerade einfach. Denn es gibt theologische Moralvorstellungen, denen Singles in ihrer Lebensweise einfach nicht genügen können – zum Beispiel das Familienideal. Da sei es an der Kirche, ihre Perspektive zu weiten, meint Singlereferentin Lamberty:
"Es gibt eben auch Menschen, die sehr ungewollt alleine bleiben, die hätten gerne Familie und auch Kinder. Aber aus welchen Gründen auch immer ist es nicht gelungen und da finde ich es wichtig, dass man sie in ihrer Lebensform auch in den Blick nimmt. Aber wie gesagt, die Kirche, katholische Kirche, hat vor allen Dingen immer auf Familien geschaut. Und dadurch gerieten Singles so ein bisschen ins Hintertreffen. "
Auch mit der kirchlichen Sexualmoral könnten Singles in Konflikt geraten, sagt Soziologe Tobias Künkler:
"Dass es eben sehr strenge Sexualnormen gibt, Sexualität als etwas angesehen wird, was eigentlich nur in der Ehe gelebt werden darf und die Frage, wie können denn Singles mit ihren sexuellen Bedürfnissen überhaupt angemessen und legitim umgehen, überhaupt nicht thematisiert wird."
Auch Jesus war Single
Diese theologischen Faktoren, verbunden mit einem bisweilen etwas ungeschickten Agieren von Gemeinden, führt laut den Experten bei nicht wenigen Singles zu einer gewissen Distanz zur Kirche. Eine Distanz, die mit Blick auf das Leben Jesu allerdings unbegründet ist – darauf weist Astrid Eichler vom Netzwerk "Solo und Co." hin.
"Jesus war Single. Jesus hat als jüdischer Rabbi unverheiratet gelebt. Seit Jesus gibt es eine neue Lebensmöglichkeit, die es vorher so im jüdischen Kontext so nicht gab. Dass Würde eines Menschen und Wert eines Menschen nicht von Ehe, Beziehungsstatus und Lebensstand abhängt."
Für einen guten Umgang miteinander sieht Eichler aber auch die Singles in der Pflicht:
"Wenn dann so die Singles all ihre Idealvorstellungen auf Familie projizieren, dann ist es halt an der Zeit auch mal zu sagen: Leute, so isses aber auch nicht. So auch zu sehen, Mensch, Familie ist bei Weitem nicht nur Zuckerschlecken, und Beziehung ist Beziehungsarbeit. Und verheiratet zu sein heißt nicht, meine Bedürfnisse sind jetzt alle befriedigt. Also das ist ja wirklich ein absoluter Trugschluss."
Nach der Zukunft gefragt, sind sich alle Gesprächspartner einig, dass die Singlepastoral ausgebaut werden sollte – sei es nun in den Gemeinden oder auf höherer, beispielsweise diözesaner Ebene. Für die Katholikin Magarete Weber ist in der Seelsorge noch viel Luft nach oben:
"In den Fürbitten, dass einfach Singles mal eine Erwähnung finden und dass nicht immer nur für die Familien und für die alten und für die Kranken gebetet wird, sondern auch für die vielen alleinstehenden Menschen. Ich hab das ja jetzt auch bei diesem einen Singlegottesdienst erlebt, dass es eine Segnung gab, eine Einzelsegnung, das hat mir sehr gut gefallen, einfach so, dass ich als Kind Gottes auch so gesehen werde von jemand anderem mal."
Gemeinschaftliches Leben
Hedwig Lamberty vom Erzbistum Köln hat zum Beispiel schon Single-Wochenenden angeboten, der nächste Single-Gottesdienst ist noch im Herbst geplant. Und in Astrid-Eichlers Netzwerk "Solo und Co" gibt es neben gemeinsamen Kinobesuchen und Urlauben auch die Idee, dass sich Singles in sogenannten "gemeinschaftlichen Lebenszellen" zusammentun: In die gleiche Straße oder das gleiche Haus ziehen, um das Leben verbindlich und mit einem spürbaren Bezug zum Glauben zu teilen. Und auf diesem Feld sieht Soziologe Künkler für die kriselnde Kirchen eine bisher noch ungenutzte, riesige Chance.
"Da fände ich es eben für eine Kirche in Transformation sehr spannend, sich zu überlegen, können wir eigentlich wieder eine neue Avantgarde werden, ganz neue Sozialformen zu erproben, in denen man so diese primäre Loyalität zu Christus einerseits einübt und andererseits, in der neue Vergemeinschaftungsformen geschaffen werden. Die monastischen Lebensformen waren in der Kirche mal so eine Avantgarde und eine soziale Innovation und die Frage ist, kann Kirche nicht etwas dafür machen, dass hier auch soziale Innovation in diese Richtung gefördert wird."
Und für so eine Lebensform, sagt Singlefrau Magarete Weber, wäre auch sie offen.