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Kita-Paradies Schweden

Ab dem ersten August gilt in Deutschland der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Damit werden die Probleme der Kinderbetreuung aber wohl nicht vom Tisch sein. Immer wieder wird die Familienpolitik in Schweden als Vorbild genannt. Doch ganz so leicht lässt sich das schwedische Modell nicht auf Deutschland übertragen.

Von Tim Krohn | 29.07.2013
    Wer in Stockholm in den Bus steigt, der sieht sofort, dass hier einiges anders läuft. Denn der Bus ist voll mit Kinderwagen, Kitagruppen und jungen Familien. Die Geburtenrate liegt höher als in Deutschland. Der Staat tut viel für den Nachwuchs, er tut es früh – und es zahlt sich offenbar aus.

    Auch Katja Stodtmeier ist heute mit dem Bus unterwegs. Katja spielt die Solobratsche an der Oper in Malmö. Vor drei Jahren ist die Mainzerin nach Schweden gezogen. Mit einem guten Engagement in der Tasche. Und mit Alma, ihrer kleinen Tochter. Das Mädchen geht heute Abend wieder ins Nattis. Zwei- bis dreimal die Woche schläft Alma hier, im Nachtkindergarten.

    "Alma weiß genau, welche Nachtschwester an dem Abend dann da ist. Das gibt natürlich ein sehr großes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Und sie fühlt sich mit allem sehr wohl.“"

    Drei Kindergärtnerinnen sorgen dafür, dass das mit dem Einschlafen auch ohne die Mami gut funktioniert. Fast 200 Kommunen in Schweden bieten inzwischen solche Nattis-Plätze an. Sie reagieren damit auf die längst veränderten Arbeitszeiten der jungen Eltern.

    Der Platz für Alma kostet – egal ob Tag oder Nacht – maximal 140 Euro im Monat, Verpflegung inklusive. 90 Prozent der Kinder in Schweden gehen in die Kita. Innerhalb von drei Monaten muss die Kommune einen Platz für sie anbieten. Denn die meisten Eltern wollen, oder besser: müssen zurück in den Job. Die meisten Mütter bleiben nur ein halbes oder höchstens ein Jahr lang bei ihrem Kind, erläutert Gunilla Arhén, die Gründerin des schwedischen Frauen-Netzwerkes "Ruter Dam":

    ""Es gibt natürlich Vor- und Nachteile. Wenn du als Frau aber Karriere machen willst, dann ist diese Art – sechs Monate für die Frau und sechs Monate für den Mann – am besten. So sind die Kinder während des ersten Jahres mit beiden Eltern zusammen und können dann in die Kita gehen. Immerhin sieht man heute ja auch Väter mit dem Kinderwagen. Vor zehn Jahren machten die Väter das noch nicht."

    Schwedische Männer können Vätermonate in Anspruch nehmen. Auch dieses Angebot wird zumindest in den Städten mittlerweile gerne genutzt. Auch die Betriebe haben sich auf die Kinder längst eingestellt. Dass jemand ein Meeting am späten Nachmittag verlässt, weil man eben zur Schwangerschaftsgymnastik muss, zur Spielgruppe oder zur Kita – wer da meckert, muss wohl ein Ausländer sein.

    "In den 50ern gab es auch hier eigentlich nur das Hausfrauenideal. Aber so ungefähr 1968, da drängten die schwedischen Frauen dann auf eine getrennte Besteuerung, sodass es sich zum ersten Mal wirklich lohnte, wenn beide Elternteile arbeiten. Und dazu wurde dann die Möglichkeit geschaffen, die Kinder in der Kita abzugeben."

    Der heutige Vorsprung der Skandinavier bei der Kinderbetreuung sei aber nicht erst nach 68 entstanden, sagt Gunilla Arhén. Die Gründe liegen tiefer. Familienförderung und Bildungspolitik seien eher aus der Not heraus gewachsen.

    Schweden und seine Nachbarn brauchten die Frauen schon früh auf dem Feld oder in der Fabrik als günstige Arbeitskraft. Zu Hause bei den Kindern zu bleiben, wäre der pure Luxus gewesen. Im alten sozialdemokratischen Volksheim-Modell der Schweden war die Rollenverteilung immer schon klar: Kinder erziehen, das übernimmt der Staat – egal, ob die Mütter das nun so wollen oder nicht.

    "Ich finde es positiv, dass sich der Staat so sehr bei der Erziehung engagiert. Sie hat ein hohes Niveau und ist mehr oder weniger kostenlos. Naja, sie ist steuerfinanziert, als wir werden vorher zur Kasse gebeten. Aber man kann schon sagen, in Schweden wird nicht an den Kindern gespart."

    Pär Landen ist ein stolzer Papa, ein typischer Schwede. Er und seine Frau sind Doppelverdiener. Das ist die Norm, denn ohne die beiden Gehälter kommt Familie Landen kaum über die Runden. Die Steuern sind hoch, die Lebenshaltungskosten auch.

    Die Betreuung von Pärs Sohn aber läuft auch in der Kita nicht reibungslos. Auch in Schweden gibt es Wartezeiten und Platzprobleme. In Stockholm oder Malmö haben die zuständigen Stellen in diesem Sommer Containerbüros bestellt, um den Andrang noch halbwegs zu bewältigen. Die Kommunen haben außerdem Personalsorgen.

    Egal, sagt Katja, die Musikerin aus Deutschland. Um acht Uhr morgens holt sie ihre Tochter aus dem Nachtkindergarten ab. Nach dem Konzert am Abend gehört der ganze lange Tag nur ihr und Alma:

    "Wenn es das Nattis-System in Deutschland gegeben hätte, wäre ich nicht ausgewandert."