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Kita-Tarifstreit
"Das ist eine völlig verfahrene Situation"

Nach der Ablehnung des Schlichterspruchs durch die Gewerkschaften im Kita-Tarifstreit sei die Situation völlig verfahren, sagte Thomas Böhle, Präsident der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände, im DLF. Für ein neues Angebot gebe es keine Grundlage, zudem seien die Kommunen an den Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit.

Thomas Böhle im Gespräch mit Andreas Kolbe | 11.08.2015
    Eine Kundgebung von Eltern und Kindern gegen den Kita-Streik in München. Zwei Teilnehmerinnen halten ein Plakat mit der Aufschrift "Wir können nicht mehr. Euer Nichtstun kostet uns die Existenz" in Händen.
    Thomas Böhle, Präsident der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände: "Sie können einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen." (Andreas Gebert, dpa picture-alliance)
    Andreas Kolbe: Viele, viele Wochen Kita-Streiks haben die Eltern in diesem Jahr schon gemeistert. Viele hatten auch die Hoffnung, dass der Tarifstreit mit der Schlichtung erledigt ist. Doch nun sieht es ganz anders aus: Es sieht ganz danach aus, als würde der Konflikt nach den Sommerferien in die nächste Runde gehen, denn die Gewerkschaftsmitglieder haben mehrheitlich die Annahme des Schlichterspruchs abgelehnt. Zwei bis viereinhalb Prozent mehr Geld, das ist vielen Beschäftigten offenbar zu wenig, gemessen an dem Anspruch, das Berufsbild der Erzieherin substanziell aufzuwerten. Heute nun hat die große Tarifkommission der Gewerkschaft Verdi entschieden, wie es in dem Tarifstreit weitergehen soll.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Thomas Böhle. Er ist der Verhandlungsführer der Arbeitgeber in diesem Tarifkonflikt als Präsident der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände. Schönen guten Tag, Herr Böhle.
    Thomas Böhle: Hallo, Herr Kolbe.
    Kolbe: Die Gewerkschaft lehnt den Schlichterspruch ab, fordert von Ihnen jetzt ein neues Angebot. Wird es denn eines geben?
    Böhle: Das ist eine völlig verfahrene Situation. Ein Schlichterspruch ist eigentlich dafür da, wie die gesamte Schlichtung, eine Tarifauseinandersetzung zu beenden, und es ist ziemlich absurd, einen solchen Schlichterspruch als Ausgangspunkt für neue Forderungen zu erheben.
    "Es fehlt doch jede Legitimation, da noch mal draufzusatteln"
    Kolbe: Das heißt für Sie? Gibt es ein neues Angebot oder nicht?
    Böhle: Nein, natürlich nicht. Wir können doch nicht bei einem austarierten Kompromiss, über den man acht Verhandlungsrunden hin verhandelt hat, wo zwei Schlichter mit zwei Verhandlungskommissionen fünf Tage und Nächte zusammensaßen, wo man dann mit beidseitigen Zugeständnissen zu einem Kompromiss von 3,3 Prozent im Schnitt kam, im einzelnen bis zu sechs Prozent bei den normalen Erzieherinnen, im Leitungsbereich noch darüber hinaus an Gehaltssteigerungen, wenn man einen solchen Schlichterspruch hat, dann fehlt doch jede Legitimation, da noch mal draufzusatteln.
    "Komunen sind an den Grenzen ihrer Belastbarkeit"
    Kolbe: Das heißt, wir müssen uns auf neue Kita-Streiks gefasst machen?
    Böhle: Ich hoffe nicht. Ich erkenne schon eine Änderung der Tonlage in den allerjüngsten Verlautbarungen von Verdi. Die klingen deutlich zurückhaltender als das, was nach der Streikdelegiertenkonferenz gesagt wurde. Ich habe Hoffnung, dass wir unter Nutzung der Kreativität, die ja an den Tag gelegt werden soll bei den Streikmaßnahmen, in den Verhandlungen vielleicht doch zu diesen und jenen Modifikationen kommen.
    Entscheidend ist aber, dass das Volumen, das Kostenvolumen eines ist, welches die Kommunen bereits jetzt an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt, und da sehe ich in der Tat keine substanziellen Möglichkeiten mehr nach oben.
    Kolbe: Wo sehen Sie denn Möglichkeiten für Modifikationen, wie Sie das nennen?
    Böhle: Ja es geht möglicherweise um die Verteilung etwaiger Zuwächse, dass man an diesen und jenen Stellen, bei denen das den Gewerkschaften ein besonderes Anliegen ist, umsteuert, und da mag es natürlich Sinn machen, dass man darüber redet, und das werden wir am Donnerstag tun.
    Kolbe: Wie lange müssen denn die Kita-Beschäftigten streiken, damit Sie sich das noch mal anders überlegen und vielleicht doch beim Geld ein bisschen was drauflegen?
    Böhle: Das setzt immer voraus, dass sie durch Streiks die kommunale Kassenlage in irgendeiner Art und Weise beeinflussen können.
    In der Vergangenheit wurde vier Wochen gestreikt, gar nicht mitgezählt die sogenannten Warnstreiks, die schon vor Beginn der Verhandlungen stattgefunden haben. Und Sie können einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen. Das geht nicht. Wir haben selber massive Probleme gehabt, diesen Schlichterspruch durchzubringen. Bereits der Schlichterspruch war nicht einstimmig bei uns. Und es gibt einzelne kommunale Arbeitgeber, die bereits aus der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber ausgetreten sind, weil ihnen dieser Schlichterspruch schon zu teuer war. Insofern werden Sie verstehen, dass es da in der Tat keine Luft nach oben mehr gibt - beim besten Willen.
    "Das ist ein Versagen der Gewerkschaftsführung"
    Kolbe: Es gab ja eine einvernehmliche Schlichtungsempfehlung. Die Gewerkschaften haben dem zunächst auch mal zugestimmt, bis dann die Basis dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Was ist denn aus Ihrer Sicht der Grund für das Scheitern jetzt dieser Schlichtung?
    Böhle: Für mich ist ziemlich undurchschaubar, wie diese Basisbeteiligung stattfand. Es scheint so zu sein, dass das nur innerhalb von Informationsveranstaltungen geschehen konnte, das heißt, dass nur dort die Stimme abgegeben werden konnte, und es gibt schon Anlass zu der Vermutung, dass in Bereichen, wo jetzt keine Streikbeteiligung war oder keine hohe Streikbeteiligung, gar keine Veranstaltungen waren.
    Mich würde einfach mal interessieren, wie hoch tatsächlich die Beteiligung an dieser Umfrage war. Dass diejenigen, die mit großem Engagement - das muss man ja durchaus zugestehen - auf die Straße gegangen sind, über das Ergebnis enttäuscht sind, das ist nachvollziehbar.
    Nur dass umgekehrt die Gewerkschaften es nicht schaffen, ihre Mitglieder von einem völlig überhöhten Erwartungshorizont zurückzuführen auf ein realistisches Maß, ist natürlich schon, wie ich finde, ein Versagen der Gewerkschaftsführung. Das kann aber weiß Gott nicht zu unseren Lasten gehen.
    Kolbe: ... sagt Thomas Böhle, der Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber in diesem Tarifkonflikt. Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.