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Klage gegen Schulpflicht
Jurist: Homeschooling in der Regel illegal

Der Jurist Günther Hoegg hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs begrüßt, eine Elternklage gegen die Schulpflicht abzuweisen. Eltern, die ihre Kinder von der Schule fernhielten, handelten illegal, sagte er im Dlf. Die Fälle, in denen Heimunterricht erlaubt sei, könne man an einer Hand abzählen.

Günther Hoegg im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Ein leeres Klassenzimmer
    Manche Eltern glaubten, dass sie zu Hause ihren Kindern eine bessere Erziehung, Beschulung geben könnten. Das sei falsch, sagte der ehemalige Lehrer und Experte für Schulrecht, Günther Hoegg, im Dlf. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Benedikt Schulz: Ein Elternpaar aus Hessen verweigert seinen vier Kindern den Schulbesuch. Der Grund: religiöse Überzeugungen. Der Staat beziehungsweise die Schulbehörden und hessische Gerichte haben daraufhin durchgegriffen und – nachdem Geldbußen zu keinem Ergebnis geführt haben – den Eltern teilweise das Sorgerecht entzogen, die Kinder kamen für drei Wochen in ein Kinderheim. Dagegen haben die Eltern geklagt, haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Beschwerde eingelegt, die heute von den Richtern dort abgewiesen wurde.
    Bei dieser Entscheidung ging es in erster Linie darum, ob die Maßnahmen der Behörde gerechtfertigt waren, um die Schulpflicht ging es eher indirekt. Aber natürlich – die Schulpflicht, beziehungsweise deren Durchsetzung, ist der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen.
    Immer wieder stellen Eltern die Schulpflicht infrage, und immer wieder, wenn auch sehr selten, kommt es eben auch vor, dass Kinder zu Hause beschult werden, obwohl das nicht erlaubt ist. Wir sprechen über die Schulpflicht, und zwar mit Günther Hoegg, Jurist und Experte für Schulrecht, er hat außerdem selbst lange Jahre als Lehrer unterrichtet. Herr Hoegg, ich grüße Sie, hallo!
    Günther Hoegg: Ja, Herr Schulz, ich grüße Sie ebenfalls!
    Schulz: Die Schulpflicht in Deutschland, die gilt ohne Ausnahme. Und doch, es gibt Ausnahmen, also Fälle von Heimunterricht. Unter welchen Umständen ist eine Beschulung von Kindern zu Hause überhaupt möglich oder denkbar?
    Hoegg: Die können Sie wirklich an einer Hand abzählen. Das sind zum einen Kinder von Diplomaten, es sind zum Beispiel Schüler, die schwer erkrankt sind, die nicht in die Schule kommen können, sondern dann im Krankenhaus unterrichtet werden, und es sind Kinder von Schaustellern. Aber das sind eigentlich die wesentlichen Gründe. Das heißt, für normale Eltern, die mit der staatlichen Schule nicht zufrieden sind, gibt es keinen Rechtsanspruch, irgendwie die Kinder zu Hause zu beschulen.
    Schulz: Aber es kommt nichtsdestotrotz vor. Das heißt, diejenigen, die das tun, die machen das illegal.
    Hoegg: Ja, natürlich. Sie machen das illegal, ich verstehe schon so ein bisschen die Argumente, weil es natürlich auch in der staatlichen Schule Probleme gibt, es läuft nicht alles rund. Und manche Eltern glauben eben, gerade religiös motivierte, das hatten Sie ja gesagt, dass sie natürlich zu Hause ihren Kindern eine bessere Erziehung, Beschulung geben könnten – aber das ist natürlich falsch.
    "Die Eltern haben nicht recht"
    Schulz: Die Eltern, die da Beschwerde eingelegt haben, die haben argumentiert, der Staat selbst habe keinen Erziehungsauftrag, und der liegt – tatsächlich ja grundgesetzlich verankert – bei den Eltern, Artikel sechs des Grundgesetzes. Und die Schulpflicht schränkt dieses Recht der Eltern ja im Grunde genommen ein. Habe die Eltern da nicht recht, ist das Argument nicht stichhaltig?
    Hoegg: Nein, die Eltern haben nicht recht, weil die Schule einen Bildungsauftrag hat, und dieser Bildungsauftrag setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Das eine ist die Unterrichtung, das heißt die Vermittlung von Wissen.
    Daneben hat aber auch die Schule das Recht, eben zu erziehen, und zwar gerade im Sinne einer kollektiven Erziehung, weil es ja wichtig ist, in unserer modernen Gesellschaft, dass man nicht nur mit den eigenen Geschwistern klarkommt, sondern es ist auch wichtig, dass man eben mit anderen Kindern, Jugendlichen klarkommt, die nicht zum Familienkreis, nicht zum Freundeskreis gehören.
    Eltern haben andere Möglichkeiten, auf ihre Kinder pädagogisch einzuwirken
    Schulz: Aber dieses staatliche Interesse an dieser kollektiven Erziehung oder eben auch einer Verhinderung von Parallelgesellschaft, rechtfertigt das diesen ja nicht unbeträchtlichen Eingriff in die Privat- oder in die Erziehungssphäre der Eltern?
    Hoegg: Auf jeden Fall, denn schauen Sie, kritische Eltern haben ja mehrere Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit wäre, diese Eltern hätten ihr Kind zum Beispiel an eine Konfessionsschule geben können. Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Privatschulen, die ja auch zulässig sind, da kann man Schüler hinschicken.
    Die zweite Möglichkeit der Eltern ist, sie können natürlich – und gerade bei religiös motivierten Eltern ist das immer der Fall –, sie können ihr Kind vorher immunisieren, dass sie zum Beispiel sagen, das, was ihr heute im Unterricht hört - Sie wissen, es gibt das sogenannte Krabat-Urteil, wo es um Zauberei geht, was ja einigen Eltern nicht gefällt, sie können ihr Kind vorher immunisieren und sie können auch nach der Lektüre dieses Buches ihre Kinder, ich sage mal, geistig reinigen, indem sie sagen, das, was ihr alles in der Schule gehört habt, das ist völliger Unfug. Das heißt, den Eltern bleiben jede Menge Möglichkeiten, um erzieherisch, pädagogisch auf ihre Kinder einzuwirken.
    Kollektive Erziehung nicht alleine den Eltern überlassen
    Schulz: Von was für Dimensionen sprechen wir eigentlich? Wie oft kommt es denn vor, dass die Schulpflicht verletzt wird und solche Fälle gar vor Gericht landen? Haben Sie da Zahlen oder haben Sie da Ausmaße?
    Hoegg: Nein, das ist … Ich sage mal, wir haben hier eine deutliche andere Situation als in anderen europäischen Ländern. In Frankreich ist ja dieses Homeschooling, dieses private Beschulen durchaus möglich, auch in angelsächsischen Ländern ist das möglich. In Deutschland ist es eben nicht zulässig, und das ist wirklich nur eine sehr, sehr geringe Zahl, die das versucht, und die Zahl derjenigen, die sich da durchsetzen, ist ja mittlerweile noch geringer, sie ist auf null geschwunden.
    Aber das hängt damit zusammen, dass zum Beispiel andere Länder – das Recht haben die auch – wie Frankreich oder auch England, die sehen eben den Schwerpunkt der Schule in der Unterrichtung. Und das heißt, die Erziehung der Kinder ist bei ihnen eben deutlich wichtiger, während wir in Deutschland eben der Meinung sind – und ich glaube, da haben wir recht –, dass eben die kollektive Erziehung, das heißt, die Fähigkeit, sich in einer größeren Gruppe entsprechend zu verhalten, dass das eben auch ganz, ganz wichtig ist. Und das kann man nicht allein den Eltern überlassen.
    "Auch mit Leuten auszukommen, die wirklich andere Interessen haben"
    Schulz: Wo sehen Sie denn die Gefahren, wenn es um eine Beschulung zu Hause geht?
    Hoegg: Also, die Gefahr ist ja heutzutage weniger, das war früher mal so, dass man sagte, die Eltern können nicht alle Fächer zu Hause unterrichten. Das hat sich ja aber inzwischen gelöst, weil gerade diese Eltern, die haben ja über eine christliche Fernbildungsuniversität oder eine Fernschule ihre Kinder ja inhaltlich korrekt beschult, das ist nicht das Problem.
    Das Problem ist wirklich auf der Seite der Erziehung, dass diese Kinder quasi wie in einer Kapsel aufwachsen und eben nicht lernen, mit anderen Kindern und Jugendlichen umzugehen. Das Argument der Eltern, ich habe mir ja auch die Begründung durchgelesen, die Eltern haben ja gesagt, ihre Kinder seien also 100-prozentig kontaktfähig, sie seien auch mit Freunden und im Sportverein zusammen, das greift natürlich nicht. Weil natürlich dieses Zusammensein im Sportverein, das sind immer Schüler, Kinder, Jugendliche, die die gleichen oder ähnliche Interessen haben, und darum geht es ja nicht. Es geht ja eben darum, auch mit Leuten auszukommen, die wirklich andere Interessen haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.