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"Klar ist aber, dass Hollande durchaus Ernst macht"

Frankreichs Spitzenverdiener müssen mit einer Steuererhöhung um 143 Prozent rechnen. Politikberater und Frankreich-Kenner Thomas Klau befürchtet, dass sich einige Superreiche dieser Belastung durch halblegale Tricks entziehen könnten. Die Steuerlast würde sich dann auf die untere Schicht der vermögenden Familien konzentrieren.

Thomas Klau im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.08.2012
    Jürgen Liminski: Die Konzepte, wie der Krise beizukommen wäre, sind unterschiedlich. Einig ist man sich weitgehend in einem Punkt: Auch die Finanzmärkte, die die Misere schließlich mit verursacht hatten, sollen mithelfen, die Schulden abzubauen und die Einnahmenseite zu verbessern. Deshalb wurde in Frankreich noch unter dem Expräsidenten Sarkozy eine Finanztransaktionssteuer beschlossen und jetzt unter dem sozialistischen Nachfolger auch eingeführt. Für die die Bürger also ein Déjà-vu, könnte man sagen. In der Tat wird die neue Steuer trotz ihres ideologischen Sprengstoffs kaum beachtet. Warum wird diese Börsensteuer in Frankreich so wenig diskutiert, heißt denn auch die Frage, die gestern Abend mein Kollege Mario Dobovisek dem Leiter des Politikberatungsunternehmens European Council on Foreign Relations in Paris, Thomas Klau, stellte. Die Antwort:

    Thomas Klau: Weil in Frankreich generell die Besteuerung von Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche eher populär ist. Man sieht in ihnen meines Erachtens zu Recht einen der Hauptverursacher der jetzigen Krise, ursprünglich jedenfalls, und das Prinzip, dass man auch dieses Geschäft stärker besteuert, ist weitgehend unkontrovers. Man kann auch vielleicht ergänzend erwähnen, dass die Konservativen sehr stark mit ihrem eigenen Führungskampf um die Nachfolge des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy als de facto Parteichef beschäftigt sind. Und zuletzt noch vielleicht, Frankreich geht in die Sommerpause, man denkt jetzt eher an den Strand als an die Finanztransaktionssteuer.

    Mario Dobovisek: Bestimmte Arten einer Finanztransaktionssteuer gibt es ja bereits in einigen EU-Staaten, wie Belgien, Zypern, Finnland, Griechenland oder Irland. Ist die abgespeckte französische Börsensteuer tatsächlich der Triumph für Hollande, wie er ihn selber sieht?

    Klau: Nein, das ist ein Schritt, der kein unbedeutender Schritt ist, und ich glaube, es ist für Hollande wie vielleicht auch für die Länder der Eurozone insgesamt, jedenfalls denjenigen, die dazu bereit sind, durchaus ein symbolisch wichtiger Schritt, dass man zeigt, dass so was möglich ist, gegen den Einwand, dass wenn man diese Art von Geschäft besteuert, das Geschäft außerhalb Europas abwandert. Aber es ist natürlich kein Systemwechsel und auch kein großer politischer Triumph, aber so, muss man sagen, stellt die Regierung das auch nicht da.

    Dobovisek: Deutschland hatte ja auch zugesagt, eine solche Börsensteuer einzuführen, wie groß wird der Druck?

    Klau: Ich würde sagen, der Druck verstärkt sich, aber diese Debatten werden auch national geführt, und ich denke, es ist ein zusätzliches Argument für diejenigen in Deutschland, die eine solche Steuer wollen, sodass es sozusagen zum entscheidenden Wendepunkt einer Debatte ..., das bleibt abzuwarten.

    Dobovisek: Gestern erst hatte die französische Nationalversammlung auch das erste große Sparpaket von Hollande verabschiedet. Es kassierte die von Sarkozy beschlossene Mehrwertsteuererhöhung und erhöhte drastisch die Steuern für Spitzenverdiener. Für die reichsten Haushalte des Landes bedeutet das eine Steuererhöhung von durchschnittlich sage und schreibe 143 Prozent, so schätzen es Experten, in einigen Fällen dürfte die Steuerschuld die jährlichen Gesamteinnahmen sogar übersteigen. Welche Konsequenzen wird das für die französische Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt haben?

    Klau: Es gibt natürlich auch bei dieser Steuer erstens eine ganze Menge Schlupflöcher, und zweitens werden Bezieher derart hoher Einkommen – jedenfalls in der, glaube ich, großen Mehrzahl der Fälle – in der Lage sein, extrem findige Steueranwälte und Fiskalexperten zu beschäftigen, die es nicht dazu kommen lassen.

    Dobovisek: Beobachten Sie da in Frankreich schon eine Art Kapitalflucht?

    Klau: Es gibt erste Berichte darüber, dass sich sozusagen weitere Franzosen mit viel Geld oder hohem Einkommen oder beidem in Länder wie Großbritannien, aber vor allem auch Belgien absetzen. Belgien hat eine sehr, sehr günstige Besteuerung für Leute mit großem Vermögen, und die neuen Maßnahmen der Regierung Hollande und Steuermaßnahmen werden sicherlich für viele die Versuchung zur Realität werden lassen, diesen Schritt zu gehen. Wie das dann wirklich in der Praxis aussieht, da muss man noch abwarten. Mal sehen, ob die Suppe so heiß serviert wird. Klar ist aber, dass Hollande durchaus Ernst macht mit dem Versuch, die Reichsten der Gesellschaft stärker zu besteuern, das war ein Kernargument seines Wahlkampfes. Was negativ wäre, ist, wenn ein Teil der Superreichen sozusagen die Mittel hat, sich auch dieser Besteuerung wiederum zu entziehen durch alle möglichen legalen oder halblegalen Tricks, während die Steuerlast auf die untere Schicht der vermögenderen Familien sich voll durchschlägt. Das könnte in der Tat unter Umständen Investition und Wachstum bremsen. Die Regierung hat gesagt, dass sie das verhindern will durch eine insgesamt investitionsfreundlichere Gesamtbesteuerung der französischen Wirtschaft.

    Dobovisek: Was bedeutet das?

    Klau: Ja, dass man ausgeschüttete Rendite schlechter behandelt als reinvestiertes Kapital, das ist zumindest die Generalphilosophie der Regierung. Anhand dessen, was da jetzt in der Assemblée nationale votiert wurde, ist es noch zu früh, um zu sagen, ob dieses Versprechen wirklich eingelöst wird und zureichend eingelöst wird, um Wirkung zu zeigen. Das war gestern ein erster wichtiger Schritt, aber man wird, denke ich, erst Ende dieses Jahres wissen, weil nach der Verabschiedung neuer Gesetze die Politik ihren Betrieb wieder aufnimmt, im Herbst, wie nun die Steuerpolitik der Regierung Hollande und die Investitionspolitik der Regierung Hollande insgesamt aussieht.

    Dobovisek: Ein weiteres Versprechen Hollandes betrifft den französischen Haushalt beziehungsweise das Haushaltsdefizit, das bei 5,2 Prozent liegt. Bis nächstes Jahr will Hollande wieder unter die von der EU vorgegebene Marke von drei Prozent fallen. Kann er das leisten?

    Klau: Ja, auch da ist noch nicht klar, wie Hollande diese Ankündigung einlösen wird. Er hat während seines Wahlkampfes konsistent gesagt, und zwar, wenn man so will, ungewöhnlich konsistent für einen Kandidat der Linken, dass das Defizit zu hoch ist und dass die Staatsverschuldung nicht nur ein Problem unter anderen ist, sondern ein Kernproblem, was unbedingt angegangen werden muss. Er hat aber noch nicht – weder im Wahlkampf noch seiner Wahl – klar gesagt, wie nun dieses Defizit zurückgeführt werden soll. Die höhere Besteuerung der Bezieher der größten Einkommen oder der größten Vermögen ist ein Element dabei, aber die Regierung sagt selbst, das reicht natürlich nicht, anderes wird folgen müssen. Und vor allem, wo die Regierung bisher sehr zurückhaltend war oder schüchtern, ist in der Darlegung der Ausgabenkürzungen, die sie beschließen wird und beschließen muss.

    Dobovisek: Wird Hollande auf die Rente mit 60 verzichten müssen?

    Klau: Nein, das kann er nicht. Wobei man sagen muss, die Rente mit 60, das ist eine Schlagzeile. Es wird ein kleiner Teil, eine Minderheit der Arbeitnehmer wieder in den Genuss der Rente mit 60 kommen, und zwar diejenigen, die mit 18, 19 oder 20 – darüber wird noch diskutiert – angefangen haben zu arbeiten. Das ist nur eine Minderheit der Arbeitnehmer, die meisten treten später ins Arbeitsleben ein. Es ist dennoch ein schlechtes Signal meines Erachtens in Europa und auch in Frankreich, denn natürlich muss, wenn man die Demografie ansieht und den Zustand der öffentlichen Finanzen, der Rentenversicherungskassen, die Reise dahin gehen, dass man mit 65 oder 67 generell in Rente eintritt. Und da ist dieses Signal eines Rückschritts hin zur Rente mit 60, auch wenn es nur einen kleinen Teil der Arbeitnehmer betrifft, politisch und symbolisch ein unglückliches, würde ich sagen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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