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"Klares Votum gegen die Regierung Mubarak"

Der Nahost-Experte Michael Lüders bescheinigt der ägyptischen Regierung einen guten Ruf in der westlichen Welt. In der eigenen Bevölkerung sei der Mubarak-Clan jedoch verhasst. Der Boykott des Verfassungsreferendums sei daher eine klare Absage an die Politik des ägyptischen Präsidenten.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Dem Verfassungsreferendum in Ägypten haben knapp 76 Prozent der Wähler zugestimmt, heißt es heute Mittag aus Kairo. Schaut man allerdings auf die Wahlbeteiligung, relativiert sich diese Zahl. Sie lag bei 27 Prozent. Das heißt die große Mehrheit der Bürger hat die Wahl boykottiert. - Michael Lüders ist Nahost-Experte, nun am Telefon. Guten Tag Herr Lüders.

    Michael Lüders: Schönen guten Tag Frau Durak.

    Durak: Wofür halten Sie den Boykott, für eine mehrheitlich bewusste Entscheidung zum Beispiel?

    Lüders: Durchaus. Es ist ein klares Votum der Ägypter gegen die Regierung Mubarak. Es ist so, dass die Regierung Mubarak im Westen, in Europa und in den USA, ein sehr positives Image hat. Ägypten ist ein prowestliches Land insgesamt. Ägypten unterhält einen Friedensvertrag mit Israel. Aber in der eigenen Bevölkerung ist der Mubarak-Clan und die von ihm gestaltete nationaldemokratische Partei zutiefst verhasst, vor allem aufgrund der unendlichen Korruption dieses Regierungsclans. Vor allem die Frau von Hosni Mubarak ist sehr unbeliebt, weil sie sich regelmäßig im Privat-Jet nach Europa fliegen lässt, um dort übers Wochenende auf Einkaufstouren zu gehen, und das kommt natürlich nicht gut an in einem Land, wo beispielsweise eine Sekretärin 50 Euro im Monat verdient und ein Hochschullehrer 150.

    Durak: Nun dieses Verfassungsreferendum. Was ändert sich für die Ägypter?

    Lüders: Für die Ägypter ändert sich zunächst einmal nichts weiter. Der eigentliche Grund für dieses Verfassungsreferendum ist ja, dass Hosni Mubarak versucht, die Opposition zu schwächen, vor allem die Muslimbruderschaft. Die Muslimbruderschaft gibt es seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie waren früher einmal sehr radikal. Heute sind sie eigentlich sehr konservativ und systemtragend, aber sie kritisieren die Machtfülle von Mubarak. Hosni Mubarak hat aber nicht vor - er ist mittlerweile 75 Jahre alt -, das politische System in Ägypten zu öffnen. Er will vielmehr wie ein König die Macht auf seinen Sohn Gamal übertragen. Dieser Sohn Gamal ist 45, ein in den USA ausgebildeter durchaus fähiger Technokrat, aber schon allein deswegen der ägyptischen Bevölkerung nicht zu vermitteln, weil eben der Mubarak-Clan zutiefst verhasst ist in weiten Teilen der ägyptischen Bevölkerung. Sollte dieser Gamal tatsächlich eines Tages die Macht in Ägypten übernehmen, dann darf man davon ausgehen, dass es zu sehr blutigen Unruhen dort kommen dürfte.

    Durak: Kann es nicht auch schon vorher dazu kommen, wenn nämlich zum Beispiel die politische Opposition mit religiösem Hintergrund, also die Muslimbruderschaft, verboten wird oder zumindest nicht weiter kommt, dass es zur Radikalisierung kommt?

    Lüders: Ja, in der Tat. Diese Gefahr ist sehr groß. Es ist ja eine Paradoxie ägyptischer Politik, dass die Muslimbruderschaft zwar die größte Oppositionspartei ist, aber gleichwohl offiziell verboten ist. Die Muslimbrüder sind verboten, aber sie stellen dennoch etwa ein Fünftel aller Mitglieder im ägyptischen Parlament, wo sie als Unabhängige firmieren. Und würde es wirklich freie Wahlen in Ägypten geben, dann würden die Muslimbrüder wahrscheinlich die stärkste politische Kraft werden. Genau das will Hosni Mubarak natürlich vermeiden und weiß sich darin im Einklang auch mit westlichen Interessen, die genau dieses natürlich verhindern wollen. Indem er aber immer repressiver wird in seiner Politik, ist natürlich die Gefahr groß, dass eine Gegenbewegung entsteht, die viel radikaler noch ist als die Muslimbrüder und das ist ein sehr explosives Potenzial, das sich hier in Ägypten zusammenballt, vor allem auch mit Blick auf die schwierige Wirtschaftslage des Landes.

    Durak: Ist dies dann nur ein innenpolitisches Problem, oder hat das auch außenpolitische Wirkungen?

    Lüders: Das wird, wenn es in Ägypten zum Knall kommen sollte, mit Sicherheit auch außenpolitische Konsequenzen haben, denn Ägypten ist ja neben Saudi-Arabien der wichtigste politische Akteur auf arabischer Ebene in der Region und alles was in Ägypten geschieht bleibt über kurz oder lang nicht ohne Auswirkungen auch für die Nachbarstaaten in der Region. Auch ein Friedensvertrag mit Israel wäre natürlich in Leidenschaft gezogen, würden radikale islamistische Bewegungen die Macht dort selbst übernehmen sollen.

    Durak: Saudi-Arabien und Ägypten sind seit langem auch Rivalen, was die politischen Einflüsse in der Region angeht. Nun versucht sich Saudi-Arabien zunehmend als Vermittler, setzt aber auch auf die religiöse Karte. Ägypten eher auf die westliche, wie Sie beschrieben haben. Worauf setzen die USA? Was ist Ihr Eindruck?

    Lüders: Die USA sind zutiefst gespalten. Sie wissen sehr genau, dass die Politik Hosni Mubaraks gefährlich ist, weil er damit indirekt die Islamisten stärkt. Auch wenn die ägyptische Politik insgesamt prowestlich ist, so heißt das noch lange nicht, dass die Ägypter ihrerseits diese Politik mehrheitlich mittragen würden. Es geht dabei weniger um Ideologie. Es geht dabei vor allem um die katastrophalen Lebens- und wirtschaftlichen Bedingungen eines Großteils der ägyptischen Bevölkerung und je schwieriger diese Lebensbedingungen werden, der niedrige Einkommensstandard, die fehlenden Zukunftsperspektiven, die absolute Tristess der Jugend, die ja etwa die Hälfte der ägyptischen Bevölkerung stellt, das alles zusammen genommen ist ein sehr explosiver Sprengsatz. Die USA versuchen, das ein bisschen zurückzunehmen, ihre bislang fast uneingeschränkte Unterstützung Hosni Mubaraks aus Sorge, dass die Entwicklung in Ägypten aus den Fugen geraten könnte. Noch ein Problemherd im Nahen Osten, das mag man weder in Washington noch in Brüssel sich vorstellen.