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Klassik-Podcast
Strawinsky Connections

2021 begeht die Musikwelt den 50. Todestag von Igor Strawinsky. Neben häufig gespielten Werken wie "Der Feuervogel" oder "Le sacre du printemps" gibt es bei diesem Komponisten noch viel zu entdecken. Auch deswegen hat der Verlag Boosey and Hawkes jetzt eine Podcast-Reihe zu Strawinsky initiiert.

Von Matthias Nöther | 15.02.2021
Der Komponist Igor Strawinsky mit weißem Hemd, schwarzer Fliege und einer Brille auf der Stirn.
Igor Strawinsky starb am 6. April 1971 in New York City. (picture alliance / dpa / UPI Media)
Musik: Igor Strawinsky – Fanfare aus "Agon"- Ballett
"Hello I’m Jonathan Cross and You are listening to a series…"
So beginnt die neue Podcast-Serie "Stravinsky Connections" des Musikverlags Boosey and Hawkes. Schon in der Musik wird angekündigt, dass hier nicht vor allem längst bekannte Stücke von Strawinsky noch etwas bekannter gemacht werden sollen. Deshalb zu Beginn keine wuchtigen Orchesterschläge, kein "Sacre du printemps" und kein "Feuervogel". Jonathan Cross hat sich bewusst für diese völlig unbekannte Trompetenfanfare entschieden. Sie stammt aus den Entwürfen zu der ohnehin schon nicht sehr oft gespielten Musik zum Agon-Ballett aus Strawinskys späten Jahren – und die Trompetenfanfare wurde nicht einmal veröffentlicht.
"In den ersten fünfzig Jahren nach seinem Tod wurden seine Hauptwerke immer häufiger aufgeführt. Aber wie gut kennen wir eigentlich seine Musik jenseits einer Handvoll oft gespielter Werke?"

Oxford-Professor Cross

Eloquent, in seiner Wortwahl gut verständlich und immer den Hörenden zugewandt - Jonathan Cross ist jedoch kein Musikmoderator, sondern langjähriger Musikwissenschaftsprofessor an der University of Oxford. Wie das normale Konzertpublikum mit Strawinskys Musik umgeht, darüber macht er sich schon seit Jahren Gedanken.
"Man glaubt manchmal, dass musikalisch gebildete Konzertbesucher in London oder Berlin sich besser mit Strawinsky auskennen als sie es tatsächlich tun. Vor fünf Jahren durfte ich mit Esa-Pekka Salonen zusammenarbeiten, der damals das Philharmonia Orchestra London dirigierte. In der Royal Festival Hall waren jeweils an die zweieinhalbtausend Leute – und es war schon sehr interessant, wie sie reagierten. Beim "Sacre" saßen sie auf der Stuhlkante und vielleicht noch bei "Ödipus Rex" oder bei der "Psalmensinfonie". Wenn man solche Werke dann mit der Sinfonie für Blasinstrumente oder mit einer Suite aus dem sehr späten Ballett "Agon" kombinierte, rutschten sie eher unruhig auf ihren Sitzen herum. Sie waren noch dabei, sich mit der Musik vertraut zu machen. Da musste man dann einen Kontext schaffen, über Programmhefte und über eine interaktive Website, über Publikumsgespräche. Was sie über die bekannteren Werke bereits wissen, kann auch bei den Werken helfen, die weniger bekannt und in meinen Augen schwieriger zu hören sind."
Strawinsky etablierte nach dem Ersten Weltkrieg den sogenannten neoklassischen Stil in der Musik, orientierte sich an strengen Form- und Harmoniemodellen des achtzehnten Jahrhunderts. Noch später übernahm er die Idee der Zwölftonreihen seines früheren Gegners Arnold Schönberg. Strawinskys Gesamtwerk scheint stilistisch maximal zerklüftet zu sein. Dennoch kann man in der Agon-Musik Passagen hören, die an das frühe Skandalballett "Sacre du printemps" erinnern. Jonathan Cross hat über Strawinsky mehrere Bücher geschrieben. Ihm ist vor allem eines wichtig: Strawinsky lebte und arbeitete die meiste Zeit seines Lebens nicht in seiner Heimat Russland, sondern in Frankreich und den USA. Dennoch habe er die sprichwörtlich gewordene "Russische Phase", also seine frühe, nie gänzlich hinter sich gelassen. Cross vergleicht Strawinsky mit dessen Freund Picasso.

Parallelen zu Picasso

"Wenn Sie sich das Werk von Picasso anschauen: Das geht ebenfalls durch viele Phasen. Die späten Werke finden viele Menschen ebenfalls schwierig, eine sehr strenge Kunst, sehr verschieden von Picassos Werken um die Zeit des Ersten Weltkriegs. Da sind sehr interessante Parallelen zu Strawinskys Entwicklung, nicht nur zeitliche. Meine These ist, dass man einen Zugang zu den späten über die frühen Werke finden kann. Es ist einfach immer noch dieselbe Attitüde darin, dieselbe Verwendung musikalischen Materials, dieselben Klänge: Glocken etwa, dasselbe Verständnis von Ritualen. Wenn man das berücksichtigt, sprechen die unbekannten Werke vielleicht stärker zu einem. Aber es bleibt eine Herausforderung.
Die Produktion von Podcasts gehört nicht zum Kerngeschäft eines traditionellen Musikverlags wie Boosey and Hawkes. Die Strawinsky-Podcasts kommen zu einer Zeit, in der dem Verlag wichtige Einnahmequellen wegbrechen, weil weltweit kaum klassische Konzerte und Opernaufführungen stattfinden, mit denen Musikverlage Tantiemen einnehmen. Doch der Podcast sei für diese Ausfälle kein unmittelbarer Ersatz, meint David Allenby, Marketingchef bei Boosey and Hawkes in London.
"Die Gesamtsituation ist sehr schwierig für alle Musikverlage: die ganzen abgesagten Aufführungen, für die dann kurzfristig Ersatzprogramme angesetzt werden, die dann auch wieder abgesagt werden. Aber es gibt auch positive Entwicklungen. Es werden viele Aufführungen und Konzerte gestreamt, und wir haben einen großen Zuwachs bei Online-Notenkäufen. Meine Sorge ist, wo Konzert und Oper nach der Pandemie stehen. Für Live-Veranstalter dürfte es noch eine Weile dauern, bis sie sich erholen – und die Verlage können ihre Komponisten erst mit einiger Verspätung beauftragen und bezahlen.
Ist der Podcast des Strawinsky-Verlags Boosey and Hawkes also nicht mehr als eine Fingerübung, um zu zeigen, dass es die Firma noch gibt? Tatsächlich sieht der Verlag Podcasts über Komponisten auch jenseits von Strawinsky als ausbaufähig an zu Zwecken der Musikvermittlung. Gerade in Schulen gibt es auf den Strawinsky-Podcast eine große Resonanz. Und das Publikum, so Podcast-Moderator Cross, könne auch schon mal einen Sinn dafür bekommen, dass der normale Konzertbetrieb meistens nicht der Ort ist, wo alles über alle Komponisten zu erfahren ist. Schließlich misst dieser Betrieb oft groß besetzten Werken eine besondere Wichtigkeit zu – während die Werke für wenige Instrumente gerade einem Igor Strawinsky nicht selten genauso wichtig waren.