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Klaus Mann: "Mephisto"
"Ein kaltes und böses Buch"

Klaus Manns „Mephisto“ darf laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1971 in Deutschland nicht erscheinen. Der Grund sind die Persönlichkeitsrechte des Theaterintendanten Gustav Gründgens. Verlegt wird der Roman dennoch. Jetzt ist er 70 Jahre nach dem Freitod des Autors neu zu lesen.

Von Martin Krumbholz |
Der Schriftsteller Klaus Mann und sein Roman „Mephisto“
Klaus Mann: „Mephisto“ (Cover und Autorenportrait Rowohlt Verlag)
Klaus Mann schrieb den Mephisto-Roman in einem knappen halben Jahr. Begonnen im Januar 1936, war das Manuskript im Mai desselben Jahres fertig. Im Frühjahr erschien in einer Pariser Zeitung bereits ein Vorabdruck. In der Hauptrolle des Romans glänzte ein berühmter Mime, Gustaf Gründgens, hier unter dem Pseudonym Hendrik Höfgen. Denn es handelte sich unverkennbar um einen Schlüsselroman, mochte der Verfasser auf der letzten Seite auch beteuern, alle Personen des Buchs stellten "Typen" dar, nicht "Porträts". Die Tatsache, dass es sich um einen Schlüsselroman handelte, bescherte dem Buch ein langes Nachleben, ironischerweise – die Publikations- und Wirkungsgeschichte ist wohl die spannendste ihrer Art im 20. Jahrhundert.
Die Idee für das Sujet hatte übrigens der Schriftsteller Hermann Kesten. Er schrieb dem Kollegen im Exil:
"Sie sollten den Roman eines homosexuellen Karrieristen im dritten Reich schreiben und zwar schwebte mir die Figur des Herrn Staatstheaterintendanten Gründgens vor. Titel: 'Der Intendant'."
Mephisto war Gustav Gründgens' Lebensrolle
Klaus Mann hat einen weit besseren Titel gefunden – der Mephisto im "Faust" war Gründgens‘ Lebensrolle - und die Homosexualität des Theatermanns kommt im Roman schließlich nicht vor. Beim Lesen oder Wiederlesen heute wird zweierlei deutlich. Erstens: Der Schlüsselroman lässt sich nicht leugnen, zu viele Persönlichkeiten sind ohne jeden Zweifel erkennbar, neben Gründgens selbst beispielsweise Carl Sternheim, Gottfried Benn, Marlene Dietrich, Pamela Wedekind, Thomas und Erika Mann.

Zweitens: Gerade dieser Umstand macht den Roman in seinem satirischen Elan attraktiv. Es ist, wie Klaus Mann in seinem Tagebuch notierte, ein "kaltes und böses Buch." Ja, das ist es. Seine Schärfe hat einen privaten Hintergrund, Manns Hass auf oder Hassliebe zu dem charismatischen Ex-Schwager, Gründgens war ja vor der NS-Zeit mit Erika Mann verheiratet, die hier Barbara heißt und deren feinfühliges Porträt eines der gelungensten ist. Klaus Mann kennt seinen Protagonisten, er hat ihn nicht erfunden, sondern bis ins Innerste durchschaut, gerade das gibt dem Text seine unvergleichliche Verve:

"Sein kahler Schädel hatte edle Form. Im aufgeschwemmten, grau-weißen Gesicht fiel der überanstrengte, empfindliche und leidende Zug auf, der von den hochgezogenen blonden Brauen zu den vertieften Schläfen lief; außerdem die markante Bildung des starken Kinns, das er auf stolze Art hochgereckt trug, so daß die vornehm schöne Linie zwischen Ohr und Kinn kühn und herrisch betont ward."
Dieses Buch sollte nie erscheinen
"Empfindlich und leidend", heißt es – man spürt fast eine gewisse Empathie, die jedoch ironisch grundiert ist und schon im nächsten Moment in erbarmungslose Schärfe umschlagen kann. Wahrscheinlich ist keine andere reale Person je derart als Romanfigur in Grund und Boden dekonstruiert worden wie dieser Gustaf Gründgens. Man kann schon verstehen, dass der Porträtierte bzw. sein Rechtsnachfolger ein Erscheinen des Buchs im Nachkriegsdeutschland mit allen Mitteln verhindern wollten - was ihnen teilweise gelungen ist.
Klaus Mann hatte Gründgens übrigens als Nummer 1 auf die Liste der Empfänger von Freiexemplaren gesetzt. Die tiefsitzende persönliche Animosität jenseits der politischen Satire, die Michael Töteberg im Nachwort "Hassliebe" nennt, schaut durch alle Ritzen des Romans wie auch seiner Nachgeschichte. Postum, muss man hinzufügen, Klaus Mann ist ja bereits 1949 aus dem Leben geschieden.
Gründgens als Karrierist und Opportunist
Der ideelle Kern des Romans jedenfalls ist seine These, dass Gründgens nicht etwa aus irgendeiner politischen Überzeugung dem NS-Regime diente, sondern aus purem, zynischen Opportunismus. Dass er für seine Karriere als Künstler unter allen Bedingungen jeden Preis zu zahlen bereit war, bis hin zum Verrat an seinen besten Freunden. Diese Kernthese ist es, die das Buch so "kalt und böse" und so entlarvend macht:
"Angenommen, die Nazis blieben an der Regierung: was hatte er, Höfgen, schließlich von ihnen zu fürchten? Er gehörte keiner Partei an, er war kein Jude. Vor allem dieser Umstand – daß er kein Jude war – erschien Hendrik mit einemmal ungeheuer tröstlich und bedeutungsvoll. Was für ein unverhoffter und bedeutender Vorteil, man hatte es früher gar nicht so recht bedacht! Er war kein Jude, also konnte ihm alles verziehen werden, selbst die Tatsache, daß er sich im Kabarett "Sturmvogel" als "Genosse" hatte feiern" lassen.
Durch die Liebe zu Hermann Göring
Im zentralen Kapitel, betitelt "Der Pakt mit dem Teufel", schildert Klaus Mann auf subtil-boshafte Weise, mit welch ausgeklügeltem Kalkül Gründgens/Höfgen sich an die Kollegin Lotte Lindenthal heranmacht, eine mittelmäßige Schauspielerin, die den Vorzug genießt, die Geliebte – später die Ehefrau – des NS-Bonzen Göring zu sein, dessen Protegé Höfgen werden möchte und auch tatsächlich wird:

"Lotte Lindenthals Lächeln wurde immer süßer, immer vielversprechender. Wenn sie eine intime Szene miteinander probierten, dann geschah es wohl, daß sie ihren Busen seufzend an den Partner drückte und feuchte Blicke warf. Höfgen seinerseits blieb von einer Zurückhaltung, die melancholisch-disziplinierten Charakter hatte und hinter der sich fiebernde Begehrlichkeit zu verbergen schien. Seine Augen schienen immer sagen zu wollen: Ach, wenn ich nur könnte, wie ich möchte! Wie würde ich dich umfangen, du Süße! In Wirklichkeit dachte er nur: "Warum um Gottes willen hat sich der Ministerpräsident gerade die ausgesucht? Sie ist doch schrecklich dick, und dabei so lächerlich affektiert. Eine schlechte Schauspielerin ist sie übrigens auch…"
Viel Mann'sche Ironie
Das ist nicht die vieldeutige, schwermütige Ironie eines Thomas Mann; es ist die bissige, ätzende Ironie des Klaus Mann – auch nicht zu verachten. Hendrik Höfgen, der Charmeur mit dem "aasigen Lächeln", das sich leitmotivisch durch den Text zieht, steigt zum Favoriten des "Dicken", also Görings auf, später zum Intendanten der Staatlichen Bühnen Berlins. In der Pause der "Faust"-Premiere lässt der "Fliegergeneral" Göring den Mephisto-Spieler in seine Loge bitten:

"Sie haben mich den Kerl erst so richtig verstehen lassen, mein Lieber", sagte der General. "Das ist ja ein toller Bursche! Und haben wir nicht alle was von ihm? Ich meine: steckt nicht in jedem rechten Deutschen ein Stück Mephistopheles, ein Stück Schalk und Bösewicht? Wenn wir nichts hätten als die faustische Seele – wo kämen wir denn da hin? Das könnte unseren vielen Feinden so passen!"

Es mag einem in Anbetracht des Sujets widerstreben, aber keine Frage: Dieser "Mephisto"-Roman ist eben auch schrecklich amüsant.
Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere
Mit einem Nachwort von Michael Töteberg
Rowohlt Verlag, Hamburg
416 Seiten, 20 Euro