Freitag, 19. April 2024

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Klausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag
"Seehofers Flüchtlingsabwehr scheint auf Nachfrage zu stoßen"

CSU-Chef Horst Seehofer rechne damit, dass sich wichtige Teile der CDU weiter in seine Richtung bewegen werde, sagte Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, im DLF. Zwar schätzten die Deutschen seinen Konfrontationskurs nicht, aber Seehofers Flüchtlingspolitik stoße bei Unions- und AfD-Wählerschaft auf Anklang.

Ursula Münch im Gespräch mit Doris Simon | 04.01.2017
    Das Logo der CSU ist am 04.01.2017 in Seeon vor dem Kloster Seeon zu sehen.
    Bei der CSU spiele die Landtagswahl 2018 eine wichtigere Rolle als die Bundestagswahl in diesem Herbst, sagte die Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Doris Simon: Es schneit, so wie es sich gehört für ordentliche Klausurtagungen der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Die trifft sich diesmal im Kloster Seeon im Chiemgau, und es wird auch dieses Mal um das Thema Sicherheit gehen und, wie auch schon früher, um die Flüchtlingspolitik. Die CSU fordert Gesetzesverschärfungen, Transitzone unter anderem, und die Festschreibung der Obergrenze für Flüchtlinge bei 200.000. Der Streit mit der CDU hat sich zuletzt zugespitzt. CDU-Chef Seehofer hatte mit der Absage eines gemeinsamen Treffens im Februar gedroht und sogar eine Fortführung der Koalition mit der CDU nach einer möglicherweise gewonnenen Bundestagswahl infrage gestellt. Heute früh hat nun CDU-Fraktionschef Volker Kauder die CSU aufgefordert, die Diskussion um die Obergrenze zu beenden und die Kanzlerin als Spitzenkandidatin im Wahlkampf zu unterstützen. Frage an unseren Korrespondenten vor Ort, Michael Watzke, wird das passieren in Kloster Seeon?
    Mitgehört hat Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Guten Tag!
    Ursula Münch: Guten Tag, Frau Simon!
    Simon: Frau Münch, die Klausur in Seeon, ist das so eher ein Sammeln der Truppe, die ja sonst im fernen Berlin ist, im Bundestag, oder mehr Selbstvergewisserung der Positionen?
    CSU-Klausur hat Signalwirkung in die Republik
    Münch: Das ist schon einerseits ein Sammeln der Truppe, der Berliner Truppe, die ohnehin ja ein bisschen unter dem Kuratel Münchens durchaus steht und von Horst Seehofer, und gleichzeitig geht es natürlich vor allem auch um die Signalwirkung nach außen, also in die ganze Bundesrepublik hinein. Man nimmt diesen Termin ja auch aus gutem Grund, weil man zu diesem Termin zu Jahresbeginn Themen setzen kann, und das sehen wir ja dieses Mal ganz besonders mit diesem Thema Sicherheit.
    Simon: Die Bundestagsfraktion der CSU und der Rest der CSU – Sie deuteten es an –, die waren ja nicht immer ganz deckungsgleich bei allen Themen. Wie ist das in diesem Jahr bei den Themen Sicherheit und Flüchtlingspolitik?
    Münch: Also das Thema ist sicherlich auf beiden Seiten ein ganz wichtiges Thema. Es ist natürlich vor allem für die Landtagsfraktion ein enorm wichtiges Thema. Man blickt jetzt schon auf die Landtagswahlen dann 2018, aber da ist die Übereinstimmung sicherlich zwischen Landtagsfraktion und Bundestagsfraktion insgesamt relativ groß, aber wo keine Übereinstimmung meines Erachtens besteht zwischen Landtagsfraktion und Landesgruppe, ist mit Blick, wie verhält man sich gegenüber der Schwesterpartei, der CDU, da scheint mir dann doch die Landesgruppe im Bundestag etwas konzilianter zu sein gegenüber der CDU, mit denen man ja auch gemeinsam in der Fraktion sitzt. Da ist die Landtagsfraktion in München wesentlich schärfer positioniert.
    Simon: Wie weit kann denn dann, wenn Sie das so beschreiben, die CSU gehen, um ihre Position gegenüber der Schwesterpartei CDU durchzudrücken?
    Seehofer will CSU im Bundestag in seine Richtung lenken
    Münch: Na ja, also, wir haben im Augenblick eine Konstellation, wo man den Eindruck hat, dass Seehofer da schon auch gegenüber der Bundestagslandesgruppe relativ stark auftritt und eben versucht, in seine Richtung zu lenken, und im Grunde die versucht so ein bisschen, in der zwar relativ langen, aber doch immerhin an einer Leine zu halten. Also er versucht da relativ starken Einfluss auszuüben. Das gelingt ihm natürlich auch vor allem deshalb, weil das Spitzenpersonal in der Landesgruppe, sprich vor allem ja auch die Bundesminister, jetzt nicht so präsent sind in der Öffentlichkeit, wie er sich das sonst vielleicht an anderer Stelle gewünscht hätte, und da kann er dann natürlich schon etwas stärker dominieren, weil dort die thematische Ausprägung und die Personen nicht zu stark sind.
    Simon: Wenn Sie jetzt beschreiben, dass Ihrer Meinung nach Horst Seehofer doch recht viel Einfluss hat, auch über die Abgeordneten der CSU in Berlin, wie ernst halten Sie denn dann die Drohung Seehofers, zum Beispiel Absage des Treffens mit der CDU Ende Januar, wenn man nicht mehr Übereinstimmung kriegt in der Sicherheitspolitik, in der Flüchtlingspolitik oder keine Fortsetzung der Koalition im Bund?
    Durch Pokern will Seehofer CDU zu Zugeständnissen bringen
    Münch: Also ich gehe insgesamt davon aus, dass er natürlich ganz stark pokert und dass er auf diese Weise hofft, die CDU noch zu mehr Zugeständnissen zu bringen als sie es ohnehin schon gemacht hat, die Schwesterpartei, aber nichtsdestotrotz habe ich den Eindruck, dass er da schon mit Absicht auf relativ hohes Risiko geht, und, ja, ich meine, er jetzt nicht bewusst und willentlich diese Unionsfraktion im Grunde spalten möchte, aber ich kann mir vorstellen, dass er es zur Not als das kleinere Übel hält, weil man ja immer sich vergegenwärtigen muss, für die CSU sind die Bundestagswahlen natürlich wichtig, gerade die, in diesem Jahr 2017, aber am besonders wichtigsten sind die Landtagswahlen, und deshalb findet alles immer mit Blick auf den Stimmengewinn in Bayern statt. Das ist immer das wichtigste, und alles, was dem hilft, das ist man durchaus bereit zu tun, und wenn die Diagnose sein sollte, dass man anders die Landtagswahl in Bayern 2018 nicht gewinnen kann, dann könnte ich mir vorstellen, dass man zu relativ vielem bereit ist und Seehofer da unter Umständen auch Gefolgschaft findet dann. Davon hängt es ja dann immer noch ab, ob die eigenen Fraktionen beide, vor allem die Landtagsfraktion aber, und insgesamt der Führungszirkel ihm dabei folgen würde.
    Simon: Das heißt, für Sie ist es auch nicht ausgemacht, dass CDU und CSU mit einem gemeinsamen Wahlprogramm antreten?
    Seehofers Kalkulation: CDU bewegt sich in seine Richtung
    Münch: Im Augenblick würde ich sagen, das ist durchaus offen, wobei man ja eins feststellen kann, und ich nehme an, dass darauf Seehofer natürlich setzt, mit Blick auf all das, was die letzten Wochen und Monate passiert ist, vor allem aber am 19. Dezember, der Terroranschlag in Berlin, rechnet er meines Erachtens schon auch damit, dass sich auch die CDU oder zumindest Teile der CDU, wichtige Teile der CDU, weiter bewegen werden und zwar in seine Richtung, in Richtung der CSU. Das muss nicht unbedingt die Parteivorsitzende sein, aber wenn sie dazu gezwungen wird vom Rest ihrer Partei, und da sieht man ja Tendenzen, und das wird sich sicherlich noch seither verschärft haben. Also ich gehe mal davon aus, dass er darauf setzt, aber wenn das nicht klappen sollte, unter Umständen auch wirklich bereit ist, diese Drohung noch zu verschärfen und unter Umständen es tatsächlich zu riskieren, einen Bruch.
    Simon: Also Sie halten das nicht nur für leere Drohungen, was Seehofer sagt?
    Münch: Na ja, also er ist natürlich… Er ist ja auch nicht so handlungsfrei, wie man sich das vielleicht oder wie er sich das wünschen würde. Er muss auf der einen Seite schauen, dass er die CSU besser positioniert als die AfD, das ist natürlich ganz klar. Er muss sich gegenüber der CDU positionieren, und gleichzeitig hat er dann natürlich auch immer die Frage, folgen ihm seine eigenen Leute oder setzen die sich unter Umständen irgendwann mal doch ab und entscheiden sich schon früher für seine Nachfolge, wobei Markus Söder insgesamt ja eigentlich sogar eher noch, ja, um nicht zu sagen extremere Positionen vertritt als Seehofer selbst.
    Simon: Nun hat, Frau Münch, liegt eine Forsa-Umfrage auf dem Tisch, nach der Angela Merkel beliebter ist als Horst Seehofer bei CSU-Anhängern. Wenn dem so ist, liegt Horst Seehofer dann noch richtig mit all seinen weitgehenden Forderungen?
    Seehofers Kurs stößt auf große Zustimmung in Bayern
    Münch: Also, ja, diese Umfragen kann ich jetzt, ehrlich gesagt, nicht beurteilen. Ich habe den Eindruck, dass im Großen und Ganzen gerade durch die doch verschärfte sicherheitspolitische Lage dieser Kurs insgesamt von Seehofer auf relativ große Zustimmung vor allem jetzt in Bayern stößt, bei der bayrischen Bevölkerung und natürlich dort vor allem dann auch bei der CSU-Wählerschaft, aber was vielleicht den Leuten auch insgesamt in der Bundesrepublik, auch wenn man seine Positionen teilt… Was wahrscheinlich weniger auf Freude stößt, ist, dass da jemand im Grunde, ja, so auf diesen Konfrontationskurs ausgeht. Das schätzen die Deutschen insgesamt ja nicht so stark, aber seine sicherheitspolitische Konzeption und auch sein Kurs, auf Flüchtlingsabwehr zu gehen, das scheint durchaus, also zumindest bei der Unionswählerschaft beziehungsweise bei der AfD-Wählerschaft, insgesamt meines Erachtens schon auf größere Nachfrage zu stoßen.
    Simon: Sagt Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Frau Münch, danke für das Interview!
    Münch: Gern geschehen, Frau Simon!
    Simon: Auf Wiederhören!
    Münch: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.