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Kleidung und Kopftuch
Kein Zwang für niemand

Kopftuch, Niqab oder Burka. Diese Kleidungsstücke sind fester Bestandteil der öffentlichen Debatte in Deutschland. Doch an welche Vorschriften muss sich eine Muslimin halten? In unserer Reihe “Den Islam leben” geht es um Alltags-Fragen. Die können aber schon mal grundsätzlich sein.

Von Hüseyin Topel | 04.02.2019
    Vier muslimische Frauen in unterschiedlichen Schleiern: dem Hijab, dem Niqab, dem Tschador und der Burka.
    Von oben links nach unten rechts: Hijab, Niqab, Tschador, Burka. (AFP PHOTO )
    In vielen TV-Talkshows und Diskussionsrunden über den Islam dominiert seit vielen Jahren ein Stück Stoff die Debatte: das Kopftuch. Doch die Vielfalt ist groß: Es gibt diverse Formen, Haar oder Gesicht zu bedecken. Und viele muslimische Frauen in Deutschland - auch gläubige - lehnen das Kopftuch ab. Aber wer hat Recht? Gibt es so etwas wie Kleidungsvorschriften im Islam? Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist, beantwortet dir Frage so:
    "Im Koran gibt es eine mehr allgemein gehaltene Aussage, dass beide Geschlechter sich dezent kleiden sollen, wenn ich das so in meine eigenen Worte kleiden darf."
    Dezente Kleidung für beide Geschlechter
    Durch eine dezente Kleidung sollen beide Geschlechter also ihre Reize verhüllen, um keine sexuellen Begehrlichkeiten außerhalb der Ehe zu wecken. Welche Körperbereiche bei Frauen und Männern davon betroffen sein können, skizziert Rohe so:
    "Beim Mann ist es so, ungefähr, was eine lange Short abdeckt, während bei Frauen manche sagen, es sind im Grunde nur das Gesicht, die Hände und die Füße, die nicht erogen sind. Der Rest sollte bedeckt werden."
    Die zentrale Stelle im Koran, aus der die Vorschriften zur Bedeckung der Frau abgeleitet werden, ist die Sure 24 Vers 31. Darin heißt es:
    "Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen, und ihre Keuschheit bewahren, den Schmuck, den sie am Körper tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht sichtbar ist, ihren Schal sich über den Schlitz des Kleides ziehen und den Schmuck, den sie am Körper tragen, niemandem offen zeigen, außer ihrem Mann."
    "Das Kopftuch wird unterschiedlich interpretiert"
    Neben ihren Ehemännern ist eine gewisse Freizügigkeit muslimischer Frauen in häuslicher Umgebung gestattet - ebenso in der Gegenwart von Männern, die sie nicht heiraten können. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass das Kopftuch in dieser Sure gar nicht explizit genannt wird. Für Serap Güler, Staatssekretärin für Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, ist die Kopfbedeckung deshalb eine individuelle Auslegungssache:
    "Es gibt Theologen, die sagen, es ist gar nicht vorgeschrieben, dass die Frau so verdecken muss. Das Kopftuch wird ja auch unterschiedlich interpretiert."
    Wer was wie verhüllt - das ist auch kulturell geprägt. Während viele Frauen im Iran - Kopftuch tragend - ein Stück ihres Haars zeigen, müssen die meisten Frauen in Saudi Arabien auch ihr Gesicht verhüllen. Es gibt aber auch muslimisch geprägte Länder, in denen Frauen ohne Verhüllung ganz selbstverständlich zum öffentlichen Bild gehören. Deutschland als ein Einwanderungsland beheimatet die ganze Bandbreite dieser kulturellen Erscheinungsformen. Dazu Mathias Rohe, Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg:
    "Eine plurale Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie einiges aushält, was dem Mainstream vielleicht auch nicht gut gefällt. Also man sieht ja im öffentlichen Raum die unterschiedlichsten Formen der Nicht-Bekleidung, der Vollbekleidung, jeweils mit gewissen äußeren Grenzen. Das muss einem nicht immer gefallen, aber man muss eine Menge aushalten in einer pluralen Zivilgesellschaft - und das gilt eben auch für traditionellere muslimische Lebensweisen."
    Staatsdiener müssen Neutralität verkörpern
    Dennoch müssen auch Grenzen gesetzt werden, fügt Mathias Rohe hinzu.
    "Es geht um den öffentlichen Raum - und da gibt es unterschiedliche Sphären. Es gibt die Sphäre des staatlich beherrschten Raumes, wo sogar staatliche Macht ausgeübt wird, Souveränität ausgeübt wird. Da sind die Grenzen natürlich am engsten gezogen. Also Staatsdienern beispielsweise, die eben die staatliche Neutralität verkörpern müssen - von denen kann man erwarten, dass sie ihre persönlichen Vorlieben ein gutes Stück zurück nehmen."
    Serap Güler (CDU) spricht am 15.02.2017 im Landtag in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen). 
    Serap Güler (CDU) im Landtag in Düsseldorf (picture-alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    Ähnlich sieht das Serap Güler, selbst gläubige Muslimin und Staatsdienerin.
    "Das Kleidungsstück, was meines Erachtens tatsächlich an seine Grenzen kommt, das sind Kleidungsstücke wie Niqab oder Burka, die auch nicht mit der Religionsfreiheit in dem Sinne, meines Erachtens, vereinbar sind, weil sie eigentlich völlig die Freiheit der Frau einschränken und dem Vermummungsverbot entgegenstehen."
    Vollverschleierung: "Männer werden zu Monstern degradiert"
    Enes Curuk ist ein junger Muslim aus dem Rheinland und ehemaliger Imam. Er sieht in den verschiedenen Formen der Vollverschleierung einen Widerspruch zur eigentlichen Intention des Islam. Denn...
    "Je versteckter etwas ist, desto neugieriger wird man dafür. Ich glaube, dass eine Verschleierung in dem Sinne, eine weitergehende Bedeckung oder Verdeckung nur dazu führen könnte, dass Menschen neugieriger über solche Sachen werden, über Dinge werden, die sich unter so einem Schleier verstecken."
    Außerdem findet Curuk, dass eine extreme Verschleierung der Frau nicht nur die Frauen selbst, sondern auch die Männer diskriminiert.
    "Der Gedanke, dass weibliches Haar Männer aus der Rage bringen könnte, finde ich absurd, beziehungsweise finde ich auch anmaßend. Ich finde es nicht nur eine Erniedrigung von Frauen, sondern ich glaube, das ist auch eine Erniedrigung von Männern. Es degradiert eigentlich nicht Frauen zu einem Sexobjekt, sondern meiner Meinung nach werden dadurch Männer zu sexsüchtigen Monstern degradiert, die eigentlich an nichts anderes denken können."
    Kopftuch und Uniformzwang
    Während unter Muslimen bei der Frage nach dem Gesichtsschleier weitgehender Konsens zu herrschen scheint, sieht das bei der einfachen Kopfbedeckung etwas anders aus. Dazu der Islamwissenschaftler Mathias Rohe.
    Aquila S. sitzt am 30.06.2016 im Verwaltungsgericht in Augsburg (Bayern) vor Richter Bernhard Röthinger (l). Die Jurastudentin klagt vor dem Gericht gegen Einschränkungen beim Rechtsreferendariat wegen des Tragens eines Kopftuches.
    Eine Jurastudentin klagt gegen "Einschränkungen" beim Rechtsreferendariat (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    "Das Kopftuch ermöglicht Kommunikation. Immer noch, kann man gut argumentieren, auch wenn es meine persönliche Überzeugung ist, dass man das Kopftuch verbieten kann, bei der Ausübung bestimmter staatlicher Ämter. Nämlich da beispielsweise, wo wir Uniformzwang haben. Bei Gerichten, wenn sie so wollen. Ein Richter hat eine Robe an oder ähnliches mehr. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja schon für Lehrkräfte etwa gesagt, wo es keine konkreten Probleme gibt, wo nicht beispielsweise aggressiv missioniert wird, wird man es aushalten müssen. Das auch eine Lehrerin ein Kopftuch tragen kann."
    Kopftuch-Debatte unter Muslimen
    Dennoch gibt es auch unter den Muslimen eine allgemeine Debatte über das Kopftuch, so Rohe…
    "… ob es auch heute noch notwendig ist, dass eine Frau ein Kopftuch trägt. Viele tun das nicht und fühlen sich durchaus als fromme Musliminnen. Da gibt es schlicht die Debatte, ist es eigentlich wirklich etwas, was Gott für alle Zeiten vorschreibt oder ist es nicht etwas, was der Kultur des siebten Jahrhunderts entspringt."
    Diese Debatte wird auch innermuslimisch zum Teil ausgesprochen harsch ausgetragen. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass niemand ausgegrenzt werde, egal ob mit oder ohne Kopftuch, so der Islam-Experte.
    "Das heißt beispielsweise Mobbing, weil eine Frau ein Kopftuch trägt oder weil sie kein Kopftuch trägt, da müssen wir wachsam sein, dass beide Lebensoptionen gleichermaßen frei gelebt werden können", so Rohe. "Das heißt: Es brauchen alle Schutz, die von ihrer Umgebung gegen ihren eigenen Willen zu etwas gezwungen werden sollen."