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Kleine Kapseln, große Versprechen

Gesundheit.- Nahrungsergänzungsmittel, die Muskelmasse aufbauen sollen, werden im Fernsehen eifrig beworben. Darunter befinden sich auch sogenannte konjugierte Linolsäuren - in Kapselform konzentrierte Bestandteile normaler Lebensmittel. Doch deren langfristiger Konsum könnte Diabetes auslösen.

Von Volker Mrasek | 11.04.2011
    "CLA, konjugierte Linolsäure, ist der neueste Wellness-Star, der effektiv dazu beitragen kann, Körperfettmasse abzubauen, ohne die Muskelmasse zu gefährden."

    So werben Anbieter auf ihren Internetseiten für konjugierte Linolsäuren, abgekürzt: CLAs.

    "...in nur zwölf Wochen zu einer Körperfettreduktion um bis zu 20 Prozent geführt ..."

    Verbrauchern wird da empfohlen, die Substanzen regelmäßig einzunehmen. Dies sei unbedenklich. Da es sich um Naturstoffe handele, die auch in Lebensmitteln vorkommen, etwa in Milch- und Fleischprodukten. Das stimmt auch. Doch die Dosis sei eine ganz andere, sagt Evi Kostenis, Professorin für Pharmazeutische Biologie an der Universität Bonn:

    "Die Menge, die man über die Nahrung zu sich nimmt, ist viel geringer als die, die man zu sich nehmen kann, wenn man diese konjugierten Linolsäuren in Kapselform kauft: im Supermarkt, im Internet, wo 'ne ganze Reihe von Präparaten zur Verfügung stehen mit Gramm-Mengen an diesen Linolsäuren. Und was man mit der Nahrung aufnimmt, sind Milligramm-Mengen."


    Die Pharmazeutin sieht die hochdosierten Linolsäuren in Nahrungsergänzungsmitteln eher skeptisch:

    "Ich würde sie nicht nehmen, weil mir einfach das Risiko zu groß wäre."

    Evi Kostenis meint das Risiko, dass durch die Langzeit-Einnahme von LCA-Kapseln unter Umständen Diabetes ausgelöst werden könnte. Also das, was der Volksmund "Zuckerkrankheit" nennt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Betazellen der Bauchspeicheldrüse nicht mehr genügend Insulin ausschütten. Die Folge: Nach dem Verzehr zuckerreicher Lebensmittel kann der erhöhte Glukose-Spiegel im Blut nicht mehr runterreguliert werden.

    In einer gemeinsamen Studie mit Kollegen von der Universität Tübingen testeten die Bonner Pharmazeuten jetzt, ob konjugierte Linolsäuren ein wichtiges Protein auf der Oberfläche der Betazellen stimulieren – einen sogenannten Rezeptor. Für das Experiment wählten sie menschliche Zelllinien ...

    "Da dieser Rezeptor wahrscheinlich bei Diabetes hochrelevant ist – in der pharmazeutischen Industrie entwickelt man Arzneistoffe gegen diesen Rezeptor -, haben wir gedacht, wir müssten mal gucken, ob diese konjugierten Linolsäuren nicht irgendwas über diesen Rezeptor vermitteln."

    Wie sich herausstellte, tun sie das.

    Dass konjugierte Linolsäuren die Ausschüttung von Insulin im Blut beeinflussen, darauf gab es schon früher Hinweise. Jetzt aber, sagt die Bonner Forscherin, sei auch der Weg entschlüsselt, auf dem CLAs die Betazellen aktivieren:

    "Der Effekt könnte erstmal sogar sehr positiv sein, kurzfristig gesehen: dass man die Blutzucker-, Blutglukose-Menge, effizient senken kann durch eine erhöhte Insulinausschüttung, die man erwirkt durch diese Fettsäuren. Und das ist auch genau das, was man sich erwünscht, wenn man Diabetes-Typ II therapiert ..."

    Also die Form der Zuckerkrankheit, die in der Regel erst im fortgeschrittenen Lebensalter auftritt.

    Das Problem ist nur: Die Zellen laufen dadurch ständig auf Hochtouren, und das kann langfristig schaden statt zu nutzen:

    "Auf die Dauer kann es sein, dass die Zelle darunter kaputtgeht, unter dieser permanenten Stimulation. Und vielleicht abstirbt, so dass man im schlimmsten Falle Diabetes produzieren könnte dadurch, dass man durch Dauerstimulation dieses Rezeptors die Zellen eben in den Zelltod schickt."

    Sicher sei das nicht, aber eben auch nicht ausgeschlossen.

    Nach Aussage von Evi Kostenis fehlen bisher seriöse Langzeitstudien, um das Diabetes-Risiko durch die Dauereinnahme von CLA-Kapseln beurteilen zu können. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch ein Fachausschuß bei der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittel. Im vergangenen Jahr bewertete das Gremium eines der CLA-Produkte auf dem Markt. Das Fazit der Experten: Man könne im Moment nicht sagen, ob die tägliche Einnahme solcher Kapseln über mehr als sechs Monate sicher sei.

    Pharmazeutin Kostenis sieht hier auch die Anbieter in der Pflicht:

    "Ich denke halt einfach, dass die Studie, die wir jetzt gemacht haben, Hersteller nochmal dazu bringen sollte zu überdenken, ob man nicht doch seriöse Langzeitstudien initiiert."