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"Kleinkriminellen-Karriere mit einem dschihadistischen Hintergrund"

Bei dem mutmaßlichen Attentäter von Toulouse scheinen sich psychopathologische mit politischen Motiven verbunden zu haben, sagt der Publizist und Islamwissenschaftler Michael Lüders. Dass er zu El Kaida gehöre, sage er möglicherweise nur, um sich wichtig zu machen.

Michael Lüders im Gespräch mit Rainer Brandes |
    Christoph Heinemann: Noch immer hält sich der mutmaßliche Attentäter von Toulouse in seiner Wohnung verschanzt. Mit Explosionen vor dem Haus will die französische Polizei diesen dazu bewegen, sich zu ergeben. Hunderte schwer bewaffnete Polizisten haben das Gebäude des 23-jährigen Verdächtigen umstellt. Allmählich gelangen Informationen zum ideologischen Hintergrund des mutmaßlichen Attentäters ans Licht. Mohammed Merah ist Franzose algerischer Abstammung, er behauptet, im Auftrag von El Kaida zu handeln, und bezeichnet sich nach Angaben des französischen Innenministers selbst als Mudschaheddin, als Gotteskämpfer. Er soll Beziehungen unterhalten zu radikal-islamistischen Salafisten. Über diese Richtung sprach mein Kollege Rainer Brandes mit dem Islam-Wissenschaftler Michael Lüders.

    Michael Lüders: Nun, zunächst einmal muss man vorausschicken, dass vieles noch sehr unklar ist mit Blick auf die Persönlichkeitsstruktur dieses Mannes und seiner Motivation. Es scheinen sich hier psychopathologische mit politischen Motiven verbunden zu haben. Er beruft sich auf El Kaida und auf die Salafisten, aber ob er wirklich ein Mitglied dort gewesen ist, bleibt abzuwarten. Möglicherweise sagt er das auch nur, um sich wichtig zu tun. Die Salafisten jedenfalls sind eine radikale Strömung innerhalb des Islam, die vor allem an dem sehr konservativen, um nicht zu sagen reaktionären Islam, wie er in Saudi-Arabien staatlicherseits praktiziert wird, sich orientiert. Dieser salafistische Islam ist vor allem einflussreich in Teilen der arabischen Welt geworden, weil Saudi-Arabien Milliardenbeträge investiert, um ihn zu fördern und am Leben zu erhalten, die Anhänger etwa in Ägypten mit entsprechenden Zuwendungen finanzieller Art zu fördern und zu unterstützen. In Europa spielt der Salafismus aber nur eine sehr untergeordnete Rolle. In radikalen Kreisen unter arabischen Einwanderern vor allem in Frankreich spielt er eine gewisse Rolle, aber nicht in einer organisierten Form. Es gibt einzelne Imame, die in diese Richtung tendieren, aber ich sage mal, das gesamte Umfeld auf ganz Frankreich hochgerechnet dürfte sich auf nicht mehr als einige hundert Aktivisten belaufen.

    Rainer Brandes: Sie haben es eben schon mal kurz erwähnt: Der Mann hat angegeben, er gehöre zu El Kaida, zur Terrorgruppe El Kaida. Spricht das dafür, dass hinter ihm ein größerer Unterstützerkreis steht, oder ist er doch eher ein Einzeltäter?

    Lüders: Mein Eindruck ist, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, der sich auf El Kaida beruft, um sich wichtig zu tun, um dadurch auch ernster genommen zu werden. Es ist ja schon bemerkenswert, dass er offenbar über mehrere Stunden hinweg der französischen Polizei durch die geschlossene Tür hindurch sein Leben erzählt und seine Ansichten mitgeteilt hat. Das macht man eigentlich nicht als eiskalter Attentäter. El Kaida hat seit 2005, seit dem verheerenden Anschlag in Madrid, keinen Anschlag mehr in Europa durchführen können und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass El Kaida dazu in naher Zukunft noch in der Lage wäre. El Kaida hat viel an Rückendeckung, an Sympathien verloren, weil sich viele Araber auch in Europa mehr der Arabischen Revolution, der Demokratiebewegung in den arabischen Ländern zugewendet haben oder aktuellen Konflikten wie dem in Syrien und sich nicht mehr aufgehoben fühlen in einer radikalen terroristischen Ideologie, die ihre Probleme ja nun auch nicht zu lösen vermag. El Kaida hat erheblich an Rückhalt verloren. Da war die Tötung von Osama Bin Laden im Mai vorigen Jahres eigentlich nur das letzte i-Tüpfelchen, wenn ich das so sagen darf. El Kaida hat keine Kohorten mehr in Europa und sicherlich gibt es noch immer radikale Kräfte, die zu Terror neigen, aber nicht in einer organisierten Form, nicht in dem Sinne, dass El Kaida irgendwelche Direktiven erteilen würde, die dann vor Ort umgesetzt würden.

    Brandes: Der mutmaßliche Täter soll ja auch für drei Soldatenmorde verantwortlich sein. Immerhin zwei der Soldaten kamen wie der mutmaßliche Schütze selber aus Nordafrika, waren wohl auch Muslime. Dann kamen aber die Morde an einer Rabbiner-Familie und einem jüdischen Mädchen. Wie passt das zusammen?

    Lüders: Ja, das ist eine sehr berechtigte Frage. Wenn man versucht, sich in die Psychopathologie dieses Attentäters hineinzudenken, dann könnte man sich folgendes Szenario vorstellen: Der Mann hat ja, wenn man seine Biografie sich vor Augen führt, ein sehr erratisches Leben geführt. Er war in Afghanistan, er war in Pakistan, ist dort mit dem Gesetz in Konflikt geraten, war kurz im Gefängnis in Pakistan. Er galt als Kleinkrimineller in Toulouse, ist auch dort immer wieder mit der Polizei in Konflikt geraten, stand wiederholt vor Gericht. Also eine Kleinkriminellen-Karriere mit einem dschihadistischen Hintergrund, wenn man so sagen darf, auf jeden Fall niemand, der klar eine Linie in seinem Leben gefunden hat. Es mögen sich hier antisemitische Motive verbinden mit einem Hass oder mit dem Wunsch, abzurechnen mit einer aus seiner Sicht falschen Politik Frankreichs, das ja in Afghanistan engagiert ist unter anderem. Das hat ihm offenbar nicht zugesagt. Gleichzeitig hat er aber versucht, in der französischen Fremdenlegion aufgenommen zu werden, wurde dort zurückgewiesen, weil sein Bewerbungsprofil nicht stimmte, seine Kompetenz nicht ausreichte. Kurzum: Da läuft einiges quer in seiner persönlichen Biografie und das verstärkt den Eindruck, dass sich hier wirklich ein absurdes politisches Motiv, Psychopathologie verbunden haben mit dem Ergebnis, dass jetzt sieben Menschen tot sind.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.