Freitag, 29. März 2024

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Klemens Ludwig
"Die Opferrolle. Der Islam, seine Selbstinszenierung"

Diskriminierungserfahrungen reichen dem Publizisten Klemens Ludwig nicht als Erklärung für die Radikalisierung von Muslimen. Zudem würden diese Erfahrungen oft instrumentalisiert, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen, mit Erfolg. Für Ludwig ein Symptom eines Kampfes der Kulturen.

Von Matthias Bertsch | 24.06.2019
Hintergrundbild: Das islamische Zentrum München mit seinem hellblauen Minarett ist auf der anderen Straßenseite zu sehen. Vordergrund: Buchcover
Freund-Feind-Schema bleibt im Buch von Klemens Ludwig bestehen (Picture Alliance/ Marc Müller & LangenMüller Verlag)
Ein Buch über den Islam, das "Die Opferrolle" heißt, dessen Vorwort die Islamkritikerin Necla Kelek geschrieben hat, und in dessen Literaturverzeichnis zwei Namen auffällig oft vertreten sind: Hamed Abdel-Samad und Bassam Tibi, beides ausgewiesene Kritiker der muslimischen Verbände in Deutschland. Für viele Leser und Leserinnen dürften diese Stichworte bereits reichen, um jenes gedanklich-emotionale Stellung-Beziehen auszulösen, das die Auseinandersetzung um den Islam in Deutschland zunehmend dominiert: auf der einen Seite diejenigen, die den Islam vor allem mit Gewalt und Intoleranz verbinden, auf der anderen diejenigen, die ihn als eine Religion des Friedens hochhalten und seine Anhänger vor allem als Opfer von Vorurteilen und Diskriminierungen sehen. Täter versus Opfer, so lässt sich das Lagerdenken zusammenfassen und das Buch von Klemens Ludwig ist leider wenig geeignet, dieses Freund-Feind-Schema zu durchbrechen.
Der Journalist und Publizist bringt zahlreiche Beispiele von Gewalttaten, die von Muslimen gegenüber Anders- oder "Un"-gläubigen begangen wurden und zeigt, wie diese, mit Verweis auf individuelle oder kollektive Diskriminierung, letztere in Form von Kolonialismus und Imperialismus, regelmäßig relativiert und damit verharmlost werden – und dies keineswegs nur von Muslimen selbst.
"Die islamische Opferrolle wird von allen gesellschaftlich relevanten und einflussreichen Gruppen beschworen: Von Wissenschaftlern und Politikern, Schriftstellern und Journalisten, Soziologen und Theologen."
Eine Radikalisierungsstudie mit Vorgaben
Als Beispiel zitiert Ludwig ein Forschungsprojekt des Bundesfamilienministeriums zum Thema "religiös begründete Radikalisierung mit Fokus auf islamistische Orientierungen und Handlungen". Um präventiv tätig zu werden, so das Forschungsvorhaben, brauche man "umfassende Erkenntnisse über Ursachen und Verläufe von individuellen und kollektiven Radikalisierungsprozessen".
"Das klingt zunächst sinnvoll und nützlich. Liest man jedoch die Ausschreibung näher, wird deutlich, dass von einer ergebnisoffenen Ursachenforschung über die Radikalisierung von Muslimen keine Rede sein (kann). In der Ausschreibung heißt es: ‚Gefördert werden Analysen von Wechselwirkungen zwischen individuellen oder kollektiven Ausgrenzungs- oder Diskriminierungserfahrungen und religiös begründetem Extremismus." Nicht Hassprediger oder der Einfluss totalitärer islamischer Staaten führen zur Radikalisierung – diese Stichworte kommen nämlich in der Ausschreibung nicht vor –, sondern ‚Ausgrenzungs- oder Diskriminierungserfahrungen.‘"
Dass Muslime in Europa Opfer von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz werden, könne niemand ernsthaft bezweifeln, räumt Ludwig ein, sie hätten ein Recht auf jene Solidarität, die allen Verfolgten gewährt werden müsse:
"Im gesamtgesellschaftlichen Kontext sind Muslime jedoch bei Weitem nicht in dem Ausmaß Opfer, wie ihre Inszenierung glauben machen will. Wären sie es, würden ihre Verbände, ihre Vertreter und ihre Institutionen nicht mit einem solchen Selbstbewusstsein und einer solchen Selbstverständlichkeit ihre Forderungen nach einem islamgemäßen Leben erheben; [...] Opfer sind in der Regel zu eingeschüchtert, um offensiv und selbstbewusst Forderungen zu erheben."
Angst vor Kritik und Satire
In der Tat drängt sich die Frage auf, warum beispielsweise junge Roma, die in der gesellschaftlichen Hierarchie Europas wohl noch deutlich unter den Muslimen stehen, kaum durch religiösen Extremismus oder besondere Gewalttätigkeit auffallen. Um den besonderen Respekt zu erklären, den nicht nur muslimische Funktionäre, sondern auch viele Journalisten, Politiker und Kirchenvertreter im Umgang mit dem Islam einfordern, reicht der Verweis auf Diskriminierungserfahrungen nicht aus. Ludwig erinnert an die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in Dänemark, die weltweit zu gewalttätigen Protesten führte. Nicht wenige Politiker und Journalisten reagierten darauf mit der Forderung nach mehr Rücksicht auf die Gefühle der Muslime. Doch hinter diesem Respekt steckt oft ein anderes Motiv. Ludwig zitiert den Schauspieler Hape Kerkeling, stellvertretend für viele Kabarettisten und Komiker:
"Ich würde und werde mich mit dem Islam öffentlich nicht beschäftigen. Aus Angst."
Doch woher kommt diese Angst?
"Vielleicht weil die Autoren ahnen, dass die angeblichen Opfer eine sehr militante Seite haben können? Und warum diese Ignoranz gegenüber den vielen Hundert Opfern, die im Irak, in der Türkei, in Pakistan, in Ägypten oder im Jemen ermordet werden, allein weil sie Christen sind? Das hat nichts mit Aufrechnen zu tun. Es ist im Miteinander der Kulturen langfristig nicht vertretbar, immer nur die Opfer der einen Seite zu beklagen und die der anderen zu ignorieren."
Ein "Kampf der Kulturen"?
Das Miteinander der Kulturen ist eben auch ein Kampf der Kulturen, ist sich Ludwig sicher: auf der einen Seite das Abendland, das sich zur Selbstkritik durchgerungen und dem Ideal der Aufklärung verschrieben hat, auf der anderen Seite der Islam, dessen Vertreter der Überzeugung sind, im Besitz der letztgültigen Wahrheit zu sein.
"Wer also leugnet, dass es einen ‚Kampf der Kulturen‘ gibt, dessen friedliche wie weniger friedliche Schauplätze hier beschrieben sind, blendet die nicht opportunen Teile der Wirklichkeit ebenso aus wie jemand, der leugnet, dass Deutschland ein Einwanderungsland und der Islam zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor in Westeuropa geworden ist."
Die Stärke von "Die Opferrolle" liegt darin, dass Ludwig hartnäckig an kritischen Fragen und Gedanken festhält, die von vielen allein schon deswegen nicht mehr öffentlich ausgesprochen werden, weil sie als islamophob, rassistisch oder schlicht "rechts" gelten und die Fragenden deswegen ausgegrenzt werden. Doch in dieser Hartnäckigkeit liegt zugleich die große Schwäche des Buches. All die Zitate und Beispiele, die Ludwig bringt, erfüllen doch nur einen Zweck: zu belegen, was er sowieso schon wusste. Die Tatsachen sind nicht falsch, aber sie sind eben nur ein Teil der Wahrheit. Eine Ergebnis-offene Auseinandersetzung mit gegenteiligen Positionen oder auch nur ein Gespräch mit einem frommen Muslim über seinen Glauben oder seine Diskriminierungserfahrungen sucht man in "Die Opferrolle" vergebens.
Klemens Ludwig: "Die Opferrolle. Der Islam, seine Selbstinszenierung und die Werte der Aufklärung",
Verlag Langenmüller, 270 Seiten, 20 Euro.