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Klempnern am Klima
Geoengineering gefährdet die Landwirtschaft

Schwefeldioxidpartikel, die Sonnenlicht reflektieren, könnten helfen, die Erderwärmung zu bremsen. Doch selbst wenn man einen Weg fände, sie im großen Stil in der Atmosphäre auszubringen: Die Nebenwirkungen wären beträchtlich. In einer "Nature"-Studie warnen Forscher vor dramatischen Ernteeinbrüchen.

Von Dagmar Röhrlich | 09.08.2018
    Getreide steht am Dienstag (23.07.2012) in Visselhövede (Kreis Rotenburg) vor der untergehenden Sonne auf einem Feld.
    Kühleffekt mit unerwünschter Nebenwirkung: Schwefeldioxidpartikel in der Atmosphäre behindern die Photosynthese (dpa / Daniel Reinhardt)
    Die Idee hatte der Nobelpreisträger Paul Crutzen ins Spiel gebracht: Wie wäre es, das Klima durch Schwefelpartikel zu kühlen. Die würden in die Stratosphäre injiziert, verteilten sich als Schleier rund um die Welt und reflektierten Sonnenlicht zurück ins All. Dass die Methode prinzipiell funktioniert, ist klar: Schließlich kühlt genau dieser Effekt nach schweren, explosiven Vulkanausbrüchen das Klima, erklärt Jonathan Proctor von der University of California in Berkeley:
    "Wir wollten also wissen, welche Nebenwirkungen diese Variante des Geoengineerings hat. Also haben wir uns die Vulkanausbrüche von El Chichon und Pinatubo in den 1980er- und 1990er-Jahren angesehen."
    Wie beeinflussen Vulkanausbrüche die Ernte?
    Beide Ausbrüche schleuderten Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre. Sie senkten die globale Durchschnittstemperatur um 0,2 beziehungsweise 0,9 Grad Celsius - also um Größenordnungen, um die es auch bei den Geoengineeringplänen geht. Die Forscher interessierten sich für einen bestimmten Aspekt: für die Auswirkungen dieser Eruptionen auf die Ernten. Also bezogen sie Daten zum Schwefeldioxid-Transport in die Stratosphäre ein, Faktoren wie Temperatur und Niederschlag oder Klimaphänomene wie El Niño. Und sie setzten sie in Beziehung zu den Daten der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO zu den globalen Ernten. Das Ergebnis:
    "Wir würden durch die Abschattung durch diese Art des solaren Geo-Engineerings tatsächlich die Erde kühlen und den Hitzestress reduzieren. Die Pflanzen sollten also besser wachsen. Aber es wirkt noch ein zweiter Effekt, denn Feldfrüchte brauchen Sonnenlicht: Durch die Abschattung sinkt die Photosyntheserate - und damit die Ernten."
    Erträge von Mais, Soja, Weizen und Reis gehen deutlich zurück
    Die Maisernte sank durch die Ausbrüche um fast zehn Prozent, die von Soja, Weizen und Reis um rund fünf. Zumindest diese Technologie senkt anscheinend die Folgen des Klimawandels für die Agrarproduktion nicht. Das Ergebnis überraschte die Forscher, sagt Proctors Kollege Solomon Hsiang:
    "Als wir mit den Forschungen begannen, sah es aufgrund der wissenschaftlichen Literatur so aus, als würde die Landwirtschaft profitieren, der positive Effekt der Abkühlung den negativen der verminderten Lichteinstrahlung überwiegen. Das jedenfalls ergab sich aus mehreren Veröffentlichungen zu natürlichen Ökosystemen: Dort nahm die Pflanzenproduktion zu. Bei der Landwirtschaft geht es jedoch nicht darum, ob Sträucher oder Bäume besser wachsen, sondern um Ernten. Wir essen nur einen sehr kleinen Teil der Vegetation, und es sind diese Feldfrüchte, die für die globale Ernährung wichtig sind."
    Chancen und Risiken der Technik müssen sorgfältig abgewogen werden
    Solomon Hsiang betont, dass die aktuelle Studie nur ein erster Schritt sei. Es könnte durchaus sein, dass - mit Blick auf andere Faktoren wie die Auswirkungen auf Gesundheitssysteme oder auf Korallenriffe - auch diese spezielle Form des Geoengineerings insgesamt doch positiv zu beurteilen sei: "Das Innovative an unserer Studie ist, dass wir die historischen Ereignisse als natürliche Experimente behandeln, aus denen wir die Auswirkungen auf einen bestimmten Sektor erfassen können. Sie ist damit so etwas wie eine Blaupause für die künftige Erforschung anderer Nebenwirkungen."
    Es geht den Forschern darum, so viel wie möglich über potentielle Nebenwirkungen zu erfahren, bevor irgendetwas ausprobiert wird. Jonathan Proctor: "Die Auswirkungen des Klimawandels könnten unglaublich schwerwiegend sein und vor allem Menschen treffen, die am wenigsten damit umgehen können. Das ist wirklich beängstigend. Aber auch Geo-Engineering ist recht beängstigend, weil es so viele unbekannte Variablen gibt. Deshalb ist es sinnvoll, wie bei einem Puzzle Stück für Stück Nutzen, Kosten und Risiken abzuschätzen."
    Eingriffe ins Klima seien immer mit Risiken verbunden - und Geo-Engineering könnte viele zusätzliche Risiken bergen, bis hin zu internationalen Konflikten - falls die eine Region auf Kosten einer anderen profitiert.