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Kletterkünstler

Botanik.- Das sogenannte Kletten-Labkraut ist ein Phänomen, das eine Frage aufwirft: Wie schafft es die Pflanze, ihre Blätter als Kletterorgane zu benutzen und gleichzeitig zu vermeiden, dass sie von anderen Pflanzen beschattet werden?

Von Matthias Günther |
    Das Kletten-Labkraut ist bekannt als Unkraut auf Äckern, es wächst auch an Waldrändern und in Hecken. Die Spezialität dieser Pflanze:

    "Sie klettert auf andere Pflanzen, und eigentlich auf jeden Gegenstand, auf dem sie einen guten Halt kriegt",

    sagt Professor Stanislav Gorb von der Uni Kiel. Bei der Untersuchung des Kletten-Labkrauts fielen den Wissenschaftlern die Häkchen an den Blättern auf:

    "Dann war die weitere Frage: wozu sind die gut? Weil, es gibt auch Häkchen auf dem Stamm, die sind definitiv dafür da, um sich an anderen Pflanzen zu stützen. Aber die Frage war: Wozu braucht man die an den Blättern?"

    Das Kletten-Labkraut wächst an anderen Pflanzen empor, klettert durch das Gewirr von Ästen und Blättern hindurch nach oben. Während sich etwa Wein mit Ranken und Efeu mit kleinen Wurzeln festklammert, dienen dazu beim Kletten-Labkraut also kleine Haken am Stamm, aber auch die Häkchen an der Unterseite der Blätter. Diese können sich damit auf den Blättern anderer Pflanzen festkrallen. Wozu es aber auch an der Oberseite der Blätter, die der Sonne, dem Licht zugewandt sind, Häkchen gibt, war den Forschern zunächst nicht klar – offenbar nicht zum Festkrallen, so Stanislav Gorb:

    "Weil die Anordnung der Häkchen auf der oberen Seite des Blattes ganz anders ist als auf der unteren Seite."

    Die Häkchen an der Oberseite haben eine andere Funktion. Wenn das Blatt des Kletten-Labkrauts oben an ein Hindernis wie einen Ast oder ein anderes Blatt stößt, dann sorgen diese Häkchen dafür, dass das Blatt des Kletten-Labkrauts an dem Hindernis entlang gleitet, bis es daran vorbei kommt.

    "Die werden immer leicht rutschen, wenn sie sich unter einem anderen Blatt befinden. Die werden immer nach oben rutschen, und immer oben bleiben."

    Mit jedem Windzug oder mit jeder Erschütterung, auch durch jeden eigenen Wachstumsschub, arbeitet sich das Blatt so weiter nach oben – bis es an dem Hindernis vorbeischnellt und die Oberhand gewinnt.

    "Und wenn das an der Oberfläche liegt, sorgen die Häkchen auf der untere Blattseite dafür, dass sie gar nicht verschoben werden, das heißt, die werden sich dann mit dem Gegenstand fest verklammern und halten. Und das ist natürlich ganz wichtig für die Pflanze, denn dadurch bekommt sie immer ausreichend Licht."

    "Always on the bright side" haben die Wissenschaftler deshalb auch die Veröffentlichung ihres Forschungsergebnisses genannt. Vielleicht hat diese Entdeckung einen praktischen Nutzen: man könnte die Funktionsweise der Häkchen an der oberen Blattseite nachahmen und so beispielsweise Gegenstände auf einem Laufband transportieren, meint Stanislav Gorb:

    "Dazu reicht zum Beispiel diese Anordnung der Häkchen in eine Richtung zusammen mit einer angelegten Erschütterung. Das heißt, man muss das Laufband nicht laufen lassen, sondern man muss das Laufband nur leicht in Erschütterung bringen. Und durch die Anordnung der Häkchen werden die Gegenstände – zum Beispiel kleine Partikel oder vielleicht auch größere Gegenstände – in eine Richtung transportiert."

    Aber das zu entwickeln, wäre nicht mehr die Aufgabe der Biologen.