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Klientelorganisation statt Gewerkschaft

Der Grünen-Politiker Winfried Hermann hält die Aufspaltung der Gewerkschaften im Tarifkonflikt bei der Bahn für bedenklich. Die Lokführer seien bezogen auf die anderen Beschäftigten unsolidarisch, beklagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer agiere als Klientelorganisation und nicht als Gewerkschaft.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Viel Kritik hat Manfred Schell, der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, einstecken müssen für seine Brachialstrategie, über Stunden fast alle Züge in Deutschland zum Stehen bringen zu lassen. Aber eines muss man ihm lassen: Der Warnstreik hat seine Wirkung nicht verfehlt. Nur Stunden später hat Bahnchef Mehdorn seine Gewerkschaft, mit der er bisher nicht verhandelte hatte, zu einem Gespräch eingeladen. Und das fand gestern statt.

    Allerdings ist es nicht gerade zur Zufriedenheit des obersten Lokomotivführers verlaufen. Ein eigenen Tarifvertrag für seine Mitglieder soll es genauso wenig geben wie die geforderte Gehaltssteigerung von bis zu 31 Prozent. Ergebnis: Für kommende Woche ist mit neuen Warnstreiks der Zugführer zu rechnen und mit entsprechendem Chaos. Am Telefon ist jetzt Winfried Hermann, der verkehrspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!
    Winfried Hermann: Guten Morgen!
    Heckmann: Sind wir jetzt einen Schritt weiter als zu Beginn der Woche, Herr Hermann?
    Hermann: Ja, man hat nicht den Eindruck. Ich glaube, dass die Gewerkschaft der Lokführer nach wie vor auf ihre Möglichkeiten setzt, den Zugverkehr vollständig lahmzulegen oder weitgehend lahmzulegen, also diese besondere Funktion, die sie im Netz und in der Struktur hat, wirklich auszunützen, auch übrigens analog und indem man schaut, wie es anderswo gemacht wird, also bei Piloten und bei Fluglotsen, die ja mit dieser Art von Strategie ja auch sehr erfolgreich waren.
    Heckmann: Die Gewerkschaft setzt auf ihre Möglichkeiten, und hält das denn noch die Grenzen ein, die verantwortbar sind aus Ihrer Sicht?
    Hermann: Also ich habe ja schon mehrfach gesagt, ich habe großes Verständnis dafür, dass die Bahnbeschäftigten jetzt streiken und sagen, wir wollen mehr Lohn haben, denn über die Jahre zuvor hat man nicht von Lohnerhöhungen profitieren können. Und man auch einen schwierigen Job gemacht. Und natürlich ist auch schwer rationalisiert worden bei der Bahn, was zu größeren Belastungen geführt hat. Also ich habe Verständnis, und ich kritisiere nicht grundsätzlich, dass Beschäftigte um ihren Anteil streiten, zumal dann, wenn der Chef des Konzerns, Mehdorn, immer wieder großartig angibt, wie profitabel sein Unternehmen ist. Da gibt er zwar mehr an, als es tatsächlich ist, denn letztendlich ist es immer noch ein hoch subventioniertes Unternehmen, und insofern kommt sozusagen die Tarifforderung auch in dieses Geschehen hinein.

    Und was mir nicht gefällt, das ist erstens, dass die Lokführer unsolidarisch sind bezogen auf die anderen Beschäftigten, und zweitens, dass man ja auch schon sehen muss, dass, wer krass so viel mehr will als alle anderen und so einen deftigen Zuwachs haben will, dann muss man auch mal durchrechnen, was das kostet. Und es könnte das Unternehmen dann gleich mehrere hundert Millionen im Jahr kosten. Und da kann es dann gut sein, dass man den Ast absägt, auf dem man sitzt, denn schließlich befindet sich die DB AG auf dem Weg der Privatisierung. Viele Gewerkschaften haben das selbst sogar mit vorangetrieben. Und zukünftige private Eigner werden natürlich strenger drauf achten, was wird hier gezahlt und wo können wir denn sonst noch Lokführer einkaufen, die billiger sind? Also da muss man schon vorsichtig sein, ob man nicht überzieht.
    Heckmann: Es könnte sein, dass man an dem Ast sägt, auf dem man sitzt, sagten Sie gerade eben. Aber Sie sagten auch, andere Gewerkschaften hätten es vorgemacht, wie zum Beispiel Cockpit, die Vereinigung der Flugpiloten. Das heißt, am Ende des Tages könnte es so sein aus Ihrer Sicht, dass die Gewerkschaft sich wirklich durchsetzt, weil sie ja einfach am längeren Hebel sitzt und die Bahn sich Streiks nicht erlauben kann.
    Hermann: Na, so ganz am längeren Hebel sitzt sie nicht, sie hat nur einen guten Hebel. Und ich will auch noch mal deutlich machen, Gewerkschaften sind eigentlich Gewerkschaften. Die achten darauf, dass Beschäftigte insgesamt daran teilnehmen, dass ein Unternehmen Erfolg hat. Und so wie Cockpit keine wirkliche Gewerkschaft ist, sondern das ist eine Interessenvertretung einer bestimmten hoch bezahlen Klientelgruppe. Die Lokführer sind nicht so hoch bezahlt wie die Piloten, aber es ist auch sozusagen eine Klientelorganisation und nicht mehr eine Gewerkschaft. Und insofern glaube ich auch, dass gerade die Kundinnen und Kunden zwar ein großes Verständnis haben für die Bahner, dass sie mehr bekommen, aber schon skeptisch sind, wenn eine einzelne Gruppe gleich sagt, also 30 Prozent und mehr.
    Heckmann: Es gibt den Marburger Bund bei den Ärzten auch als solche Interessenvertretung, Cockpit haben wir gerade angesprochen, jetzt die Lokomotivführer als weiteres Beispiel für eine sogenannte Spartengewerkschaft, die ihre eigenen Interessen verfolgt. Denken Sie, das ist ein Trend, der sich fortsetzen wird, ein Trend hin zu den Spartengewerkschaften, zu Einzelinteressen?
    Hermann: Also der Trend ist offenkundig, und die Gewerkschaften haben darauf noch nicht wirklich eine gute Antwort gefunden, wie man gerechterweise sehr unterschiedliche Beschäftigungsformen mit unterschiedlichen Qualifikationen, wie man das auf der einen Seite bedient, und auf der anderen Seite solidarisch zusammenhält unter den Beschäftigten. Ich finde jedenfalls die Spartenklientel-Organisationen, ich nenne es bewusst nicht Gewerkschaft, ich sag es noch mal, die spalten natürlich letztendlich die Beschäftigten und auf lange Sicht auch deren Einflussmöglichkeiten und nutzen sozusagen ihre Sonderstellung für die ganz spezifisch eigenen Interessen. Und ich glaube nicht, dass nur die Gewerkschaften davon betroffen sind, sondern langfristig muss die Gesellschaft auch da etwas dagegensetzen, auch übrigens mit einer bestimmten Kultur, wie man mit so was umgeht, denn sonst ist die Gesellschaft von solchen Sondergruppen beliebig erpressbar. Und es kommt dann zu unangemessenen Lohnforderungen, die dann auch irgendwann beglichen werden, nur damit man Ruhe hat.

    Heckmann: Welche Auswirkungen könnten solche Lohnforderungen, wie sie jetzt im Raum stehen, haben, jetzt ganz konkret auf die Privatisierung der Bahn, könnte sich die weiter verzögern oder sogar verhindert werden oder die Bedingungen könnten sich verschlechtern?
    Hermann: Nein, also verzögern oder behindern tun das andere Faktoren, wenn überhaupt. Aber was klar ist natürlich, je höher der Abschluss ist insgesamt, desto geringer wird die Marge sein, die der Konzern vorweisen kann, die er Gewinn macht. Es ist ja jetzt schon so, dass die Gewinne bei der Bahn nur vor Steuern und vor Schuldenabzahlen einigermaßen dastehen, sonst eher nicht so gut. Und das wird natürlich dazu führen, dass Investoren sagen, Moment mal, das ist ja gar kein so profitables Unternehmen, oder dass sie sagen, wir steigen da ein, wir wissen, wie man da was rausholt, und setzen dann einen Druck oder einen Hebel an, indem sie sagen, wir schauen mal um, ob es nicht in Deutschland oder in Europa billigere Lokführer gibt, denn der Markt ist offen.
    Heckmann: Und denken Sie ganz kurz noch zum Schluss, Herr Hermann, dass sich die Streikbereitschaft erhöht, wenn die Bahn erst einmal privatisiert ist?
    Hermann: Das auf jeden Fall, das glaube ich ganz sicher. Das wird schon deswegen sein, weil eine privatisierte Bahn sehr viel mehr Druck auf die Mitarbeiter machen wird als eine Bahn in öffentlicher Hand. Wir haben in den vergangenen Jahren ja als Bund, als Eigentümer nie vom Bahnchef Mehdorn verlangt, er soll endlich mal Profite machen und ein bisschen mehr aus den Beschäftigten rausholen. Nein, das gab es überhaupt nicht, sondern man hat immer Verständnis dafür gehabt, dass der Bahnkonzern insgesamt eben nicht profitabel ist und deswegen es auch Zuwendungen gibt. Aber in dem Moment, wo die Hälfte des Konzern, und das hat die Regierung ja leider vor, und die großen Volksparteien unterstützen es auch noch, wenn die Hälfte des Konzern verkauft werden soll an der Börse, dann werden diese Aktionäre natürlich ihren Anteil einklagen. Denn kein Aktionär kauft sich Aktien bei der Bahn, um sozusagen schöne Löhne zu zahlen, sondern er will auf diese Aktien natürlich Erlöse haben.
    Heckmann: Winfried Hermann war das, der verkehrspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Hermann: Ja, bitte schön.