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Klima und COVID-19-Fallzahlen
"Ausbrüche werden nicht vom Wetter bestimmt"

Haben die Jahreszeiten und das Wetter Einfluss auf die Ausbreitung des Coronavirus? Renommierte Umweltwissenschaftler haben dies nun nach Auswertung von Wetterdaten und Fallzahlen verneint. Entscheidend für die Eindämmung von COVID-19 seien nach wie vor Schutzmaßnahmen und Tests.

Von Volker Mrasek | 05.08.2020
Urlaub in Corona-Zeiten am Strand von Torremolinos in Spanien. Mehrere Menschen laufen mit Mund-Nase-Maske an der Promenade entlang.
Nicht die Sonne, nur Mund-Nase-Masken schützen vor der Ausbreitung des Coronavirus (imago/Jesus Merida)
Das Coronavirus werde im Sommer verschwunden sein - dies hatte US-Präsident Donald Trump noch im Winter prophezeit. Abgesehen von der politischen Agenda des US-Präsidenten - die Behauptung, SARS-CoV-2 werde in heißen Klimaten sicher nicht auftreten, war auch anderswo zu hören.
Solche Thesen sind inzwischen längst vom Tisch. Doch die Frage, ob und wie stark das Coronavirus und die Ausbreitung von COVID-19 durch Umweltfaktoren, vor allem durch das Wetter und klimatische Bedingungen, beeinflusst werden, beschäftigt Umweltwissenschaftler. Darüber beraten sie seit Dienstag (04.08.2020) auf dem Virtuellen Symposium der Weltmeteorologieorganisation (WMO) mit dem Titel "Climatological, Meteorological and Environmental Factors in the COVID-19 Pandemic".
Frank Ulrich Montgomery (Vorsitzender des Aufsichtsrates der Deutschen Apotheker- und Ärztebank eG, Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union (CPME), Vorsitzender des Vorstandes des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) gestikuliert im Februar 2017 bei einem Interview in Berlin.
Weltärztebund: "Wir sind in einer Dauer-Welle"
Durch die Einhaltung der Maßnahmen könne man dafür sorgen, dass die Gesundheitssysteme dauerhaft mit dem Infektionsgeschehen klar kämen, sagte Frank Ulrich Montgomery vom Weltärztebund im Dlf.
"Eine wichtige Frage ist, ob sich COVID-19 saisonal verändert", sagte Jonathan Proctor, Umwelt- und Datenwissenschaftler an der Harvard University dem Deutschlandfunk. "Ob die Erkrankung von der Temperatur, der Luftfeuchte oder der Sonneneinstrahlung abhängt." Und vor allem, mit Blick auf die anstehende kältere Jahreszeit in Europa: "Ob der Winter die Pandemie verschlimmern wird."
Klima hat keinen Einfluss auf COVID-19-Fallzahlen
Die Teilnehmer des Symposiums hatten dazu Daten über die Entwicklung der Fälle von COVID-19 in mehr als 170 Ländern ausgewertet und sie mit detailliert erfassten Wetterdaten verglichen - im Ergebnis war man sich weitestgehend einig: Das Klima habe keinen maßgeblichen Einfluss darauf, wo und wann Covid-19 auftrete.
Zwar habe etwa auf der Nordhalbkugel die UV-Strahlung von Januar bis Juni saisonal zugenommen und sich der Anstieg von Covid-19-Fällen um sieben Prozent verringert. Dies sei aber kein Nachweis für einen direkten Zusammenhang, sagte Harvard-Wissenschaftler Proctor: "Es kann auch sein, dass sich die Leute, wenn es sonniger wird, mehr draußen aufhalten - wo das Risiko, sich anzustecken, geringer ist."
Uneinheitliche Befunde in den Großstädten
Zum Teil gab es in ein und derselben Studie uneinheitliche Befunde über die Auswirkungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit - wie bei den Forschern der Universität Liverpool, die die Entwicklung der Fallzahlen in über 300 Großstädten auf der ganzen Welt betrachtet haben. So habe das Klima geholfen, die Fallzahlen in China am Anfang des Jahres zu drücken, als es dort wärmer wurde.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
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In allen anderen Weltregionen dagegen sehe man so etwas nicht, sagte der Klimatologe Cyril Caminade: "Seit sich das Ganze später von China nach Europa und in andere Regionen verlagerte, im Frühling und im Sommer, gibt es kaum noch einen Zusammenhang. Denken Sie nur an Florida oder an Barcelona, wo die Fallzahlen enorm steigen, und das mitten in der heißen Saison!"
Harvard-Forscher Carlson: Gesundheitsschutz nicht vernachlässigen
"Colin Carlson von der Georgetown University in Washington D.C. warnte sogar vor einer Scheindebatte: "Was wirklich wichtig ist, sind gesundheitliche Ratschläge für die Öffentlichkeit. Und die haben nichts mit Wetterdingen zu tun!", betonte Carlson, der sich in Washington im Zentrum für Globale Gesundheitswissenschaft seit Jahren mit Infektionskrankheiten und dem Klimawandel beschäftigt.
Carlson sprach gegenüber dem Deutschlandfunk ausdrücklich von Missverständnissen, die dazu führen könnten, die viel wichtigeren Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 zu vernachlässigen: "Ausbrüche werden nicht davon bestimmt, wie das Wetter ist oder ob die Sonne scheint. Drei Dinge sind nach wie vor entscheidend: Ob die Leute Masken tragen, ob sie Abstand halten und ob ausreichend getestet wird."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)