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Klimadaten auf dünnem Eis

Polarforschung. - Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung in Bremerhaven haben in einer Untersuchung festgestellt, dass das Wasser im Nordatlantikstrom in den vergangenen drei Jahren deutlich wärmer geworden ist. Ob es sich dabei um ein kurzfristiges Phänomen oder einen langfristigen Trend handelt, ist derzeit noch unklar. Monika Seynsche erläutert die Forschung im Gespräch mit Arndt Reuning.

    Arndt Reuning: Was würde geschehen, wenn der Nordatlantikstrom abreißt, also Europas "Fernwärmeheizung" im Meer. Der Film "Day After Tomorrow" hat es hollywoodgerecht aufbereitet: eine Eiszeit auf der Nordhalbkugel. Prinzipiell auf lange Frist ist so etwas durchaus denkbar. Britische Forscher haben vor ungefähr einem Jahr erklärt, dass der Nordatlantikstrom tatsächlich schwächele. Jetzt aber weisen neuen Untersuchungen eher auf das Gegenteil hin. Diese Ergebnisse wurden gestern in Bremen vorgestellt. Frau Seynche war für uns dort: Was hat man denn dort beobachtet?

    Monika Seynsche: Es waren Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung in Bremerhaven, die diese Untersuchung gemacht haben. Sie haben 16 Messstationen zwischen Grönland und Spitzbergen aufgestellt, entlang der Framstraße und dort die Wassertemperaturen gemessen und dabei festgestellt, dass das Wasser, das kontinuierlich aus dem Nordatlantik in den arktischen Ozean strömt, wesentlich wärmer geworden ist in den letzten Jahren. Anfang der 90er Jahre lagen die maximalen Temperaturen noch bei drei Grad Celsius, heute liegen sie bei sieben Grad Celsius. Das könnte ein kurzfristiges Phänomen sein, das könnte aber auch ein langfristiger Trend sein. Um das zu sagen, dafür reichen die Daten noch nicht aus.

    Reuning: Welche Auswirkungen könnte diese Erwärmung jetzt auf die Polarregion haben?

    Seynsche: Sie könnte natürlich dazu führen, dass das Meereis weiter schmilzt. Das ist die große Befürchtung. Der arktische Ozean ist ja fast überall von Kontinenten umschlossen. Es gibt nur ganz wenige Zuflüsse zu den andern Ozeanen, zum einen der Nordatlantik durch die Framstraße und zum anderen ein kleiner Zufluss zum Pazifik. Gleichzeitig speichert der Ozean sehr viel Wärme - sehr viel mehr als die Atmosphäre übrigens. Von daher sind diese Einströmungen durch die Meerenge ganz wichtig für das Wärmesystem der Arktis. Und ein wärmerer Zufluss könnte eben auch dazu führen, dass mehr Meereis schmilzt. Ob es das tut, weiß man allerdings noch nicht.

    Reuning: Aber die Forscher sagen nicht, dieser warme Nordatlantikstrom alleine lässt nun das Polareis schmelzen?

    Seynsche: Nein, das sagen sie nicht. Es gibt eine ganze Reihe von möglichen Kandidaten, die dafür verantwortlich sein können und wahrscheinlich alle es im Zusammenspiel sind. Das ist zum einen natürlich die Lufttemperatur. Die Temperaturen über der Arktis sind in den letzten Jahrzehnten dreimal so stark angestiegen wie über den restlichen Erdflächen. Und zum anderen könnten es positive Rückkopplungen sein, die dunklen Wasserflächen, die frei werden, wenn das Eis schmilzt, nehmen wesentlich mehr Wärmeenergie auf und dadurch schmilzt natürlich wieder mehr Eis, was natürlich einen Kreislauf verursacht. Und dann gibt es natürlich die große Unbekannte: die Meeresströmung. Da weiß man zum einen nicht, welchen Einfluss sie auf das Schmelzen hat, zum anderen weiß man auch nicht, welchen Einfluss das schmelzende Meereis wiederum auf die Meeresströmungen hat.

    Reuning: Das hört sich alles sehr komplex an und so, als wüssten die Wissenschaftler noch keine endgültige Lösung. Warum ist denn dieses System so überaus komplex, warum weiß man so wenig darüber?

    Seynsche: Zum einen, warum es so komplex ist: Es sind einfach ganz viele verschiedene Faktoren, die da einspielen und man zum einen auch nicht so genau weiß, welche es genau sind. Nur ein Beispiel: Das Eis, was im Moment den arktischen Ozean bedeckt, wirkt als Barriere zwischen dem Ozean und der Atmosphäre, kann also die Ozeanströmung gar nicht antreiben, wie es das aber in anderen Regionen der Erde macht. Andere Ozeanströmungen werden durch den Wind angetrieben, dadurch, dass der Wind über die Meeresoberfläche streicht. Das passiert im Moment nicht, das könnte aber in Zukunft passieren, wenn das Eis schmilzt. Das ist eine Möglichkeit. Es gibt einfach ganz wenig Daten aus der Region. Die Region ist sehr unzugänglich. Sie liegt unter Eis. Es ist schwer hineinzukommen. Es ist für die Ozeanographen zusätzlich schwer, an das Ozeanwasser heranzukommen, das unter der Eisoberfläche liegt, denn sie können ja nicht einfach ihre Messinstrumente ins Wasser halten. Sie müssen erstmal durch das Eis hindurch kommen, und das ist ganz schön schwierig. Das heißt, es gibt einfach nur sporadische Daten bisher, es gibt kaum kontinuierliche Messdaten. Es gibt eigentlich seit den 70er Jahren erst verlässliche Satellitendaten, um die Eisausdehnung zu bestimmen, und die Ozeandaten sind auch sehr wenig bisher.

    Reuning: Zu wenig Daten - was planen die Forscher also für die Zukunft?

    Seynsche: Ein europäisches Forschungsprojekt, das letztes Jahr angefangen hat und noch bis 2009 gehen soll. 45 Forschungsinstitute aus elf Ländern wollen zum ersten Mal systematisch Messdaten erheben, denn sie brauchen für jede Modellrechnung, für jedes Klimamodell eine ganze Reihe von Messdaten, um das Modell zu überprüfen. Sonst nützt ihnen das beste Klimamodell nichts.