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Klimaerwärmung
Eine im Sommer eisfreie Arktis droht

Klimaforscher schlagen Alarm: Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie andere Regionen der Welt. Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) will daher die Polarforschung stärker unterstützen. Gesucht werden Antworten auf die Frage, was eine eisfreie Arktis für die Erde bedeuten würde.

Von Christiane Habermalz |
    Ein Polarbär steht auf einer Eisscholle im Packeis der Norwegische Arktis.
    Mit der Erwärmung der Arktis ist der Lebensraum der Eisbären bedroht. (imago/All Canada Photos)
    Ny Alesund, 79 Grad nördliche Breite, Arktis, Spitzbergen. Normalerweise werden mit dem kleinen roten Propellerflug nur Polarforscher, Logistiker und ihr Equipement hierher in den hohen Norden transportiert. Diesmal hat die Maschine mit dem schlichten norwegischen Schriftzug "Lufttransporten" eine deutsche Ministerin an Bord: Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung. In der Heimat ist sie meist mit den Mühen der Ebene der Wissenschaftspoltik beschäftigt, mit Bafög-Erhöhung, Hochschulpakt und Exzellenzinitiative. Jetzt ist sie seit Stunden über schneebedeckte Berge und endloses Weiß geflogen. Mit an Bord ist eine Delegation von Bundestagsabgeordneten und Vertreter von Wissenschaftsorganisationen. Die Ministerin will sich ein Bild machen vom Zustand der Arktis, und von der Polarforschung, die ihr Haus großzügig mit Fördergeld unterstützt: "Das Ziel war für mich, die Polarforschung, die Meeresforschung, die wir haben, die ich auch sehr schätze, mir davon vor Ort ein Bild zu machen, und die Idee war, dass es gerade in dem Jahr, in dem der Weltklimagipfel stattfindet in Paris, es wichtig ist, den Bereich, der für Klimaforschung entscheidend ist, auch ein Stück weit voranzutreiben. Ja. Und dass ich auch mitnehme, was ist eventuell notwendig, um es zu stärken und zu unterstützen."
    Flug über Fjorde und Gletscher
    Schon der Flug über Fjorde, Felsspitzen und Gletscher lässt keine Seele unberührt - auch nicht die der Ministerin. Von oben sieht es so aus, als könne dieser Eislandschaft nichts etwas anhaben. Doch der Schein trügt. Wissenschaftler tragen als Beweis für die Endlichkeit dieser Idylle jeden Tag Daten zusammen, die belegen, dass die Klimaerwärmung hier sogar schneller abläuft als im Rest der Welt: Doppelt so schnell. Mitte dieses Jahrhunderts, sagen die Messungen, könnte die Arktis im Sommer eisfrei sein. Das alles will Wanka hier persönlich in Augenschein nehmen. Doch zunächst, erster Programmpunkt nach Ankunft: Eisbären-Verhaltens-Einweisung. Verena Mohaupt, Stationsleiterin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, lässt keinen Zweifel daran, dass ein Eisbär auch vor Politikern und Journalisten wenig Respekt zeigen würde: "Die Regel lautet Rückzug! Im Ort könnt ihr euch frei bewegen, im Ort sind alle Häuser offen, und wenn ihr in diese Situation kommt, wo ein Eisbär euch begegnet, ruhig und kontrolliert ins nächste Haus zurückziehen und den Kings Bay Watchman anrufen.

    Ny Alesund ist die nördlichste dauerhaft bewohnte Siedlung der Welt - auch wenn es in der Polarnacht, in acht Monaten Dunkelheit, nur wenige Forscher sind, die hier bleiben - die 31-jährige Physikerin Verena Mohaupt ist eine von ihnen. Dafür kommen im kurzen Sommer manchmal bis zu 150 Wissenschaftler gleichzeitig, zwölf Nationen betreiben hier Forschungsstationen. Sie und ihre Hightech-Messgeräte sind in kleinen bunten Holzhäusern untergebracht. Anfang des Jahrhunderts wurde hier Steinkohle abgebaut, 1928 flog Norwegens Entdeckerlegende Roald Amundsen von hier aus mit einem Zeppelin los, um als erster Mensch den Nordpol zu überfliegen. Der Ankerplatz für sein Luftschiff steht noch immer hier, ein 20 Meter hohes Holzgestell, windumweht, am Ufer des Fjordes.
    Babylonisches Sprachengewirr
    Kohle wird hier seit den 1960er-Jahren nicht mehr abgebaut. Die ehemalige norwegische Bergwerksgesellschaft kümmert sich nun um die Logistik und Verpflegung der Wissenschaftler. In der Kings Bay Messe wird gemeinsam gegessen, es herrscht babylonisches Sprachengewirr. Seit 2003 hat sich das deutsche Alfred Wegener-Institut mit dem französischen Polarinstitut IPEV zusammengeschlossen. Zu AWIPEV - eine äußerst erfolgreiche Fusion. Untersucht wird unter anderem die Atmosphäre, die Veränderung von Meereis und Meeresströmungen - und wie sich das Ökosystem durch die Erwärmung verändert. Über und unter Wasser. Und dann gibt es da noch den Whirlpool. Umsonst und draußen, erzählt Roland Neuber, wissenschaftlicher Koordinator von AWIPEV: "Der Whirlpool hier, der ist in der Tat eine sehr schöne Einrichtung, die wird im Sommer und im Winter genutzt und es gibt Spezialisten die davon schwärmen wie ihnen das Wasser an den Haaren friert, während sie im warmen Whirlpool sitzen."
    Erster arktischer Außentermin mit der Ministerin: Die CDU-Politikerin soll den täglichen Wetterballon mit Ozonsonde steigen lassen. Er wird mit Helium gefüllt und in den Himmel entlassen bis in 30 km Höhe. Als Fracht trägt er Messsonden, um Druck, Temperatur, Feuchte, Windrichtung und Ozongehalt zu messen. Wanka steht im roten Polaranzug im Schnee, die Schnur in der Hand, über ihrem Kopf schwebt der rote Ballon. Der Ballon schießt nach oben. Mit zunehmender Höhe, wenn der Luftdruck nachlässt, wird er immer größer werden. Bis zu zehn Meter dick, erläutert Wissenschaftstechniker Jürgen Gräser. Bis der Balloon irgendwann platzt. Doch bis dahin wird er über Funk Minute für Minute aus unterschiedlichen Höhen seine Messdaten gesendet haben. Durch die Langzeitmessung haben die Forscher belegen können, dass die Luft sich in Ny Alesund alle zehn Jahre um 1,3 Grad erwärmt. Doch selbst dieser Anstieg erklärt noch nicht, warum das Meereis derzeit schneller taut als alle gültigen Klimamodelle vorhersagen. Irgendetwas heizt die Arktis zusätzlich auf. "Viele Zusammenhänge und Rückkopplungseffekte haben wir noch nicht verstanden", sagt Neuber.
    Isolierende Überlebensanzüge
    Bootsfahrt zum nahen Gletscher am Kongsfjord. Abgeordnete und Journalisten werden in isolierende Überlebensanzüge gezwängt: Wer hier von Bord fällt, ist nach wenigen Sekunden unterkühlt. Die Ministerin fährt in einem Boot mit kleiner Kajüte - kleiner ministerieller Komfort im eisigen Fahrtwind. Es geht vorbei an Eisbergen, sie sind die Kinder des Gletschers: Der Gletscher kalbt, regelmäßig, brechen große Eisbrocken aus ihm heraus und stürzen ins Wasser. Es knackt im Eis. Besser nicht zu nahe ran, sagt die Bootsführerin: "Weil der Gletscher kalbt, das heißt es können jederzeit große Eisstücke ins Meer brechen, die dann eine Tsunami-Welle erzeugen und uns zum Kentern bringen könnten."

    Hier kann man der Klimaerwärmung praktisch über die Schulter zugucken. Mit rasanten drei Metern pro Tag schiebt sich der Gletscher Richtung Wasser. Wo wir jetzt mit Booten fahren, erzählen die Wissenschaftler, konnte man noch vor zehn Jahren über Eis laufen. Der Gletscher leuchtet in einem magischen, tiefen Grün. Manchmal, erzählt Neuber, tun die Wissenschaftler auch Gletschereis in ihre Drinks. 800.000 Jahre alte Eiswürfel. Das Boot wendet, Gesichter gefrieren im Fahrtwind. Abends wird heftigst diskutiert. Wie damit umgehen, dass das Paradies schwindet? In der Arktis liegen wertvolle Rohstoffe, Erdöl und Erdas in Mengen. Durch das Tauen des Meereises wird es bald zugänglich sein. Bohrschiffe in der Arktis ? Für viele Forscher ein Schreckensszenario. Als das kleine Flugzeug mit der Ministerin wieder abhebt Richtung Berlin, liegt Ny Alesund im endlosen Sonnenuntergang. Das Licht draußen ist strahlend, der Fjord und das Eis scheinen von innen zu leuchten. Die CDU-Abgeordnete Claudia Lips wirft einen letzten Blick. Was sie mitnimmt? "Auf alle Fälle: die Landschaft, das Licht, und das Gefühl - das muss so bleiben."
    Hinweis: Recherchen für diesen Beitrag wurden unter anderem durch eine Reisekostenbeteiligung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ermöglicht.