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Klimaforscher: Müssten Emissionsreduktion heute anfangen

Er sei skeptisch, ob die Politik schnell genug handeln werde, um die Erderwärmung wirklich auf zwei Grad zu begrenzen, sagt der Klimaforscher Jochen Marotzke. Er bekräftigt: Der Mensch habe den Klimawandel zum größten Teil selbst verursacht.

Jochen Marotzke im Gespräch mit Georg Ehring | 30.10.2013
    Georg Ehring: Die Erderwärmung geht weiter und der Meeresspiegel steigt sogar noch schneller als früher vermutet. Zu diesem Ergebnis kam der Weltklimarat IPCC im ersten Teil seines fünften Sachstandsberichts zum Klimawandel, veröffentlicht vor einem Monat in Stockholm. Eine Erkenntnis, die ihre Folgen haben sollte für die Klimapolitik. Mitte November tagen die Diplomaten in Warschau, um über ein weltweites Klimaschutzabkommen für das nächste Jahrzehnt zu beraten. Am Rande einer Veranstaltung zur Vorbereitung des Klimagipfels habe ich Jochen Marotzke, den Chef des Deutschen Klimakonsortiums, gefragt, welche Vorlage die Wissenschaft für die Politik geliefert hat.

    Jochen Marotzke: Vielleicht sind es zwei zentrale Botschaften. Zum einen haben wir noch einmal bekräftigt, dass der größte Teil des beobachteten Klimawandels tatsächlich vom Menschen verursacht wurde, und zum anderen haben wir, glaube ich, den Verhandlungen ein Instrument an die Hand gegeben, indem wir gezeigt haben, dass die Gesamterwärmung, die wir langfristig erwarten können, einfach davon abhängt, wie viel wir emittieren an Treibhausgasen, und zwar egal wann. Es kommt also nur auf das Budget an.

    Ehring: Wie viel können wir uns denn noch leisten und wie viel haben wir schon verbraucht?

    Marotzke: Unsere beste Schätzung sagt, dass wir, um das Zweigradziel einhalten zu können, 800 Milliarden Tonnen insgesamt ausstoßen dürfen. Von diesen 800 Milliarden haben wir bereits 500 Milliarden verbraucht.

    Ehring: Und wie viel Zeit können wir uns jetzt leisten mit der CO2-Reduktion? Es gibt ja das Bestreben, einen Weltklimavertrag ab 2020 in Kraft treten zu lassen, und es gibt die Überlegung, schon vorher die Klimaziele anzupassen. Ist das egal, wann wir reduzieren, sowohl in naturwissenschaftlicher Hinsicht als auch in praktischer Hinsicht?

    Marotzke: In naturwissenschaftlicher Hinsicht wäre es egal, wann wir die Emissionen reduzieren. In praktischer Hinsicht ist es überhaupt nicht egal, denn es kommt dort ganz entscheidend auf die Rate an, mit der wir die Emissionen reduzieren. Je schneller wir reduzieren wollen, desto schwieriger wird es, und wenn wir jetzt in den nächsten Jahren nicht reduzieren, muss die Reduktion später umso drastischer ausfallen und das wird umso schwieriger sein. Das heißt, wenn wir uns das Leben nicht völlig unmöglich schwer machen wollen, müssten wir mit der Emissionsreduktion heute anfangen.

    Ehring: Ist das denn überhaupt realistisch? Seit 1990, seitdem man sich um die Reduktion bemüht, ist die Emission von Treibhausgasen um rund 50 Prozent gestiegen.

    Marotzke: Zur Frage des Realismus bin ich natürlich nicht der richtige, denn es ist eine politische Frage: Wie schnell kann der politische Prozess voranschreiten. Ich als Laie bin allerdings skeptisch, dass der politische Prozess rasch genug voranschreiten wird, um den Klimawandel wirklich auf zwei Grad zu begrenzen.

    Ehring: Da sprechen Sie das Zweigradziel an, das von der Staatengemeinschaft verabschiedet worden ist. Jetzt mal ganz salopp gefragt: Darf es auch ein bisschen mehr sein?

    Marotzke: Ich gehe davon aus, es darf auch ein wenig mehr sein, und meine Erwartung ist auch, dass wir zwar das Zweigradziel im Grundsatz beibehalten werden, dass aber akzeptiert werden muss, dass dieses Idealziel nicht erreicht werden kann und wir deswegen gewisse Abstriche machen müssen. Andererseits glaube ich nicht, dass diese Abstriche zu katastrophalen Folgen führen werden.

    Ehring: Was wären denn die Folgen, zweieinhalb Grad schlimmer als zwei Grad? Und kann man sich dann mit der Emissionsreduktion möglicherweise doch etwas mehr Zeit lassen?

    Marotzke: Wir können den Unterschied zwischen einer Zwei- und Zweieinhalb-Grad-Welt heute noch nicht abschätzen. Dazu fehlen uns einfach die Untersuchungen. Fatal wäre es allerdings, wenn man sagen würde, gut, Zweieinhalb-Grad-Ziel ist jetzt das neue Ziel, also haben wir viel mehr Zeit und wir können uns zurücklehnen. Ich glaube, wenn es uns ernst wäre mit einem Klimaziel zwei Grad, vielleicht zweieinhalb, auch dann müssten wir mit den Reduktionen heute anfangen. Für keinen dieser Zielbereiche ist da noch viel Zeit.

    Ehring: In den letzten 15 Jahren hat sich die Temperaturkurve ja sehr abgeflacht und das erweckt bei manchen die Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht so schlimm kommt. Was ist da Ihre Ansicht?

    Marotzke: Ich fürchte, dass diese letzten 15 Jahre in der Oberflächentemperatur, so faszinierend sie für einen Wissenschaftler sind, für den langfristigen Klimawandel im Großen und Ganzen irrelevant sind, denn die Erwärmung ist im Kern weitergegangen. Die Ozeane haben weiter Wärme aufgenommen, der Meeresspiegel ist weiter gestiegen, das Eis ist weiterhin geschmolzen. Insofern ist diese Abflachung der Erwärmung in der Oberflächentemperatur ein ungewöhnliches, überraschendes und auch noch nicht verstandenes Phänomen. Es hat aber wenig Relevanz für den langfristigen Klimawandel.

    Ehring: Der Klimaforscher Jochen Marotzke war das. Das Interview habe ich am Rande einer Veranstaltung in Berlin aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.