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Klimaforscher: Zwei-Grad-Ziel wirkt wie ein "gefährliches Placebo"

Auf höchstens zwei Grad Erderwärmung hat sich die Weltgemeinschaft nach zähem Ringen geeinigt. Eine wohlklingende Formel, sagt der Klimaforscher Oliver Geden. Doch die Klimapolitik steuern lasse sich mit einem solchen fixen Klimaziel nicht.

Oliver Geden im Gespräch mit Georg Ehring | 12.06.2012
    Georg Ehring: Höchstens zwei Grad – nach langem Tauziehen hat sich die Weltgemeinschaft auf das Ziel geeinigt, die Erderwärmung auf diesen Wert zu begrenzen. Ein Meilenstein im Kampf gegen den Klimawandel, viele Wissenschaftler halten zwei Grad für eine Erderwärmung, die sich gerade noch beherrschen ließe. Dahinter lauern möglicherweise Kipppunkte wie etwa ein Abschmelzen des grönländischen Eisschildes, die katastrophale und nicht mehr aufhaltbare Entwicklungen hervorrufen könnten. Die Zeit drängt, wenn die Emission von Treibhausgasen so weiter wächst, dann wird das Zwei-Grad-Ziel schnell unerreichbar und damit unrealistisch. 20 Jahre nach dem Erdgipfel von Rio sind die Emissionen um mehr als ein Drittel gewachsen, anstatt zu sinken. Man könnte die Klimaschutzbemühungen verstärken, oder das Ziel anpassen. Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hat die zweite Variante untersucht. Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, warum sich die Welt mit der Aufgabe des Zwei-Grad-Ziels befassen sollte.

    Oliver Geden: …, weil die Emissionsentwicklung, die wir global sehen, einen Trend zeigt, dass die Emissionen immer weiter steigen, auch in den letzten 20 Jahren, seitdem wir internationale Klimapolitik haben, und irgendwann wird sich die Frage stellen, ist das Zwei-Grad-Ziel nicht mehr erreichbar und was machen wir dann. Wir wollen ja in dem Moment nicht ohne weitere Optionen dastehen.

    Ehring: Würde ein aufgeweichtes Ziel nicht unweigerlich dazu führen, dass auch die Bemühungen im Klimaschutz noch weiter nachlassen?

    Geden: Das wäre die Frage, wie das Ziel formuliert ist. Man muss ja zunächst mal an dem bisherigen Ziel kritisieren, dass wir zwar das Ziel haben, aber eigentlich global keinerlei Maßnahmenpakete, mit denen dieses Ziel umgesetzt werden könnte. Das heißt, wir haben zwar ein sehr griffiges Symbol, nicht mehr als zwei Grad, also diese Symbolfunktion ist gewährleistet, aber die Steuerungsfunktion dieses Ziels, nämlich dazu zu führen, dass auch entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden, die ist nicht vorhanden. Das heißt, wir brauchen ein Ziel, an dem sich die Akteure dann auch wirklich orientieren.

    Ehring: Wie gut ist das Zwei-Grad-Ziel denn wissenschaftlich begründet? Beginnt die Katastrophe bei 2,1 Grad, oder vielleicht schon bei 1,5, oder bei 2,5 Grad?

    Geden: Wissenschaftlich ist sie im engeren Sinne eigentlich nicht so sehr gut begründet, diese Zwei-Grad-Marke, weil es natürlich ein globaler Durchschnittswert ist und sich der Temperaturanstieg regional höchst unterschiedlich verteilen wird. Also man kann verkürzt sagen, in Europa wird es nicht so schnell wärmer werden wie in Afrika und anderen verwundbaren Ländern.

    Ehring: Was wäre denn eine Alternative zu diesem festgeschriebenen Ziel?

    Geden: Es werden mehrere Dinge diskutiert werden müssen. Zum einen: kann man das Zwei-Grad-Ziel anders interpretieren? Es gibt in der Klimaforschung das Modell des sogenannten Overshoot, also des Überschießens einer Marke für eine gewisse Zeit, um dann langfristig unter die angestrebte Marke zu kommen. Das könnte eine Möglichkeit sein, wie man gewissermaßen das Zwei-Grad-Ziel vorläufig rettet, obwohl die Emissionen ansteigen. Dann hat man aber vielleicht einen ähnlichen Effekt wie bei der Staatsverschuldung, dass man immer sagt, ja, da ist unser Ziel, aber wir kommen nie hin, oder wie bei der Entwicklungshilfe, wo wir seit 40 Jahren 0,7 Prozent Bruttosozialprodukt haben, aber dieses Ziel nicht erfüllt wird. Die andere Variante ist, wir setzen das Ziel einfach herauf auf zweieinhalb oder drei Grad; dann könnte es aber gefährlich werden und außerdem ist nicht gewährleistet, dass sich die Staaten dann wirklich daran orientieren. Die dritte Möglichkeit wäre zu sagen, wir haben überhaupt kein in Zahlen gefasstes Klimaziel, sondern wir konzentrieren uns statt auf symbolische Ziele auf konkrete Maßnahmen und haben vielleicht einen Pfad vor Augen der Dekarbonisierung, also sozusagen des langsamen oder jedenfalls stetigen Auslaufens der CO2-Emissionen oder des Niveaus der CO2-Emissionen. Das ist keine besonders angenehme Perspektive, aber wir müssen zumindest realistisch gucken, wo stehen wir denn eigentlich global, und wir halten, die EU hält seit 15 Jahren am Zwei-Grad-Ziel fest, weltweit passiert aber nichts.

    Ehring: Welche dieser Varianten würden Sie denn bevorzugen?

    Geden: Auch wenn es ungewöhnlich klingt, ich würde die bevorzugen, ohne ein quantifiziertes Klimaziel zu arbeiten und sich nicht auf wohlklingende Formeln zu einigen bei Klimakonferenzen, sondern ganz konkret Maßnahmen zu verabreden. Es bringt offensichtlich nichts, in der Weltgemeinschaft zu sagen, wir wollen auf zwei Grad, und dann tut keiner was und zeigt jeder auf den anderen und sagt, solange die USA nichts tun, machen wir in China auch nichts, sondern es wäre sehr viel sinnvoller, wenn sich die Staatengemeinschaft oder die größten Emittenten zum Beispiel darauf einigen, wir führen jetzt alle gemeinsam einen CO2-Preis ein, das ist das Verhandlungsergebnis. Wir können dann zwar nicht sagen im ersten Moment, wir wird die Emissionsentwicklung dann aussehen, aber alle können sich darauf verlassen, die anderen tun auch was, die anderen warten nicht ab.

    Ehring: Das heißt, das Zwei-Grad-Ziel ist aus Ihrer Sicht eher hinderlich als förderlich in dem Sinne, dass es Druck ausübt, die Verhandlungen zu intensivieren und die Ziele zu erhöhen?

    Geden: Wenn man die Verhandlungen beobachtet, kann man zumindest den Eindruck haben, dass ein Zwei-Grad-Ziel oder auch ein anderes globales Klimaziel, was eine exakte Marke angibt, am Ende des Tages wie ein gefährliches Placebo für Handeln fungiert: wir haben das schöne Ziel, wir zeigen der Weltgemeinschaft, was wird am Ende dabei herauskommen, aber wir tun dann doch nichts dafür.

    Ehring: Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Interview mit ihm haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.