Freitag, 19. April 2024

Archiv

Klimaforschung
100 Meter tiefe Bohrung im Grund des Bodensees

Forscher der TU Braunschweig bohren an einer der tiefsten Stellen des Bodensees nochmals 100 Meter tief in den Grund. Das wäre für einen Binnensee eine Rekordleistung – und soll die Wissenschaftler mit bislang unbekannten Daten zur Klimageschichte der Erde versorgen.

Von Thomas Wagner | 17.06.2019
Eine Bohrplattform liegt zwischen Hagnau und Konstanz auf dem Bodensee.
Erste Probebohrungen im Bodensee: Vorbereitungen für eine Reise in die Vergangenheit (Felix Kästle / dpa)
Gashebel nach vorn: Uli Raschke, Geograf und Geologe im Dienst der Technischen Universität Braunschweig, braucht mit seinem motorisierten Schlauchboot von der kleinen Bodensee-Gemeinde Hagnau auf der glatten Wasseroberfläche nur wenige Minuten bis zur Seemitte. Dort ragt plötzlich ein rechteckiges Etwas auf – mit allerlei Rohren und Seilzügen darauf.
"Die Plattform ist ein quadratisches Gebilde mit einem hohen Aufbau, dort, wo wir das ganze Gestänge rein und rauslassen."
Das Ganze erweckt den Eindruck einer Art Mini-Bohrinsel mit einem Bohrturm in der Mitte – und dieser erste Eindruck führt die Besucher auf die richtige Fährte. Mittlerweile an Bord der Plattform deutet Uli Raschke auf die vielen Metallrohre am Boden – und auf den turmähnlichen Aufbau, durch den die miteinander verschraubten Rohre nach unten geleitet werden, in die Tiefe des Bodensees:
"Das ist das Casing-Rohr, die äußere Verrohrung. Und in dieses Casing-Rohr wird das so genannte Kernrohr eingeführt. Das Kernrohr beinhaltet ein kleines Plastikrohr, 86 Millimeter Durchmesser. Wir haben also ein Rohr-in-Rohr-System hier."
Auch eine Reise in die Vergangenheit
Und das wird bis zum Grund des Bodensees hinabgelassen, der an dieser Stelle um die 200 Meter tief ist. Doch dort stoppen die von der Plattform abgelassenen Rohre noch lange nicht. Sie graben sich vielmehr tief in den Grund des Bodensees.
"Also wir gehen zunächst 40 Meter ins Sediment hinein. Und dieses Rohr rutscht dann sukzessive nach. Danach haben wir den Fall, dass das Sediment bereits so verfestigt ist, dass wir dieses äußere Rohr nicht mehr brauchen. Und wir können bis auf 99 Meter unter Grund gehen. Das ist unser Ziel. Das ist der Rekord hier. Wir geben uns Mühe."
Knapp 100 Meter in den Grund des Bodensees hineinbohren: Das hat es bisher noch nie gegeben. Die Bohrung in die Tiefe des Seegrunds ist für die beteiligten Wissenschaftler eine spannende Reise in die Vergangenheit. Professor Antje Schwalb, Umweltwissenschaftlerin an der Technischen Universität Braunschweig:
"Ich verspreche mir darüber Informationen, welche Bodenseebewohner vor Tausenden von Jahren im See unterwegs waren. Und wie diese auf den Wechsel zum Beispiel von der Eiszeit auf die Warmzeit reagiert haben."
Hämmern statt Bohren
In den Sedimentproben, die die Bohrer in den kommenden Tagen ans Tageslicht befördern werden, finden sich die Überreste von Kleinstlebewesen und Pflanzen, aber auch Methangas-Spuren, die Aufschluss geben über Änderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre über die Zeit. Zwar ist es nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler in die Sedimentschichten auf dem Grund eines Binnensees vordringen. Bisherige Grabungsarbeiten endeten aber bei etwa 30 Metern Tiefe. Entsprechend eingeschränkt waren die Informationen über die Vergangenheit.
"Leider sind wir bisher nur bis zu 16.000 Jahren zurückgekommen. Und das möchten wir natürlich noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen."
Um überhaupt bis zu knapp 100 Meter unter den Grund des Bodensees zu kommen, arbeiten die Forscher aus Braunschweig mit Kollegen vom baden-württembergischen Seenforschungsinstitut Langenargen und vom limnologischen Institut der Universität Konstanz zusammen. Und sie nutzen ein neues Verfahren namens "Hipercoring". Das Prinzip: Die Rohre aus der Forschungsplattform werden nicht in den Grund hineingebohrt, sondern hineingehämmert. Der Vorteil:
"Beim Bohren zerstört man den Sedimentkern, weil es ja sehr weiche Sedimente sind, die sind ja wie Knete. Und da würde man beim Bohren wirklich sehr viel zerstören. Und so, wenn wir’s runterhämmern, haben wir einen sehr guten, idealen Kern."
Der nach der Bergung aus der Tiefe erst einmal zur Kühlung ins Limnologische Institut der Universität Konstanz gebracht wird. Dann beginnt die eigentliche Analyse der Sedimentproben aus den unterschiedlichen Tiefen. Bis erste Ergebnisse vorliegen, werden nach Angaben der Forscher aber Monate vergehen.