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Klimaforschung
Wenn Hagelkörner zur Gefahr werden

Hagelkörner werden in Zukunft größer. Das prognostizieren Klimasimulationen einer Forschungsstudie. Die Folge ist ein wachsendes Risiko: Bei Durchmessern von um die zehn Zentimetern birgt Hagel eine Verletzungsgefahr für Menschen.

Von Volker Mrasek | 07.11.2019
Große Hagelkörner auf einem Feld
In Deutschland sind das Erzgebirge und die Schwäbische Alb besonders anfällig für Hagel (imago / blickwinkel)
In den meisten Fällen sind Hagelkörner um die ein, zwei Zentimeter groß, wenn sie vom Himmel fallen. Doch immer wieder gibt es Ausreißer nach oben. Ab und an regnet es sogar Tennisbälle:
"Jedes Jahr hat man Hagelkörner von fünf, sechs, sieben Zentimetern irgendwo in Mitteleuropa. Und jedes zweite Jahr so bis knapp über neun Zentimeter."
In Zukunft werde Hagelschlag noch extremer ausfallen, sagt der niederländische Meteorologe Pieter Groenemeijer. Das ist das Ergebnis einer laufenden Studie, die auch vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Beteiligt sind die Münchener Rückversicherung und das Europäische Unwetter-Labor mit Sitz im oberbayerischen Wessling. Groenemeijer leitet es:
"Wir haben dazu Klimamodelle herangezogen und ein statistisches Modell, mit dem man vorhersagen kann, wie Hagelgewitter sein werden. Und daraus ist hervorgegangen, dass diese Hagelgröße tatsächlich zunehmen wird im Laufe dieses Jahrhunderts und um ein bis 2,5 Zentimeter wachsen wird."
Erwärmung der Atmosphäre über Mitteleuropa
Die Forscher haben hier die üblichen Szenarien gerechnet – ein optimistischeres, das von gewissen Fortschritten beim weltweiten Klimaschutz ausgeht, und ein pessimistisches mit ungebremsten Treibhausgas-Emissionen, das sogenannte "business as usual"-Szenario. Tomás Púcik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Unwetterlabor. Der slowakische Geograph erläutert, warum Hagelkörner stärker wachsen, wenn sich die Atmosphäre über Mitteleuropa erwärmt:
"Richtig großer Hagel entsteht dann, wenn es zu rotierenden Gewittern kommt. Für solche ,Superzellen‘ braucht man eine labile Schichtung der Atmosphäre, wie wir sagen: Der Wind muss seine Geschwindigkeit und Richtung mit der Höhe wechseln. Bei unseren Klimasimulationen zeigte sich, dass solche Bedingungen in Zukunft häufiger in Mitteleuropa auftreten. Dann kommt es auch zu stärkeren Aufwinden in den Gewitterzellen. Die Hagelkörner gelangen dadurch in größere Höhen und haben mehr Zeit zu wachsen."
Verletzungsgefahr für Menschen
Hagelkörner mit Durchmessern von um die zehn Zentimetern oder sogar noch mehr sind auch für Menschen eine Gefahr:
"Wir sind auf einen Fall in Rumänien gestoßen: 1997 wurden dort vier Menschen getötet. Von Hagelkörnern, die vermutlich 13 bis 14 Zentimeter groß waren, also wirklich gigantisch. Das sind Ausnahmen. Aber es ist schon so, dass Hagelschlag jedes Jahr Menschen verletzt. Das berühmteste Beispiel ist sicher das Hagelunwetter 1984 in München. Damals kamen 400 Menschen zu Schaden. Ich denke, wenn Hagelkörner größer werden, dann steigt in Zukunft auch das Risiko für solche Verletzungen."
Aber nicht nur die extremsten – und sehr seltenen - Hagel-Ereignisse sollen sich weiter zuspitzen. Auch bei schwächeren Unwettern sei damit zu rechnen, dass sie in Zukunft größere Hagelkörner produzierten, so Pieter Groenemeijer jetzt in Krakau:
"Das hat der Kollege von der Münchener Rückversicherung auch hier bei der Konferenz gezeigt, dass - auch wieder in Mitteleuropa - das Auftreten von Hagel größer als fünf Zentimeter um ungefähr 60 bis 80 Prozent zunehmen wird und sogar in dem extremen Klimaszenario sich mehr als verdoppeln wird. Und das ist die Grenze, wo wirklich die schlimmeren Schäden auftreten: Schäden an Dächern, Fassaden und Autos auch."
In Deutschland sind vor allem die Schwäbische Alb und das Erzgebirge so etwas wie Hochrisikozonen für starken Hagel. Vor allem dort sollte sich die Bevölkerung auf wachsende Gefahren einstellen, raten die Forscher. Bei Neubauten sollten am besten nur noch Dächer und Fassaden zum Einsatz kommen, deren Material hagelfest sei.