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Klimaschutz
"Die betroffenen Regionen brauchen eine gute Zukunft"

Die Kohlekommission tagt heute, dabei geht es auch darum, wann in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet werden soll. Er sei "dagegen, dass Steuergeld dafür bezahlt wird, dass Arbeitsplätze vernichtet werden", sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Dlf. Dieses Geld werde dringender in der Strukturentwicklung gebraucht.

Dietmar Woidke im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.01.2019
    Wasserdampfschwaden steigen vor Sonnenaufgang in den farbigen Morgenhimmel aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde der LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG) hinter einem Karpfenteich in Peitz (Brandenburg).
    Er sei dagegen, dass Milliarden an Kraftwerksbetreiber gezahlt werden, um zwei, drei Jahre früher abschalten zu können, so Woidke (Patrick Pleul/dpa)
    Im Bergbau arbeiten die Menschen in sehr guten Arbeitsverhältnissen und er gehe davon aus, dass dies auch noch in Jahrzehnten so sein wird, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke im Dlf.
    Dennoch müsse man beantworten, wo der Strom herkommen soll, wenn er nicht mehr durch Atomenergie, Braunkohle und Steinkohle generiert werde und sich die Frage stellen, ob man sich von Gas aus Russland abhängig machen wolle. Er sei beim Thema Energiepolitik in grundsätzlichen Fragen mit der Bundesregierung einig, doch der Klimaschutz dürfe die anderen Fragen wie Versorgungssicherheit und Preisentwicklung nicht ausblenden, sagte Woidke.
    Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg
    Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg (picture alliance/Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa)
    "Man muss den Menschen schon ehrlich sagen, wenn der billigste Energieträger aus dem Netz verschwinden soll, wird der Strompreis deutlich ansteigen."
    Brandenburg sollte den Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung weiter fortsetzen. "Das ist ein schrittweiser Ausstieg, innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Dann sind wir auf der sicheren Seite, was rechtliche Fragen betrifft: Schadenersatzforderungen." Zudem, so Woidke, sei er dagegen, dass Milliarden an Kraftwerksbetreiber gezahlt werden, um zwei, drei Jahre früher abschalten zu können.
    Brauchen positive Beispiele in Deutschland
    "Ich bin dagegen, dass Steuergeld dafür bezahlt wird, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Dieses Geld brauchen wir dringend in der Strukturentwicklung. Und wir brauchen die Zeit um die deutsche Energieversorgung zukunftssicher zu machen."
    "Die betroffenen Regionen brauchen eine wirtschaftliche Perspektive, brauchen eine gute Zukunft." Diese Strukturentwicklung funktioniere nicht innerhalb von fünf, sechs Jahren. Man brauche mehr Zeit dafür, so Woidke.
    Wenn man Weltklima-Veränderung wolle, sei es nicht nur auf nationaler Ebene notwendig. Andere Länder müssten das nachmachen. "Wir brauchen hier in Deutschland possitive Beispiele, die andere Länder dann nachmachen. Wir haben in Europa 41 Kohlereviere. Und auch auf der europäischen Ebene ist es notwendig, hier positive Beispiele zu schaffen und den anderen Ländern, beispielsweise Polen, in direkter Nachbarschaft zu zeigen, dass ein Ausstieg aus der Kohle auch gleichzeitig zu wirtschaftlicher Prosperität führen kann."

    Heinemann: Herr Woidke, was wird aus den Menschen, die vom Bergbau leben?
    Woidke: Erst mal arbeiten sie momentan in sehr guten Arbeitsverhältnissen, sie haben sehr gute Löhne. Und ich gehe auch davon aus, das wird in den kommenden Jahren und wahrscheinlich auch Jahrzehnten noch so sein.
    Heinemann: Und wenn nicht mehr verstromt wird, was dann?
    Woidke: Dann müssen wir vorher die Frage beantworten, wo soll der Strom herkommen. Das ist eine spannende Frage, weil wir ja zur gleichen Zeit aus Atomenergie, Braunkohle und Steinkohle aussteigen wollen. Das sind 50 Prozent der deutschen Energieversorgung. Und gleichzeitig natürlich uns die Frage stellen in Deutschland, wie es denn strategisch in den kommenden Jahren weitergehen soll. Wollen wir uns weiter abhängig machen beispielsweise von Russland oder wahlweise auch von den USA, was Gasimporte betrifft.
    Heinemann: Das heißt, Sie stellen die gesamte Energiepolitik der Bundesregierung in Frage?
    Woidke: Nein. Ich bin mit der Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen einig, aber Klimaschutz darf natürlich nicht die anderen Fragen ausblenden, um die es auch geht. Und ich bin sehr froh – Sie haben das ja vorhin in dem Beitrag auch angedeutet –, Versorgungssicherheit spielt eine große Rolle. Wir wollen 24 Stunden oder müssen 24 Stunden 365 Tage im Jahr den Strom haben. Und es spielt eine große Rolle die Preisentwicklung. Man muss den Menschen schon ehrlich sagen, wenn der billigste Energieträger aus dem Netz verschwinden soll, wird der Strompreis deutlich ansteigen.
    Ausstieg schrittweise
    Heinemann: Was heißt das jetzt für den Ausstieg aus der Kohleverstromung?
    Woidke: Das heißt, dass wir den Ausstiegspfad, den wir in Brandenburg beschreiten, gemeinsam mit Sachsen, weiter fortsetzen sollten, und das ist ein schrittweiser Ausstieg innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre. Dann sind wir auf der sicheren Seite, was die rechtlichen Fragen betrifft – Schadensersatzforderung. Ich bin auch dagegen, dass Milliarden gezahlt werden an Kraftwerksbetreiber, um früher, ein, zwei, drei Jahre früher abschalten zu können. Ich bin dagegen, dass Steuergeld bezahlt wird dafür, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Dieses Geld brauchen wir dringend in der Strukturentwicklung. Und wir brauchen die Zeit, um die deutsche Energieversorgung zukunftssicher zu machen. Und wir haben immer gesagt, die Braunkohle ist eine Brückentechnologie, und für diese Brücke brauchen wir weiter die Braunkohle.
    Heinemann: Glauben Sie, dass die Kohlekommission eine Restlaufzeit von 20 Jahren empfehlen wird?
    Woidke: Ich weiß nicht, was die Kohlekommission empfehlen wird. Ich weiß nur, dass große Teile der Kommission genau dieser Meinung sind, dass man nämlich die Fragen Versorgungssicherheit und Preisentwicklung nicht ausblenden darf. Und ich füge hinzu, wenn wir heute über Strukturentwicklung reden, die betroffenen Regionen brauchen eine wirtschaftliche Perspektive, sie brauchen eine gute Zukunft. Gerade wir Ostdeutschen haben erlebt, wie schwierig es ist, Strukturbrüche beziehungsweise zusammengebrochene Wirtschaftsstrukturen, dann wieder was Neues aufzubauen. Es geht nicht innerhalb von fünf oder sechs Jahren. Und deswegen brauchen wir auch für diese Strukturentwicklung in den Regionen, für die Schaffung von Perspektiven, mehr Zeit.
    Kohleausstieg und wirtschaftliche Prosperität
    Heinemann: Was kostet das?
    Woidke: Und übrigens, was den klimapolitischen Ansatz betrifft, darf ich noch mal einen Satz sagen. Wenn wir Weltklima, Weltklimaveränderungen herbeiführen wollen, wenn wir da eine positive Entwicklung wollen, dann ist es nicht nur auf nationaler Ebene notwendig, die Schritte einzuleiten, sondern wir brauchen hier in Deutschland positive Beispiele, die andere Länder dann nachmachen. Wir haben in Europa 41 Kohlereviere, und auch auf der europäischen Ebene ist es notwendig, hier positive Beispiele zu schaffen und den anderen Ländern, beispielsweise Polen in direkter Nachbarschaft, zu zeigen, dass ein Ausstieg aus der Kohle auch gleichzeitig zur wirtschaftlichen Prosperität führen kann.
    Heinemann: Wird denn das Weltklima besser, wenn Deutschland noch zwei Jahrzehnte lang Kohle verstromt?
    Woidke: Das Weltklima wird besser, wenn wir andere Staaten dazu animieren, unseren Beispielen zu folgen. Momentan ist es ja eher das Gegenteil. Und wenn Sie sich den Atomausstieg noch mal vor Augen rufen und denken, was wir damals in Deutschland diskutiert haben. Der Atomausstieg wurde beschlossen nach Fukushima. Heute werden in vielen Staaten der Welt wieder neue Atomkraftwerke gebaut. Also schon damals sind unserem Beispiel nicht allzu viele gefolgt. Und ich glaube, wenn der Kohleausstieg dazu führt, dass ganze Regionen wirtschaftlich in den Abgrund gestürzt werden, dann wird es auch so sein, dass auch dieses Beispiel kaum Nachfolger finden wird.
    Sicherheit und Preiswürdigkeit der deutschen Energieversorgung
    Heinemann: War das jetzt ein Plädoyer für Kohle und Atomenergie?
    Woidke: Es war kein Plädoyer für Atomenergie, es war aber ein Plädoyer, mit der deutschen Energieversorgung, mit der Braunkohle und vor allen Dingen auch mit den Arbeitsplätze und den Regionen so umzugehen, dass wirtschaftliche Perspektiven geschaffen werden, und dass wir gleichzeitig auch die Sicherheit und Preiswürdigkeit der deutschen Energieversorgung im Blick haben – neben allen berechtigten Fragen des Klimaschutzes.
    Heinemann: Herr Woidke, Sie sprachen eben von der guten Zukunft, unter anderem natürlich auch für Ihr Land, für Brandenburg. Wie teuer wird die?
    Woidke: Ich bin da nicht so sehr auf der Seite von denen, die da über Milliarden hin oder her – fünf Milliarden mehr oder fünf Milliarden weniger ist gar nicht die entscheidende Frage. Aber vielleicht mal zum Vergleich: Wir geben pro Jahr 25 Milliarden Euro für die erneuerbaren Energien aus im Ausbau, sind allerdings auch da in den letzten zehn Jahren, was die Zuverlässigkeit betrifft, keinen einzigen Schritt vorangekommen. Das ist eine der großen Fragen für die Zukunft. Aber ich bin vielmehr auf der Seite derer, die sagen, wir brauchen vernünftige Projekte, die uns helfen, die Region nachhaltig zu entwickeln. Dazu gehören natürlich Infrastrukturprojekte, aber noch viel wichtiger sind beispielsweise die Ansiedlung von zusätzlichen Forschungseinrichtungen in diesen Regionen, und zwar von wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen wie beispielsweise Fraunhofer-Institut oder, in Cottbus jetzt geplant, Institut für Luft- und Raumfahrt. Solche Dinge brauchen wir, damit sich Wirtschaft darum gruppieren kann. Das ist die nachhaltigste Form der Wirtschaftsförderung, und damit schaffen wir auch zukunftsfähige Perspektiven für die Region.
    Projekte nicht nur mit Geld realisieren
    Heinemann: Ich nenne jetzt trotzdem noch mal eine Hausnummer. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU, meint ja, die Braunkohleländer benötigten 1,5 Milliarden Euro jährlich, und zwar in den nächsten 30 Jahren. Sind das Maximalforderungen von Wahlkämpfern?
    Woidke: Ich bin da etwas zurückhaltend. Ich unterstütze Michael Kretschmer in vielen Fragen, wir arbeiten sehr eng zusammen. Was diese Zahlen betrifft, muss man immer gucken – mir geht es erst mal darum, dass Projekte realisiert werden. Und die Projekte kann man nicht nur mit Geld realisieren. Ich denke zum Beispiel an den Ausbau von Schienen, Verkehrsinfrastruktur. Da muss die Deutsche Bahn, da muss der Deutsche Bundestag, aber auch das Bundesverkehrsministerium dran sein, und da müssen Projekte umgesetzt werden durch die, die diese Projekte halt nun mal in ihrer Verantwortung haben. Und deswegen muss man da gucken, was wird gebraucht in den Regionen, was können wir tun. Aber eines ist mal klar, und da hat Michael Kretschmer vollkommen recht: Wenn jemand so tut, als ob ein Kohleausstieg aus der Portokasse zu bezahlen wäre, dann ist er auf einem falschen Weg. Und die 1,5 Milliarden, die da immer wieder diskutiert worden sind, übrigens für die nächsten drei Jahre, und dann abschließend, die sind lächerlich im Vergleich zu der Herausforderung, vor der wir stehen.
    "Förderung da, wo sie gebraucht wird"
    Heinemann: Zum Beispiel im Ruhrgebiet, der Paritätische Wohlfahrtsverband hat vor einem Monat zum Ende der Steinkohleförderung tief im Westen gesagt, das Ruhrgebiet brauche viel mehr Investitionen, während im Osten die Armut inzwischen zurückgehe, nehme sie im Ruhrgebiet zu. Sollte das Ruhrgebiet danach, in der Zeit danach, vorrangig gefördert werden?
    Woidke: Ich bin dafür, dass wir das, was momentan in der Kommission sich andeutet, wenn die Bundesregierung dies übernimmt, dass die Bundespolitik wieder direkt in die Strukturentwicklung von Regionen geht, was viele Jahrzehnte leider nicht der Fall war, das ist dringend notwendig. Und wir kriegen jetzt vielleicht auch mit der Diskussion um die Braunkohle eine Blaupause, die wir in anderen Regionen anwenden können. Und es gibt ja nicht nur Probleme in den früheren oder jetzigen Kohleregionen. Es gibt ja viele andere Regionen, gerade auch in Ostdeutschland, die diese Unterstützung brauchen. Und ich glaube, dass es grundsätzlich das Signal sein muss, wir gehen dahin, wo diese Unterstützung gebraucht wird, egal ob Ost oder West, egal ob Nord oder Süd, und unterstützen da und schaffen Perspektiven.
    Heinemann: Herr Woidke, ganz konkret, bitte noch mal die Frage – vorrangige Förderung für das Ruhrgebiet? Ja oder nein?
    Woidke: Das Ruhrgebiet hat eine schwierige Situation, ich weiß das. Aber das Ruhrgebiet zeigt uns natürlich was anderes. Das Ruhrgebiet zeigt auch, dass ein Steinkohleausstieg, der mit sehr viel Geld begleitet worden ist, auch kein Selbstläufer in Nordrhein-Westfalen war, in einem Land, das wirtschaftlich ganz anders dasteht als die meisten ostdeutschen Länder. Und deswegen keine vorrangige Förderung. Ich will eine Förderung da, wo sie gebraucht wird. Und dazu kann natürlich auch das Ruhrgebiet zählen.
    Heinemann: Also es gibt nicht unbedingt – Solidarität heißt für Sie nicht automatisch Einbahnstraße von West nach Ost?
    Woidke: Es geht hier nicht um ein Gegeneinander von Regionen. Es geht darum, dass wir grundsätzlich uns klar darüber sein müssen, dass Regionen, wenn sie Hilfe brauchen, diese Hilfe bekommen. Und es geht darum, dass die Bundesregierung, dass die Bundespolitik insgesamt wieder in Strukturentwicklung von Regionen dann einsteigen muss, wenn diese Regionen die Unterstützung brauchen.
    Klimanationalismus wenig hilfreich
    Heinemann: Herr Woidke, wie sollte die Politik jetzt mit den Beschlüssen der Kohlekommission umgehen?
    Woidke: Die Politik hat natürlich dann – die Politik hat das Primat. Die Kommission ist von der Politik eingesetzt, in dem Fall von der Bundespolitik, von Herrn Altmaier dann auch personell berufen und zusammengesetzt. Und natürlich, hinterher müssen die Empfehlungen noch mal hingelegt werden, und es muss geprüft werden, wie sind Sie umzusetzen. Sind die finanziellen Ressourcen gegeben beispielsweise, aber vor allen Dingen auch, wie beeinflusst das die deutsche Energieversorgung. Das sind die Aufgaben der Politik. Und ich bin ganz klar dafür, dass wir in den kommenden Jahren auch ein Monitoring haben, dass wir wirklich schauen, was passiert im Klimaschutz, aber auch schauen, was passiert in der Versorgungssicherheit in Deutschland. Und was passiert vor allen Dingen auch in der Preisentwicklung. Dieses Monitoring brauchen wir, und daran müssen wir unsere zukünftigen Entscheidungen im Energiebereich auch ableiten.
    Heinemann: Was passiert, wenn demnächst 100 Lungenärzte die Schädlichkeit der Kohleemissionen für Gesundheit und Klima in Frage stellen?
    Woidke: Ich will mich in diese Diskussion – ich weiß, worauf Sie anspielen, es geht hier um NOx und Feinstaub –, in diese Diskussion will ich mich nicht einmischen. Das ist ein Streit zwischen den Spezialisten. Aber ich bin da zurückhaltend. Ich glaube schon, dass es notwendig ist, im Umweltschutz und vor allen Dingen im Klimaschutz mehr zu machen, dass wir als Deutschland aber auch in der Verantwortung sind, positive Beispiele zu setzen und mit diesen positiven Beispielen europaweit und weltweit für Nachfolge zu sorgen und damit auch weltweit einen Klimabeitrag zu leisten. Denn eins hilft uns doch überhaupt nicht, und das ist Klimanationalismus.
    Heinemann: Dietmar Woidke, SPD, der Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Danke schön für das Gespräch, und auf Wiederhören!
    Woidke: Ich danke Ihnen. Alles Gute, tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.