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Klimawandel in der Arktis

Der Klimawandel zeigt in der Arktis bereits deutliche Folgen. Große Gebiete sind nun im Sommer eisfrei und das Packeis wird von Jahr zu Jahr dünner. Auch die Wassertemperaturen steigen. Welche Folgen das für arktische Ökosysteme hat, untersucht ein EU-Forschungsprojekt.

Von Christine Westerhaus |
    Das kleine Krebstierchen Calanus glacialis mag es gern kalt. Deshalb fühlt es sich besonders in arktischen Gewässern wohl. In den letzten Jahren ist es dem Meeresbewohner im südlichen Teil der Arktis aber wegen des Klimawandels zu warm geworden. Seinen Platz im Ökosystem der südlichen Arktis hat nun ein anderes Krebstierchen eingenommen. Es ist jedoch wesentlich kleiner und enthält deutlich weniger Fett, als sein Kälte liebender Verwandter.

    "Dieses Fett ist sehr attraktiv und wichtig für viele arktische Organismen. Und wenn das Ökosystem auf die schlankere Form übergeht, die weniger Fett hat, wird das natürlich Auswirkungen haben auf zum Beispiel Vögel, die speziell von diesem Zooplankton abhängig sind. Das heißt, die Kolonien werden auf die Länge der Zeit aufhören zu existieren."

    Paul Wassmann, Professor für Arktische Meeresbiologie an der Universität Tromsö. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er untersucht, welchen Temperaturanstieg arktische Gewässer noch tolerieren können und ab welchem Punkt sich ein Ökosystem signifikant verändert. Diesen kritischen Wert nennen die Forscher "Tipping point", oder Kipp-Punkt.

    "Wir haben festgestellt, dass wenn die Wassertemperatur in Gebieten, die kalt gewesen sind, vier bis sechs Grad erreicht, dann verändern sich sehr viele Prozesse und auch das Vorhandensein von sogenannten Schlüsselorganismen verändert sich."

    Zu diesen Schlüsselorganismen gehören vor allem Planktonorganismen wie Calanus glacialis. Sie dienen als Nahrung für größere Tiere, deren Verbreitungsgebiet sich indirekt ebenfalls verändert, falls sie nicht auf andere Energiequellen ausweichen können.

    Den kritischen Temperaturwert von vier bis sechs Grad haben die Forscher auf verschiedenen Wegen ermittelt. Zum einen haben sie im Labor untersucht, wie Planktonorganismen und andere Meeresbewohner auf höhere Temperaturen reagieren. Zum anderen werteten sie historische Aufzeichnungen aus.

    "Wir haben uns Zeitserien angesehen von Plankton oder der Fischerei über 10, 20-30 Jahre, je nachdem wie lange die Zeitserien waren, um zu sehen, ob es in dieser Zeit sprunghafte Veränderungen gegeben hat. Diese Resultate deuten alle darauf hin, dass die meisten Prozesse, die wir untersucht haben, irgendwo zwischen vier und sechs Grad solche nicht-linearen, sehr schnellen großen Veränderungen haben."

    Um die Folgen des Klimawandels für arktische Ökosysteme abschätzen zu können, ist es wichtig, solche Temperaturschwellen zu kennen, meint Paul Wassmann. Dann könnten beispielsweise die Fischfangquoten betroffener Arten gesenkt werden, um den Beständen die Chance zu geben, sich zu erholen.

    "Es wäre sehr gut, wenn in unseren Vorstellungen über die Zukunft die Möglichkeit von einen Tipping point vorkommt. Und wenn wir Andeutungen haben, dass es einen Tipping point geben kann – dass man die ernst nimmt und sich fragen kann – will ich, dass es kippt oder will ich das System bewahren."

    Damit solche kritischen Temperaturschwellen nicht erreicht werden, müsste jedoch der Ausstoß von klimafeindlichen Treibhausgasen gestoppt werden. Paul Wassmann bezweifelt jedoch, dass auf seine Forschungsergebnisse auch Taten folgen werden.