Kaum noch Eis, wenig Eis, sagt Ringo. Seit 25 Jahren fischt er nahe dem Ort Ilulisaat, gut 300 Kilometer nördlich vom Polarkreis, im Westen Grönlands. Früher, auf dem schier unendlichen Eis, benutzte man das Hundegespann, um die kilometerlange Angelschnur auszulegen. Heute geht es selbst im Winter nur vom Boot aus, denn das Eis ist längst verschwunden. Mit dem milderen Klima kamen außerdem neue Fischarten. Statt des traditionellen Heilbutts kriegen sie heute fast nur noch Dorsch, sagt Ringo:
"Acht Kronen pro Kilo Dorsch bekommt man. Für den Heilbutt gab es 25 Kronen. Dorsch ist nicht gut."
Auch andernorts im nördlichen Polarmeer sieht schon lange nichts mehr so aus, wie es einmal war. Das vergangene Jahr war eine Ansammlung von Negativrekorden. Bereits zu Jahresbeginn gab es Plusgrade und Tauwetter am Nordpol, mit Temperaturen mindestens 20 Grad wärmer als im Durchschnitt.
Dann taute das Meer zu großen Teilen bereits im April und Mai auf – das Wasser in der Arktis konnte also über einen langen Zeitraum Wärme aufnehmen.
Eis schwindet viel schneller als prognostiziert
Im Spätherbst dann - eine Jahreszeit, zu der sich das Eis in der Arktis normalerweise ausbreitet – war im Vergleich zu einem durchschnittlichen Jahr eine Eisfläche so groß wie Mexiko weggeschmolzen. Forscher wie Marcus Carson vom Stockholm Environment Institute sind alarmiert:
"Das Eis verschwindet in einem geradezu verstörenden Tempo. Und in vielen Fällen schneller als die Prognose es vorhergesagt hat."
Carson und seine Kollegen haben kürzlich den ersten sogenannten Arctic Resilience Report vorgelegt. Fünf Jahre lang haben die schwedischen Forscher gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen Ökosysteme in der Arktis untersucht. Dort oben, meinen sie, scheint sich ein Teufelskreis anzubahnen:
"Wir beobachten einen Feedback-Effekt: Indem Eis verschwindet und Wasser und Boden mehr Sonnenlicht speichern können, wird die Eisschmelze nur noch schneller vorangetrieben."
Doch die Eisflächen an den Polen haben eine wichtige Funktion bei der Klimaregulierung nicht nur in der Arktis:
"Das Eis reflektiert das Sonnenlicht zurück in den Weltraum. Und das sorgt dafür, dass unser Planet ein Klima hat, in dem wir Menschen gedeihen können. Die Temperaturen werden auf einem Niveau gehalten, das es uns erlaubt, Nahrung anzubauen, unsere Städte bauen zu können, leben zu können."
Forscher befürchten Kipp-Punkte
Die Forscher achteten besonders auf sogenannte Regimewechsel: Entwicklungen in Ökosystemen, bei denen die Natur in einen neuen Zustand gerät, der dann über viele, viele Jahrzehnte hinweg nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Mancherorts in der Arktis sind die sogenannten Kipp-Punkte – von denen es also kein Zurück mehr gibt – laut der Forscher bereits erreicht: Wärmeres Wasser und wärmere Luft lassen zum Beispiel bestimmte Tierarten und Pflanzen andere verdrängen.
Doch was sich in der Arktis zusammenbraut, kann auch Ökosysteme weltweit abrupt verändern, glauben sie: Aus Regenwald könne Savanne werden. Der Monsunregen könne fundamental durcheinander geraten. Kältewellen in Nordamerika und strenge, späte Winter in unseren Breitengraden seien schon jetzt Folgen vom beginnenden Chaos in der Arktis.
"Wir müssen uns beeilen, um der Beschleunigung des Klimawandels zuvorzukommen. Aber ich bin recht optimistisch, dass uns das gelingen kann. Ich bin mir zwar bewusst, dass das einiges an Aufwand kostet, doch wir bewegen uns in die richtige Richtung."