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Klimawandel
"Wir leben bereits in einer ein Grad wärmeren Welt"

Der Potsdamer Klimaforscher Peter Hoffmann geht davon aus, dass extreme Wetterphänomene in den kommenden Jahren zunehmen werden. Man lebe bereits jetzt in einer ein Grad wärmeren Welt, sagte er im Dlf. Der Übergang vom Winter in den Sommer könne künftig viel rasanter werden.

Peter Hoffmann im Gespräch mit Christine Heuer | 01.08.2018
    Eine Spaziergängerin steht vor der untergehenden Sonne am Kronsberg bei Hannover
    Deutschland erlebt seit Wochen eine Hitzewelle (picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Christine Heuer: Die Hitze ist extrem, Klimaforscher überrascht sie nicht. Seit vielen Jahren beschäftigen sie sich mit der Erderwärmung und ihren Folgen, Wissenschaftler aus verschiedenen Ressorts setzen sich immer wieder zusammen, und sie entwerfen Szenarien für die Welt in 50 oder 100 Jahren. Auch für Deutschland gibt es das, Berechnungen und Szenarien, speziell abgestellt auf Wirtschaft, Energie, Landwirtschaft, auf Flora und Fauna und natürlich auf den Menschen, darauf, was ihn erwartet, wenn die Temperaturen immer weiter steigen, um vielleicht drei bis vier Grad. Der Meteorologe Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, arbeitet mit an solchen Szenarien. Mit ihm möchte ich jetzt darüber sprechen, wie Deutschland sich verändert in den nächsten Jahrzehnten, wenn der Klimawandel nicht gestoppt werden kann. Guten Morgen, Herr Hoffmann!
    Peter Hoffmann: Guten Morgen, hallo!
    Heuer: Zu Beginn einmal: Diese extreme Hitze jetzt, halten Sie das für ein einmaliges Ereignis, oder ist das nächstes Jahr vielleicht schon wieder so?
    Hoffmann: Vielleicht nicht nächstes Jahr zwingenderweise, aber klar ist, die Extreme häufen sich, und die letzten Ereignisse, zum Beispiel 2003, bislang der Hitzesommer, genauso 2015 war ein überdurchschnittlich warmer Sommer. Und jetzt, 2018. Und ungewöhnlich ist an dieser Situation, dass es nicht nur die jetzige Hitzephase ist, sondern eigentlich die ganze Warm- und Trockenphase hat ihren Ursprung im April. Und das ist schon recht ungewöhnlich, so eine lange, stabile Großwetterlage über mehrere Monate.
    Heuer: Das heißt also, wir stecken wirklich schon mitten drin im Klimawandel.
    Hoffmann: Einzelereignisse wie diesen Sommer kann man nicht dem Klimawandel zuordnen, allerdings man kann es einordnen bezüglich langer Beobachtungsreihen. Und klar ist, wir leben bereits jetzt in einer ein Grad wärmeren Welt, und auch in Deutschland sind wir jetzt 1,4 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter.
    "Die Versicherung wird quasi höhere Schäden spüren"
    Heuer: Wenn Deutschland wärmer wird, Herr Hoffmann, verändert es dann grundsätzlich sein Gesicht? Wird es anders aussehen, und wenn ja, wie?
    Hoffmann: In erster Linie, wir spüren die Änderung an den Extremen, das ist eindeutig. Extremwettersituationen sind immer so das Markante des Wandels. Wenn sich Extremsituationen häufen, dann spüren wir das, spüren wir das in vielen Bereichen, ob in Landwirtschaft oder Gesundheit, Wirtschaft generell, und auch am Ende die Versicherung spürt quasi höhere Schäden.
    Heuer: Aber was wird denn anders aussehen? Haben Sie etwas im Kopf, wo Sie sagen, das wird uns ins Auge fallen, da sieht Deutschland am Ende des Jahrhunderts anders aus als heute?
    Hoffmann: Wir sehen ja jetzt schon, der Wandel ist nicht nur auf diesen Sommer begrenzt, sondern zieht sich über die gesamten Jahreszeiten hinweg. Die Winter werden milder, die Schneegrenze verschiebt sich in höhere Kammlagen, der Übergang vom Winter in den Sommer hinein passiert rasanter, und das war schon dieses Jahr der Fall. Wir hatten quasi einen kühlen März, und dann folgte der Rekord-April. Und genau dieser Übergang quasi vom Winter in den Sommer hinein kann zukünftig viel rasanter vonstatten gehen.
    Heuer: Also Frühling und Herbst verschwinden?
    Hoffmann: Es bleibt immer so ein gewisses Spätfrostrisiko im Frühjahr, und das hat dann immer so den Anschein, dass man von der kühleren Witterung relativ schnell in die warme kommt.
    Heuer: Wir sehen ja jetzt diese verbrannten Wiesen, die Bäume verlieren jetzt schon, im August, schon im Juli haben sie ihre Blätter zum Teil verloren. Wird es in Deutschland mehr aussehen wie Steppe?
    Hoffmann: Wir haben ja jetzt so die letzten beiden Jahre betrachtet, die letzten beiden Sommer. Da sieht man schon, auf was man sich einstellen muss. Das ist nicht nur das eine Extrem, nämlich lange Trockenheit und Hitze, sondern genau das andere Extrem gehört dazu. Also wie letztes Jahr, 2017, da gab es Rekordniederschläge in Regionen, die eigentlich bislang eher trocken waren, sprich Berlin-Brandenburg. Und genau das sieht man im Prinzip auch in Klimamodellsimulationen, dass es tendenziell nicht – dass Regionen, die jetzt trocken sind, nicht zwingenderweise noch trockener werden müssen, sondern die Atmosphäre verändert sich auch dynamisch. Das heißt, Wetterlagen können zukünftig auch in Regionen Niederschläge bringen, die bislang eher trocken sind.

    "Gewohnte Tiere wird man vielleicht nicht mehr so oft hören"

    Heuer: Herr Hoffmann, was bedeutet das konkret? Lassen Sie uns mal über Tiere sprechen. Singvögel werden weniger. Das hat nun nicht nur die Ursache im Klimawandel, aber das ist ja so, und der Klimawandel trägt auch dazu bei. Kann es sein, dass wir in 70 Jahren nicht mehr das Vogelgezwitscher täglich hören in den warmen Jahreszeiten?
    Hoffmann: Das kann durchaus sein. Nichtsdestotrotz sieht man im Prinzip, dass wir auch neue Arten bekommen, die quasi jetzt aufgrund der doch rasanten Klimaverschiebungen jetzt hier heimisch sind. Aber genauso kann es der Fall sein, dass man einfach gewohnte Tiere nicht mehr so oft hört.
    Heuer: Also weniger Rotkehlchen und dafür mehr – ja was, Papageien?
    Hoffmann: Nein, das vielleicht nicht. Aber irgendwelche Insekten, die sich jetzt heimisch fühlen und die gegebenenfalls dann auch gewisse Krankheiten übertragen.
    Heuer: Ah ja, also Malariamücken in Deutschland der Normalfall – kann so was passieren?
    Hoffmann: Also da ist quasi aktueller Forschungsbedarf. Man sieht bereits eine gewisse Tendenz zu neuen Arten, die bisher noch nicht heimisch sind. Aber inwieweit genau solche Risiken sich dann auch für Deutschland, dass die dann für Deutschland ein mögliches Szenario sein könnten, das ist einfach noch zu früh.
    Heuer: Was ist denn mit den Pflanzen? Wächst der beste Wein künftig in England, und bei uns wachsen dafür die Orangen?
    Hoffmann: Sie sehen an diesem Jahr im Prinzip, wie früh die Weinlese beginnt und wie früh der Wein bereits begonnen hat zu wachsen. Und tendenziell sieht man, dass sich quasi die Weinanbauregionen immer weiter nach Norden verschieben, und am Ende kann es schon sein, dass dann Regionen, wo bisher Weinanbau nicht möglich war, zukünftig doch der beste Wein wächst. Nichtsdestotrotz, für den Wein ist immer noch ein entscheidender Faktor das Spätfrostrisiko. Und auch in dem wärmeren Klima kann es immer Situationen geben, Jahre, wo ein Spätfrost quasi die Weinernte verderben kann.
    Heuer: Da haben es die Briten bald gut. Und ausgerechnet jetzt, wo sie die EU verlassen … Wird es einen Mangel an Wasser geben? Wird man das spüren? Werden Lebensmittel teurer?
    Hoffmann: In diesem Jahr ist es quasi wirklich ein extrem Jahr, und quasi das sind so Beispieljahre, an denen man sich quasi gewisse Zukunftsszenarien zusammenbauen kann. Klar, man sieht jetzt schon, wie gewisse Folgen sich quasi langsam aufbauen, und zwar am Ende Getreide- oder Ernteeinbußen bei der Getreideernte, des Weiteren durch das Niedrigwasser der großen Flüsse und das warme Wasser müssen jetzt bereits Kraftwerksbetreiber ihre Energieproduktion drosseln.
    "Jeder einzelne ist gefordert, seinen Alltag zu überdenken"
    Heuer: Ja, genau, Stromausfälle stehen uns möglicherweise auch ins Haus. Also unterm Strich kann man sagen, das Leben, der Alltag für die Deutschen wird wahrscheinlich beschwerlicher werden – oder teurer?
    Hoffmann: Wir müssen uns auf gewisse Extremfälle vorbereiten und quasi die in unsere Planung einfach mit einbinden. Sachen, die bisher unwahrscheinlich schienen, werden wahrscheinlicher, und demnach müssen wir zukünftig genauer auch mit verschiedenen Kombinationen von Extremen rechnen.
    Heuer: Das hätten wir alles früher verstehen können, weil es ist ja lange genug vom Klimawandel die Rede, Herr Hoffmann. Wir haben es verschlafen. Haben wir es verschlafen?
    Hoffmann: Es ist noch nicht zu spät. Klar ist, es wird ein sehr ambitioniertes Unterfangen werden, genau das Pariser Klimaabkommen von unter zwei Grad, am besten 1,5 Grad zu begrenzen. Und klar ist, nicht nur die Politik, sondern auch jeder Einzelne ist gefordert, seinen Alltag zu überdenken und doch gewisse umweltfreundlichere Aktivitäten zu verfolgen.
    Heuer: Herr Hoffmann, zum Schluss. Ich hatte neulich einen Gärtner zu Besuch, und der hat gesagt, die Natur wird schon überleben, aber nicht so, wie wir sie schön finden. Wird es schlechter, oder wird es nur anders? Wie sehen Sie das?
    Hoffmann: Ich würde eher sagen, es wird anders. Es gibt ja jetzt schon Regionen, ich sag mal die Mittelmeerregion, dort lebt man ja auch. Man lebt anders, anders als in Deutschland, und wir haben dann am Ende eine gewisse Verschiebung. Allerdings, aufgrund des rasanten Wandels müssen sich quasi ein- und dieselben Generationen auf gewisse Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten einstellen.
    Heuer: Peter Hoffmann war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er ist Meteorologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Vielen Dank, Herr Hoffmann! Und das Thema Dürre beschäftigt uns natürlich weiter im Programm. Heute Abend zum Beispiel um 19:15 Uhr in der Sendung "Zur Diskussion". Titel dann: "Dürre in Deutschland. Mit dem Klimawandel leben", meine Kollegin Britta Fecke führt durch diese Diskussion, heute Abend um 19:15 Uhr – hören Sie rein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.