Klimmt: Ja, sie kann es schaffen, weil wir ja doch sehr viel Hilfestellung von Seiten des Bundes geben. Es sind fast 40 Milliarden, die jährlich in Richtung Bahn fließen: Einmal zur Bewältigung der Altlasten beim Bundeseisenbahnvermögen mit etwa 14 Milliarden; wir zahlen - 13 Milliarden sind es jetzt - in die Regionen für den Regionalverkehr, damit dann die Länder wiederum von der Bahn Leistungen im Nahverkehr kaufen können. Wir helfen mit zu investieren. Wir investieren im Bereich der Bewältigung von Altlasten - vor allem in den neuen Bundesländern -, die aus der Vergangenheit herrühren. Also das Engagement des Bundes ist sehr, sehr groß. Und jetzt muss einfach die Bahn von ihrer Seite aus auch mal Schritte unternehmen, die ihr helfen, einmal den Umsatz zu erweitern, aber auch gleichzeitig die Kosten zu senken. Davon kann man das Unternehmen nicht freisprechen, hier muss die Verantwortung bleiben wo sie hingehört, nämlich beim Vorstand und bei den Gewerkschaften.
DLF: Also einen Schritt hat die Bahn ja bereits getan. Mehdorn hat die Notbremse gezogen, was den Transrapid angeht. Er hat die Auffassung vertreten, dass der Transrapid in seiner Konzeption, wie sie vorgelegen hat, eben nicht wirtschaftlich zu betreiben ist. Er hat gesagt: ‚Ich verabschiede mich davon', aber es tauchen ja neue Defizite auf. Bei der Neubaustrecke des ICE zum Beispiel zwischen Köln und Frankfurt wird bislang schon geredet von einem Finanzloch von zwei Milliarden. Wer deckt diese Defizite?
Klimmt: Ja, das muss die Bahn erwirtschaften. Die muss halt darauf achten - wie jedes Unternehmen -, dass man sich nicht so verläuft, auch mit seinen Kostenschätzungen sich nicht so verläuft. Da kann man jetzt nicht einspringen, dann geht das nämlich - wie offensichtlich früher -, dass man sagt: ‚Irgend jemand finden wir schon, der uns dann die entsprechenden Haushaltslöcher stopft'. Das wird nicht gehen. Natürlich wollen wir die Bahn unterstützen, aber mir geht es immer mehr darum, das operative Geschäft voran zu bringen, als jetzt wieder irgendwelche Altlasten zu bewältigen. Man muss aufpassen, dass aufgrund der Strukturen der ursprünglichen Behördenbahn eben falsche wirtschaftliche Entscheidungen vermieden werden. Darum geht es eigentlich jetzt im inneren Verhältnis auch derjenigen, die bei der Bahn Verantwortung tragen.
DLF: Nun ist das Finanzloch da, und jetzt werden die Forderungen laut an den Eigentümer - der Eigentümer ist der Bund - zu sagen: Der Eigentümer muss hier in die Bresche springen und muss eben dieses finanzielle Desaster irgendwie beheben. Wird der Bund sich noch einmal finanziell beteiligen?
Klimmt: Wir sind bereit, bei der Frage etwa des Ausscheidens über Frühpensionierung von unserer Seite aus noch einmal Geld in die Hand zu nehmen. Es wird auch so sein, dass, wenn Personalabbau unvermeidbar ist, dass dann auch von Seiten des Bundesarbeitsministeriums Leistungen erfolgen werden. Aber über das hinaus können wir uns nicht engagieren, weil wir - um es noch einmal zu wiederholen - eben in einem sehr, sehr großen Maße engagiert sind.
DLF: Nun winken ja dem Bund Milliardeneinnahmen durch die Vergabe von Mobilfunklizenzen. Bundesverteidigungsminister Scharping hat schon zur Freude des Amtskollegen Eichel gesagt, er wolle sich aus diesem Topf nicht bedienen. Aber wie steht es denn mit dem Bundesverkehrsminister? Wäre da denn eine Möglichkeit, der Bahn unter die Arme zu greifen?
Klimmt: Es sind ja Einmalzahlungen, die erfolgen und ein Großteil wird man brauchen, um auch wiederum die Altlasten aus der Postreform zu bewältigen. Auch da muss noch einiges vom Bund aufgewandt werden, damit das Unternehmen in seinen Teilen jetzt so prachtvoll dastehen kann wie zum Beispiel die Telekom. Das hat ja etwas zu tun mit der entsprechenden Politik seitens des Bundes, und diese Verpflichtungen müssen finanziert werden. Außerdem bin ich der Meinung, dass man eine Struktur im Haushalt braucht, dass man einmalige Einnahmen bitte nicht für die Deckung laufender Ausgaben verwendet, sondern überlegt, wo man es gezielt einsetzen kann, wenn man es nicht - so wie Eichel es vor hat - allein in den Bereich der Entschuldung setzt. Ich bin aber der Meinung, dass es durchaus auch Bereiche geben kann, wo man gezielt auch wieder Dinge bedient, die nur einmalig auftauchen, wie es ja wohl unstrittig so ist bei den Entschädigungszahlungen für diejenigen, die in Deutschland als Zwangsarbeiter haben arbeiten müssen. Dies soll ja aus diesen Sondereinnahmen finanziert werden.
DLF: Das heißt also, wenn ich es richtig verstanden habe, will sich der Bundesverkehrsminister hier nicht bedienen?
Klimmt: Ha! - ich nehme Geld, wo ich es kriegen kann; also, das ist nicht das Problem. Nur: Ich kann natürlich nicht mit Hans Eichel praktisch über die Medien verkehren, sondern das muss in der Diskussion um den Haushalt jetzt vollzogen werden, welche Anteile eventuell, die Investitionen betreffen - sowohl im Bauhaushalt als auch im Verkehrshaushalt - noch gesteigert werden können. Aber das ist ein internes Verfahren, da verhandeln wir nicht in der Öffentlichkeit miteinander.
DLF: Nun hat Bahnchef Mehdorn große Pläne. Er möchte die Bahn an die Börse bringen. Aber jetzt stellt sich natürlich auf der anderen Seite das Problem: Wie kann ihm das gelingen, wenn er immer diese drohenden Bilanzlöcher vor sich herschiebt. Wie kann ihm das gelingen, wie soll er das machen?
Klimmt: Er hat ja gesagt und darauf haben die sich ja auch verständigt - Gewerkschaften und Unternehmensführung -, dass eine Verbesserung des Ergebnisses in einer Größenordnung von neun Milliarden bis zum Jahre 2004 angestrebt wird, durch Kostensenkung auf der einen Seite und mehr Geschäft auf der anderen Seite. Das ist mir die bessere und liebere Methode, aber auch die Kostensenkung lässt sich leider nicht vermeiden. Und dann sieht man eben, ob die Bahn fähig ist, an die Börse zu gehen. Das ist der entscheidende Punkt für mich, die Börsenfähigkeit. Nicht, dass man den Börsengang dann auch wirklich unternimmt und die Börsenfähigkeit steht eben nur dafür, dass die Bahn in der Lage ist, wirtschaftlich zu arbeiten. Darum geht es.
DLF: Es wird immer wieder Mehdorn vorgeworfen, er hätte Pläne, sich aus der Fläche zurückzuziehen. Ist das mit dem Auftrag, den die Bahn hat, vereinbar?
Klimmt: Er will sich nicht aus der Fläche zurückziehen. Ich bin da mit ihm einer Meinung, dass wir möglichst viel Verkehr brauchen. Die Fläche bringt ja dann auch für die Hauptlinien Kunden, also das hat ja eine Funktion im gesamten System. Es geht nur darum, mit mittelständischen Elementen das so kostengünstig zu gestalten, dass das nicht ständige rasante Verlustbringer sind. Und das ist das Ziel. Also: Umorganisation, dann Kooperation mit anderen Partnern und eventuell Abgabe der Strecke an Dritte. Das gibt es auch bereits - einige Vorbilder zeigen das, wo es auch durchaus funktioniert. Und ganz am Ende steht dann eventuell, eine Strecke zuzumachen. Man darf nicht vergessen, dass ein Teil des Streckennetzes ja im 19. Jahrhundert konzipiert worden ist und die Siedlungsentwicklung doch davon mittlerweile abweicht, dass das eine oder andere tatsächlich obsolet ist und nicht mehr sinnvoll mit Geschäft versehen werden kann.
DLF: Nun bestehen Forderungen der Verkehrsminister der Länder und auch der Gewerkschaften dahingehend, dass sie sagen: Der Bundesverkehrsminister muss für eine Gleichbehandlung von Straße und Schiene sorgen, das heißt, er muss die Bahn von ihren Wegekosten befreien. Was sagen Sie dazu?
Klimmt: Wir haben von unserer Seite aus alleine mit 63 Milliarden die Bahn entschuldet, und wir sind dabei, noch lange, lange Zeit die Altlasten zu finanzieren. Das gibt es in keinem anderen Land Europas, und deswegen muss jetzt aus dem laufenden Geschäft heraus die Bahn in der Lage sein, rentabel zu arbeiten. Das war der ganze Sinn der Bahnreform. Deswegen auch Trassenpreise, weil die Unternehmen ohne Schulden in der Lage sein müssen - sowohl im Regionalverkehr als auch im Fernverkehr -, dann auch die entsprechenden Trassenpreise zu zahlen, die man braucht, um das Netz zu unterhalten. Sonst errichten wir ja wiederum einen dauerhaften Zuschussbetrieb, und das ist nicht die Absicht gewesen bei der Bahnreform.
DLF: Also Ihre Haltung ist schon klar, dass Sie sagen: Die Bahn muss das tun, weil sie entschuldet worden ist und das ihre Aufgabenstellung ist. Und was tut sie, wenn sie es nicht schafft?
Klimmt: Ja, das ist immer eine Diskussion, die ich jetzt nicht im vorweg führen möchte. Ich will auch keine ‚Persilscheine' ausstellen so nach dem Motto ‚strengt Euch nicht an, irgendwie wird die liebe Oma oder der liebe Opa - sprich die Bundesregierung und der Bundesverkehrsminister - Euch dann schon wieder unter die Arme greifen'. Nein, das ist schon eine ziemlich harte und schwierige Situation, und dazu werden sicherlich auch schwierige Entscheidungen notwendig sein.
DLF: Sie haben irgendwann einmal gesagt: Wenn es an der Spitze nicht funktioniert, dann muss man wie beim Fußballclub den Trainer austauschen. Nun haben Sie mit Herrn Mehdorn ja auch jemanden gefunden, der für Reform steht. Was machen Sie denn, wenn Herr Mehdorn scheitert? Oder kann es sich der Bundesverkehrsminister leisten, dass Herr Mehdorn mit seinem Konzept scheitert?
Klimmt: Also, wir haben ja Herrn Mehdorn aus der Überzeugung heraus berufen, dass er der richtige Mann für diese Funktion ist. Und ich habe bis jetzt keinen Grund, zu klagen, weil ich das Gefühl habe, dass er mit Phantasie und gleichzeitig auch mit Engagement und Liebe zur Bahn - es geht ihm nicht darum, irgendwie noch einen hoch dotierten Job zu haben. Er ist an der Aufgabe interessiert. Das spürt man bei jeder Äußerung und bei jeder Berührung praktisch, die man mit ihm hat, dass er fast innerlich vibriert, um die Aufgabe zu lösen. Dieses Engagement ist gegeben, und vom Konzept her glaube ich, dass vieles richtig ist und dann im Konsens weiter entwickelt werden kann. Für mich ist jedenfalls viel mehr Bewegung und Musik drin, als es vorher der Fall war.
DLF: Er polarisiert natürlich auch stark; er hat die Situation durch seine Vorschläge so weit gebracht, dass eben das Ganze kurz vor einem Streik stand, was noch einmal abgewendet werden konnte. Ist das die richtige Vorgehensweise?
Klimmt: Man muss wissen, dass die Gewerkschaften die Aufgabe haben, die Interessen ihrer Mitglieder nun mit aller Kraft, notfalls auch mit Streik, zu verteidigen und zu vertreten. Und ich habe von meiner Seite aus nur zwei Punkte in die Diskussion gebracht, nämlich ich habe einmal gesagt ‚keine betriebsbedingten Kündigungen' - hier soll auch dann der letzte Bahner, der praktisch aus Praktizitätsgründen nicht gebraucht wird, soll dann genau so gehen wie der erste, unter den gleichen Bedingungen. Und das Zweite ist, dass es dort auch Einkommensgruppen gibt, die nicht mehr in der Lage sind, noch etwas abzugeben. Das sind die beiden Punkte, die man wissen muss. Das andere muss ausverhandelt werden, und da muss auch die Bahn wissen, dass in dieser auf Wettbewerb orientierten Gesellschaft dieser Wettbewerb auch die Spielräume für die ehemalige Behördenbahn hat sehr eng werden lassen. Das war aber mit der Bahnreform von allen Parteien so gewollt.
DLF: Ja, nun sind frühzeitig Pläne der Bahn bekannt geworden, die unter dem Stichwort ‚Regent' firmieren, die im Grunde darauf abzielen, die Strukturen zu ändern und aus den Bahnbediensteten Unternehmer zu machen, die vor Ort für die Bahn regionale Verkehre bedienen sollen. Glauben Sie, dass dieses Konzept von Mehdorn funktionieren kann?
Klimmt: Ja, ich glaube ja. Das funktioniert zum Beispiel im Kreis Düren. Dort ist die Dürener Kreisbahn, die hat von der damaligen Bundesbahn eine Schienenstrecke übernommen zwischen der Eifel und Jülich und sie bedient das und es ist wirtschaftlich. Sie ist in der Lage, mit flexiblen Methoden das zu schaffen. Dort werden übrigens die Schienenfahrzeuge mit den gleichen Motoren angetrieben wie die Busse. Beide werden nebeneinander gewartet, das heißt, es gibt dort so viele Synergieeffekte, die dazu geführt haben, dass aufgrund der Tatsache, dass es ein mittelständisches Konzept gewesen ist, dieses Unternehmen profitabel arbeiten kann.
DLF: Aber die Bahn kann doch von diesem Konzept nur profitieren, wenn sie in der Lage ist, alle diese Verkehre und alle Ausschreibungen, die zu diesen Verkehren dann auch stattfinden, zu gewinnen. Hat sie denn das Potential dazu?
Klimmt: Ja, sie hat dieses Know-how, hat das Potential. Es muss ja auch nur dort ausgeschrieben werden, wo dann aufgrund öffentlicher Zuschüsse gemeinwirtschaftlicher Verkehr vorliegt. Soweit es eigenwirtschaftlich gestaltet werden kann, können die Strecken ja auch direkt übertragen werden.
DLF: Kommen wir noch zu einem anderen Thema. Umweltminister Trittin und auch Rezzo Schlauch, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, fordern eine Trendwende in der Verkehrspolitik. Und namentlich Trittin hat Ihnen bereits konkrete Vorschläge gemacht - von einer Luftverkehrsabgabe bis hin zum Tempolimit. Was halten Sie von solchen Ratschlägen, und brauchen Sie eigentlich solche Ratschläge?
Klimmt: Es sind keine Ratschläge, sondern es sind Beiträge zur Diskussion. Wir leben ja in einer Demokratie, in der gerade Vorschläge gefragt sind. Aber ich will auch klar und deutlich sagen: Die Zuständigkeit ist bei mir. Und die Entscheidung, ob wir zum Beispiel in der Flugverkehrsabgabe weiterkommen oder nicht, liegt nicht bei mir, auch nicht bei Trittin, sondern die liegt im europäischen Bereich. Wir können das nicht alleine lösen. Wir haben mehrfach schon versucht - jetzt gerade auf der letzten Verkehrsministerkonferenz -, dort ein einheitliches Handeln hin zu bekommen. Aber es gibt leider einige Staaten innerhalb der EU, die nicht bereit sind, eine solche Abgabe mit uns zu beschließen. Und alleine können wir das nicht tun; das macht keinen Sinn. Und was die Kerosinbesteuerung angeht, stehen dem internationale Verträge entgegen. Aber ich bin da völlig einer Meinung mit Trittin. Was das Tempolimit angeht meine ich, nachdem bei uns der übergroße Teil aller Straßen ja dem Tempolimit unterliegt, weil es Innerortstraßen sind oder Landstraßen: Auf den wenigen Teilen der Autobahn, die überhaupt noch frei verfügbar sind, sollte man an die Verantwortlichkeit der Autofahrerinnen und Autofahrer appellieren und durch Mittel, wie etwa Telematik und Verkehrslenkung, eine der jeweiligen Situation angepasste Geschwindigkeit erreichen. Da liegt für mich der eigentliche Schlüssel und nicht in einem generellen Tempolimit. Wenn ich die Strecke durch die Eifel mir vorstelle und jemand käme auf die Idee, dort Tempo 100 oder 120 verpflichtend für die ganze Strecke zu verlangen, und ich komme von Bonn zurück nachts um drei, und da ist also sozusagen mein Fahrzeug das einzige auf der Strecke, dann ist das in meinen Augen nicht mehr einsichtig. Und außerdem sind wir dabei, einen Kraftstoff zu entwickeln, den sogenannten ‚Kraftstoff der Zukunft', der eben dann die CO 2 - Belastung nicht mehr mit sich bringt; außerdem sind die Aggregate, die Motoren, alle mittlerweile wesentlich sauberer geworden. Also, da ist mir Trittin so ein bisschen auf dem linkspopulistischen Holzweg.
DLF: Aber wenn Sie bei der Luftverkehrsabgabe mit Europa argumentieren: Beim Tempolimit steht dann die Bundesrepublik auch außen vor, weil die anderen Länder längst ein Tempolimit kennen.
Klimmt: Ja, wir haben ja eine ‚Richtgeschwindigkeit' - 130. Das ist wie in Frankreich, und ich muss sagen, das ist auch eine sehr angenehme Reisegeschwindigkeit. Ich kann das eigentlich nur jedem empfehlen, es muss nicht unbedingt über 130 oder 140 gehen.
DLF: Kommen wir zur Innenpolitik. Vor knapp einem Jahr haben Sie auf das Schröder-Blair-Papier mit einem Gegenentwurf reagiert und in einem offenen Brief an die Vorstände Ihrer Partei kritisiert, dass bei dem Versuch, die Sozialdemokratie etwas rundzuerneuern, die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Was hat sich denn seit damals verändert?
Klimmt: Ich glaube, das Schröder-Blair-Papier ist vom Tisch. Und das neue Dokument, was an die Stelle getreten ist, ist der Parteitagsbeschluss auf dem Parteitag in Berlin, der eine ganz andere Handschrift getragen hat - dem ich auch zustimmen konnte. Insofern meine ich, dass die Programmdiskussion der SPD, an deren Beginn wir jetzt stehen, dass die noch darum kreisen wird, in welchem Maße einmal Selbstverantwortung gefördert werden muss, wofür ich uneingeschränkt bin, aber wie im Gegenzug es dann auch notwendig ist, bei denjenigen, die Hilfe brauchen, ihnen diese auch von Seiten der Gemeinschaft zuteil werden zu lassen. Das sind die beiden Spannungsbögen, in denen wir jetzt nach den entsprechenden Instrumenten suchen müssen, möglichst viel Eigeninitiative zu entfalten, aber gleichzeitig die Menschen nicht alleine zu lassen, wenn sie in Probleme kommen. Das ist die Aufgabe für Sozialdemokratie in der nächsten Zeit. Da hat das Schröder-Blair-Papier wenig zu beitragen können; da waren viele auch allgemeinverständliche und akzeptable Sätze drin, aber an einigen Punkten war es formuliert, wo man den Eindruck haben konnte, dass praktisch der Gedanke der Solidarität und eben des gesellschaftlichen Auftrags, Sozialgerechtigkeit zu garantieren, aufgegeben werden sollte. Aber dieses Missverständnis, wenn es denn eines war, ist ausgeräumt.
DLF: Wenn das Schröder-Blair-Papier vom Tisch ist, sind dann auch die Gegensätze vom Tisch?
Klimmt: Ja, ‚Gegensätze' wäre vielleicht ein bisschen hart formuliert, aber es gibt natürlich unterschiedliche Akzentuierungen. Wir sind beide eigene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Profilen; die will auch keiner verwischen. Also, wenn man aus Schröder einen Klimmt machen wollte - ich glaube, das würde etwas seltsam wirken, und umgekehrt gilt genau das Gleiche. Wir sind beide aufgerufen, mit unseren Talenten und Fähigkeiten, die im Spektrum der SPD nun wirklich sehr gut aufgehoben sind, uns für die Partei zu engagieren.
DLF: Herr Klimmt, eine Reihe von Linken hatte mit Ihrem Eintritt in die Regierungsmannschaft auch die Hoffnung verknüpft, dass Sie nun programmatisch Stellung beziehen würden und sich stärker einbringen würden, in diesem Prozess sich äußern würden. Tatsächlich haben Sie sich in der Öffentlichkeit in letzter Zeit sehr zurückgehalten. Woran liegt das?
Klimmt: Ja, weil sich einmal die Verhältnisse innerhalb der SPD - wie ich meine - zum Besseren gewendet haben. Das ist der eine Grund. Und der zweite Grund liegt darin, dass ich selbstverständlich innerhalb des Kabinetts auch gewisse Rücksichten zu nehmen habe, also nicht in jeder tagespolitischen Entscheidung gegen das, was im Kabinett beschlossen worden ist, opponieren kann und auch nicht will - weil - das ist Arbeitsbeschreibung. Aber das ändert ja nichts daran, dass ich in der internen Diskussion - sei es in der Fraktion, auch im Kabinett oder wo man sich sonst trifft, auch im Vorstand der SPD - nicht eine klare Sprache führen würde.
DLF: In der Zwischenzeit hat es aber einen neuen ‚offenen Brief' einiger linker Abgeordneter gegeben. In diesem Brief geht es ebenfalls um diese von Ihnen seinerzeit monierte Gerechtigkeitslücke. Die Linken haben das Thema ‚Ausbildungsplätze' zum Anlass genommen, die noch immer nicht in ausreichender Zahl angeboten werden. Der Aufruf dieser Gruppe ist im Grunde genommen verpufft. Wie erklären Sie sich das?
Klimmt: Weil ja doch erkennbar ist, dass die Regierung sich sehr viel Mühe gibt, ihren Beitrag zur Herstellung vernünftiger Verhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt zu liefern. Wir haben ja auch eine einigermaßen entspannte Situation, das darf man nicht vergessen. Das Ergebnis der Vermittlungstätigkeit im vergangenen Jahr war nicht schlecht. Es hatte einen gewissen Rückgang gegeben, wie der Berufsbildungsbericht gezeigt hat, aber es ist noch keine irgendwie geartete desaströse Situation gewesen. Hier geht es einfach darum, auch wieder entsprechende Akzente zu setzen, damit die Wirtschaft sich auch wirklich engagiert. Denn das, was in dem Brief moniert wird, ist praktisch der Verzicht auf eine Ausbildungsplatzabgabe. Das ist ja nun eine alte Diskussion, die die SPD nun über Jahrzehnte schon begleitet. Es gab übrigens schon einmal eine beschlossene, die dann vom Bundesverfassungsgericht nur wegen formaler Gründe aufgegeben wurde - damals noch von SPD und F.D.P. zusammen als Gesetz zustande gebracht. Also, das ist sozusagen ein sozial- und bildungspolitischer Dauerbrenner. Und eigentlich bedeutend und wichtig ist für mich einfach das Ziel, dass wirklich die Jugendlichen auch eine Ausbildung bekommen.
DLF: Nun hat die Regierung dieses Problem ‚Ausbildungsplätze' durch ein Sonderprogramm gelöst. Aber es kann ja nicht der Königsweg sein, dass ich alljährlich Sonderprogramme beschließe, um junge Leute in die Ausbildung zu bringen. Da müssen doch andere Formen des Miteinanders auch mit der Wirtschaft, die für diese Ausbildungsplätze zuständig ist, gefunden werden.
Klimmt: Ja, das müsste in der Tat die Wirtschaft tun, wobei ich es für richtig halte, dass etwa, wenn es darum geht, Defizite im Bildungsbereich - es gibt ja auch lernschwächere Schüler - auszugleichen, dass man das dann auch mit öffentlicher Unterstützung macht. Ein Teil des Geldes, was aus diesen Programmen kommt, fließt ja in solche Vorhaben. Und man muss zum zweiten wissen, dass die demographische Kurve sich auch wieder verändern wird. Also die Frage, in welcher Weise Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, beantwortet sich auch zyklisch. Mal sind genug Ausbildungsplätze da und mal nicht. Das hat etwas zu tun mit den Jahrgangsstärken, und deshalb ist es durchaus gerechtfertigt, phasenweise öffentlich etwas zu tun.
DLF: Ja, braucht man das jetzt in Zukunft nicht mehr? Glauben Sie, dass es so funktioniert?
Klimmt: Man muss den Unternehmen, die auch sehr bequem sind, immer wieder Feuer machen. Und die Diskussion um eine Ausbildungsplatzabgabe ist - glaube ich - so ein Feuer, was dazu hilft, dass die Bemühungen sich verbessern.
DLF: In dem Zusammenhang mit programmatischen Fragen bei der SPD stellt sich natürlich auch die Frage nach der Rolle Oskar Lafontaines, weil Programmatik und der Name Lafontaine doch eng miteinander verbunden sind, auch was das letzte Programm anlangt. Er hat ja nun versucht, sich politisch wieder einzubringen auf dem Parteitag der SPD vor drei Wochen hier an der Saar in Schiffweiler. Bundespolitisch - denke ich - wurde das nicht honoriert. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn für ihren politischen Weggefährten, sich da wieder stärker zu Wort zu melden?
Klimmt: Ja, er ist sozusagen am Beginn einer neuen Karriere vielleicht. Also, er fängt praktisch so richtig von vorne an, natürlich versehen mit dem Nimbus, den er als einer der bedeutenden deutschen und saarländischen Politiker der Nachkriegszeit mit Recht hat. Augenblicklich ist ihm die Rolle eines ‚freelancers' zugewiesen, der sich publizistisch zu Wort meldet oder bei der Gelegenheit gewisser Veranstaltungen. Direkte Verantwortung trägt er nicht, und ich weiß auch nicht, ob er die Absicht hat, noch einmal in direkte Verantwortung einzutreten und sich nicht mit diesen - sage ich mal - aus seinem Erfahrungsschatz und seinen auf Kenntnis und Phantasie beruhenden Vorschlägen weiter auf der Bühne präsent zu sein.
DLF: Braucht die Partei denn Oskar Lafontaine?
Klimmt: Ich bin der Meinung ‚Ja'.
DLF: Es gibt aber auch welche, die sagen: ‚Wir können gut auf ihn verzichten'
Klimmt: Ja, das war aber früher auch schon so. Und es gibt auch einige, die meinen, man könnte auch auf Klimmt verzichten. Nun muss man schon sagen: ‚Nein, ich habe auch eine Meinung', und diese Auffassung würde ich gerne im Prozess äußern. Und so lange man mich läßt, werde ich das auch tun.
DLF: Also einen Schritt hat die Bahn ja bereits getan. Mehdorn hat die Notbremse gezogen, was den Transrapid angeht. Er hat die Auffassung vertreten, dass der Transrapid in seiner Konzeption, wie sie vorgelegen hat, eben nicht wirtschaftlich zu betreiben ist. Er hat gesagt: ‚Ich verabschiede mich davon', aber es tauchen ja neue Defizite auf. Bei der Neubaustrecke des ICE zum Beispiel zwischen Köln und Frankfurt wird bislang schon geredet von einem Finanzloch von zwei Milliarden. Wer deckt diese Defizite?
Klimmt: Ja, das muss die Bahn erwirtschaften. Die muss halt darauf achten - wie jedes Unternehmen -, dass man sich nicht so verläuft, auch mit seinen Kostenschätzungen sich nicht so verläuft. Da kann man jetzt nicht einspringen, dann geht das nämlich - wie offensichtlich früher -, dass man sagt: ‚Irgend jemand finden wir schon, der uns dann die entsprechenden Haushaltslöcher stopft'. Das wird nicht gehen. Natürlich wollen wir die Bahn unterstützen, aber mir geht es immer mehr darum, das operative Geschäft voran zu bringen, als jetzt wieder irgendwelche Altlasten zu bewältigen. Man muss aufpassen, dass aufgrund der Strukturen der ursprünglichen Behördenbahn eben falsche wirtschaftliche Entscheidungen vermieden werden. Darum geht es eigentlich jetzt im inneren Verhältnis auch derjenigen, die bei der Bahn Verantwortung tragen.
DLF: Nun ist das Finanzloch da, und jetzt werden die Forderungen laut an den Eigentümer - der Eigentümer ist der Bund - zu sagen: Der Eigentümer muss hier in die Bresche springen und muss eben dieses finanzielle Desaster irgendwie beheben. Wird der Bund sich noch einmal finanziell beteiligen?
Klimmt: Wir sind bereit, bei der Frage etwa des Ausscheidens über Frühpensionierung von unserer Seite aus noch einmal Geld in die Hand zu nehmen. Es wird auch so sein, dass, wenn Personalabbau unvermeidbar ist, dass dann auch von Seiten des Bundesarbeitsministeriums Leistungen erfolgen werden. Aber über das hinaus können wir uns nicht engagieren, weil wir - um es noch einmal zu wiederholen - eben in einem sehr, sehr großen Maße engagiert sind.
DLF: Nun winken ja dem Bund Milliardeneinnahmen durch die Vergabe von Mobilfunklizenzen. Bundesverteidigungsminister Scharping hat schon zur Freude des Amtskollegen Eichel gesagt, er wolle sich aus diesem Topf nicht bedienen. Aber wie steht es denn mit dem Bundesverkehrsminister? Wäre da denn eine Möglichkeit, der Bahn unter die Arme zu greifen?
Klimmt: Es sind ja Einmalzahlungen, die erfolgen und ein Großteil wird man brauchen, um auch wiederum die Altlasten aus der Postreform zu bewältigen. Auch da muss noch einiges vom Bund aufgewandt werden, damit das Unternehmen in seinen Teilen jetzt so prachtvoll dastehen kann wie zum Beispiel die Telekom. Das hat ja etwas zu tun mit der entsprechenden Politik seitens des Bundes, und diese Verpflichtungen müssen finanziert werden. Außerdem bin ich der Meinung, dass man eine Struktur im Haushalt braucht, dass man einmalige Einnahmen bitte nicht für die Deckung laufender Ausgaben verwendet, sondern überlegt, wo man es gezielt einsetzen kann, wenn man es nicht - so wie Eichel es vor hat - allein in den Bereich der Entschuldung setzt. Ich bin aber der Meinung, dass es durchaus auch Bereiche geben kann, wo man gezielt auch wieder Dinge bedient, die nur einmalig auftauchen, wie es ja wohl unstrittig so ist bei den Entschädigungszahlungen für diejenigen, die in Deutschland als Zwangsarbeiter haben arbeiten müssen. Dies soll ja aus diesen Sondereinnahmen finanziert werden.
DLF: Das heißt also, wenn ich es richtig verstanden habe, will sich der Bundesverkehrsminister hier nicht bedienen?
Klimmt: Ha! - ich nehme Geld, wo ich es kriegen kann; also, das ist nicht das Problem. Nur: Ich kann natürlich nicht mit Hans Eichel praktisch über die Medien verkehren, sondern das muss in der Diskussion um den Haushalt jetzt vollzogen werden, welche Anteile eventuell, die Investitionen betreffen - sowohl im Bauhaushalt als auch im Verkehrshaushalt - noch gesteigert werden können. Aber das ist ein internes Verfahren, da verhandeln wir nicht in der Öffentlichkeit miteinander.
DLF: Nun hat Bahnchef Mehdorn große Pläne. Er möchte die Bahn an die Börse bringen. Aber jetzt stellt sich natürlich auf der anderen Seite das Problem: Wie kann ihm das gelingen, wenn er immer diese drohenden Bilanzlöcher vor sich herschiebt. Wie kann ihm das gelingen, wie soll er das machen?
Klimmt: Er hat ja gesagt und darauf haben die sich ja auch verständigt - Gewerkschaften und Unternehmensführung -, dass eine Verbesserung des Ergebnisses in einer Größenordnung von neun Milliarden bis zum Jahre 2004 angestrebt wird, durch Kostensenkung auf der einen Seite und mehr Geschäft auf der anderen Seite. Das ist mir die bessere und liebere Methode, aber auch die Kostensenkung lässt sich leider nicht vermeiden. Und dann sieht man eben, ob die Bahn fähig ist, an die Börse zu gehen. Das ist der entscheidende Punkt für mich, die Börsenfähigkeit. Nicht, dass man den Börsengang dann auch wirklich unternimmt und die Börsenfähigkeit steht eben nur dafür, dass die Bahn in der Lage ist, wirtschaftlich zu arbeiten. Darum geht es.
DLF: Es wird immer wieder Mehdorn vorgeworfen, er hätte Pläne, sich aus der Fläche zurückzuziehen. Ist das mit dem Auftrag, den die Bahn hat, vereinbar?
Klimmt: Er will sich nicht aus der Fläche zurückziehen. Ich bin da mit ihm einer Meinung, dass wir möglichst viel Verkehr brauchen. Die Fläche bringt ja dann auch für die Hauptlinien Kunden, also das hat ja eine Funktion im gesamten System. Es geht nur darum, mit mittelständischen Elementen das so kostengünstig zu gestalten, dass das nicht ständige rasante Verlustbringer sind. Und das ist das Ziel. Also: Umorganisation, dann Kooperation mit anderen Partnern und eventuell Abgabe der Strecke an Dritte. Das gibt es auch bereits - einige Vorbilder zeigen das, wo es auch durchaus funktioniert. Und ganz am Ende steht dann eventuell, eine Strecke zuzumachen. Man darf nicht vergessen, dass ein Teil des Streckennetzes ja im 19. Jahrhundert konzipiert worden ist und die Siedlungsentwicklung doch davon mittlerweile abweicht, dass das eine oder andere tatsächlich obsolet ist und nicht mehr sinnvoll mit Geschäft versehen werden kann.
DLF: Nun bestehen Forderungen der Verkehrsminister der Länder und auch der Gewerkschaften dahingehend, dass sie sagen: Der Bundesverkehrsminister muss für eine Gleichbehandlung von Straße und Schiene sorgen, das heißt, er muss die Bahn von ihren Wegekosten befreien. Was sagen Sie dazu?
Klimmt: Wir haben von unserer Seite aus alleine mit 63 Milliarden die Bahn entschuldet, und wir sind dabei, noch lange, lange Zeit die Altlasten zu finanzieren. Das gibt es in keinem anderen Land Europas, und deswegen muss jetzt aus dem laufenden Geschäft heraus die Bahn in der Lage sein, rentabel zu arbeiten. Das war der ganze Sinn der Bahnreform. Deswegen auch Trassenpreise, weil die Unternehmen ohne Schulden in der Lage sein müssen - sowohl im Regionalverkehr als auch im Fernverkehr -, dann auch die entsprechenden Trassenpreise zu zahlen, die man braucht, um das Netz zu unterhalten. Sonst errichten wir ja wiederum einen dauerhaften Zuschussbetrieb, und das ist nicht die Absicht gewesen bei der Bahnreform.
DLF: Also Ihre Haltung ist schon klar, dass Sie sagen: Die Bahn muss das tun, weil sie entschuldet worden ist und das ihre Aufgabenstellung ist. Und was tut sie, wenn sie es nicht schafft?
Klimmt: Ja, das ist immer eine Diskussion, die ich jetzt nicht im vorweg führen möchte. Ich will auch keine ‚Persilscheine' ausstellen so nach dem Motto ‚strengt Euch nicht an, irgendwie wird die liebe Oma oder der liebe Opa - sprich die Bundesregierung und der Bundesverkehrsminister - Euch dann schon wieder unter die Arme greifen'. Nein, das ist schon eine ziemlich harte und schwierige Situation, und dazu werden sicherlich auch schwierige Entscheidungen notwendig sein.
DLF: Sie haben irgendwann einmal gesagt: Wenn es an der Spitze nicht funktioniert, dann muss man wie beim Fußballclub den Trainer austauschen. Nun haben Sie mit Herrn Mehdorn ja auch jemanden gefunden, der für Reform steht. Was machen Sie denn, wenn Herr Mehdorn scheitert? Oder kann es sich der Bundesverkehrsminister leisten, dass Herr Mehdorn mit seinem Konzept scheitert?
Klimmt: Also, wir haben ja Herrn Mehdorn aus der Überzeugung heraus berufen, dass er der richtige Mann für diese Funktion ist. Und ich habe bis jetzt keinen Grund, zu klagen, weil ich das Gefühl habe, dass er mit Phantasie und gleichzeitig auch mit Engagement und Liebe zur Bahn - es geht ihm nicht darum, irgendwie noch einen hoch dotierten Job zu haben. Er ist an der Aufgabe interessiert. Das spürt man bei jeder Äußerung und bei jeder Berührung praktisch, die man mit ihm hat, dass er fast innerlich vibriert, um die Aufgabe zu lösen. Dieses Engagement ist gegeben, und vom Konzept her glaube ich, dass vieles richtig ist und dann im Konsens weiter entwickelt werden kann. Für mich ist jedenfalls viel mehr Bewegung und Musik drin, als es vorher der Fall war.
DLF: Er polarisiert natürlich auch stark; er hat die Situation durch seine Vorschläge so weit gebracht, dass eben das Ganze kurz vor einem Streik stand, was noch einmal abgewendet werden konnte. Ist das die richtige Vorgehensweise?
Klimmt: Man muss wissen, dass die Gewerkschaften die Aufgabe haben, die Interessen ihrer Mitglieder nun mit aller Kraft, notfalls auch mit Streik, zu verteidigen und zu vertreten. Und ich habe von meiner Seite aus nur zwei Punkte in die Diskussion gebracht, nämlich ich habe einmal gesagt ‚keine betriebsbedingten Kündigungen' - hier soll auch dann der letzte Bahner, der praktisch aus Praktizitätsgründen nicht gebraucht wird, soll dann genau so gehen wie der erste, unter den gleichen Bedingungen. Und das Zweite ist, dass es dort auch Einkommensgruppen gibt, die nicht mehr in der Lage sind, noch etwas abzugeben. Das sind die beiden Punkte, die man wissen muss. Das andere muss ausverhandelt werden, und da muss auch die Bahn wissen, dass in dieser auf Wettbewerb orientierten Gesellschaft dieser Wettbewerb auch die Spielräume für die ehemalige Behördenbahn hat sehr eng werden lassen. Das war aber mit der Bahnreform von allen Parteien so gewollt.
DLF: Ja, nun sind frühzeitig Pläne der Bahn bekannt geworden, die unter dem Stichwort ‚Regent' firmieren, die im Grunde darauf abzielen, die Strukturen zu ändern und aus den Bahnbediensteten Unternehmer zu machen, die vor Ort für die Bahn regionale Verkehre bedienen sollen. Glauben Sie, dass dieses Konzept von Mehdorn funktionieren kann?
Klimmt: Ja, ich glaube ja. Das funktioniert zum Beispiel im Kreis Düren. Dort ist die Dürener Kreisbahn, die hat von der damaligen Bundesbahn eine Schienenstrecke übernommen zwischen der Eifel und Jülich und sie bedient das und es ist wirtschaftlich. Sie ist in der Lage, mit flexiblen Methoden das zu schaffen. Dort werden übrigens die Schienenfahrzeuge mit den gleichen Motoren angetrieben wie die Busse. Beide werden nebeneinander gewartet, das heißt, es gibt dort so viele Synergieeffekte, die dazu geführt haben, dass aufgrund der Tatsache, dass es ein mittelständisches Konzept gewesen ist, dieses Unternehmen profitabel arbeiten kann.
DLF: Aber die Bahn kann doch von diesem Konzept nur profitieren, wenn sie in der Lage ist, alle diese Verkehre und alle Ausschreibungen, die zu diesen Verkehren dann auch stattfinden, zu gewinnen. Hat sie denn das Potential dazu?
Klimmt: Ja, sie hat dieses Know-how, hat das Potential. Es muss ja auch nur dort ausgeschrieben werden, wo dann aufgrund öffentlicher Zuschüsse gemeinwirtschaftlicher Verkehr vorliegt. Soweit es eigenwirtschaftlich gestaltet werden kann, können die Strecken ja auch direkt übertragen werden.
DLF: Kommen wir noch zu einem anderen Thema. Umweltminister Trittin und auch Rezzo Schlauch, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, fordern eine Trendwende in der Verkehrspolitik. Und namentlich Trittin hat Ihnen bereits konkrete Vorschläge gemacht - von einer Luftverkehrsabgabe bis hin zum Tempolimit. Was halten Sie von solchen Ratschlägen, und brauchen Sie eigentlich solche Ratschläge?
Klimmt: Es sind keine Ratschläge, sondern es sind Beiträge zur Diskussion. Wir leben ja in einer Demokratie, in der gerade Vorschläge gefragt sind. Aber ich will auch klar und deutlich sagen: Die Zuständigkeit ist bei mir. Und die Entscheidung, ob wir zum Beispiel in der Flugverkehrsabgabe weiterkommen oder nicht, liegt nicht bei mir, auch nicht bei Trittin, sondern die liegt im europäischen Bereich. Wir können das nicht alleine lösen. Wir haben mehrfach schon versucht - jetzt gerade auf der letzten Verkehrsministerkonferenz -, dort ein einheitliches Handeln hin zu bekommen. Aber es gibt leider einige Staaten innerhalb der EU, die nicht bereit sind, eine solche Abgabe mit uns zu beschließen. Und alleine können wir das nicht tun; das macht keinen Sinn. Und was die Kerosinbesteuerung angeht, stehen dem internationale Verträge entgegen. Aber ich bin da völlig einer Meinung mit Trittin. Was das Tempolimit angeht meine ich, nachdem bei uns der übergroße Teil aller Straßen ja dem Tempolimit unterliegt, weil es Innerortstraßen sind oder Landstraßen: Auf den wenigen Teilen der Autobahn, die überhaupt noch frei verfügbar sind, sollte man an die Verantwortlichkeit der Autofahrerinnen und Autofahrer appellieren und durch Mittel, wie etwa Telematik und Verkehrslenkung, eine der jeweiligen Situation angepasste Geschwindigkeit erreichen. Da liegt für mich der eigentliche Schlüssel und nicht in einem generellen Tempolimit. Wenn ich die Strecke durch die Eifel mir vorstelle und jemand käme auf die Idee, dort Tempo 100 oder 120 verpflichtend für die ganze Strecke zu verlangen, und ich komme von Bonn zurück nachts um drei, und da ist also sozusagen mein Fahrzeug das einzige auf der Strecke, dann ist das in meinen Augen nicht mehr einsichtig. Und außerdem sind wir dabei, einen Kraftstoff zu entwickeln, den sogenannten ‚Kraftstoff der Zukunft', der eben dann die CO 2 - Belastung nicht mehr mit sich bringt; außerdem sind die Aggregate, die Motoren, alle mittlerweile wesentlich sauberer geworden. Also, da ist mir Trittin so ein bisschen auf dem linkspopulistischen Holzweg.
DLF: Aber wenn Sie bei der Luftverkehrsabgabe mit Europa argumentieren: Beim Tempolimit steht dann die Bundesrepublik auch außen vor, weil die anderen Länder längst ein Tempolimit kennen.
Klimmt: Ja, wir haben ja eine ‚Richtgeschwindigkeit' - 130. Das ist wie in Frankreich, und ich muss sagen, das ist auch eine sehr angenehme Reisegeschwindigkeit. Ich kann das eigentlich nur jedem empfehlen, es muss nicht unbedingt über 130 oder 140 gehen.
DLF: Kommen wir zur Innenpolitik. Vor knapp einem Jahr haben Sie auf das Schröder-Blair-Papier mit einem Gegenentwurf reagiert und in einem offenen Brief an die Vorstände Ihrer Partei kritisiert, dass bei dem Versuch, die Sozialdemokratie etwas rundzuerneuern, die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Was hat sich denn seit damals verändert?
Klimmt: Ich glaube, das Schröder-Blair-Papier ist vom Tisch. Und das neue Dokument, was an die Stelle getreten ist, ist der Parteitagsbeschluss auf dem Parteitag in Berlin, der eine ganz andere Handschrift getragen hat - dem ich auch zustimmen konnte. Insofern meine ich, dass die Programmdiskussion der SPD, an deren Beginn wir jetzt stehen, dass die noch darum kreisen wird, in welchem Maße einmal Selbstverantwortung gefördert werden muss, wofür ich uneingeschränkt bin, aber wie im Gegenzug es dann auch notwendig ist, bei denjenigen, die Hilfe brauchen, ihnen diese auch von Seiten der Gemeinschaft zuteil werden zu lassen. Das sind die beiden Spannungsbögen, in denen wir jetzt nach den entsprechenden Instrumenten suchen müssen, möglichst viel Eigeninitiative zu entfalten, aber gleichzeitig die Menschen nicht alleine zu lassen, wenn sie in Probleme kommen. Das ist die Aufgabe für Sozialdemokratie in der nächsten Zeit. Da hat das Schröder-Blair-Papier wenig zu beitragen können; da waren viele auch allgemeinverständliche und akzeptable Sätze drin, aber an einigen Punkten war es formuliert, wo man den Eindruck haben konnte, dass praktisch der Gedanke der Solidarität und eben des gesellschaftlichen Auftrags, Sozialgerechtigkeit zu garantieren, aufgegeben werden sollte. Aber dieses Missverständnis, wenn es denn eines war, ist ausgeräumt.
DLF: Wenn das Schröder-Blair-Papier vom Tisch ist, sind dann auch die Gegensätze vom Tisch?
Klimmt: Ja, ‚Gegensätze' wäre vielleicht ein bisschen hart formuliert, aber es gibt natürlich unterschiedliche Akzentuierungen. Wir sind beide eigene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Profilen; die will auch keiner verwischen. Also, wenn man aus Schröder einen Klimmt machen wollte - ich glaube, das würde etwas seltsam wirken, und umgekehrt gilt genau das Gleiche. Wir sind beide aufgerufen, mit unseren Talenten und Fähigkeiten, die im Spektrum der SPD nun wirklich sehr gut aufgehoben sind, uns für die Partei zu engagieren.
DLF: Herr Klimmt, eine Reihe von Linken hatte mit Ihrem Eintritt in die Regierungsmannschaft auch die Hoffnung verknüpft, dass Sie nun programmatisch Stellung beziehen würden und sich stärker einbringen würden, in diesem Prozess sich äußern würden. Tatsächlich haben Sie sich in der Öffentlichkeit in letzter Zeit sehr zurückgehalten. Woran liegt das?
Klimmt: Ja, weil sich einmal die Verhältnisse innerhalb der SPD - wie ich meine - zum Besseren gewendet haben. Das ist der eine Grund. Und der zweite Grund liegt darin, dass ich selbstverständlich innerhalb des Kabinetts auch gewisse Rücksichten zu nehmen habe, also nicht in jeder tagespolitischen Entscheidung gegen das, was im Kabinett beschlossen worden ist, opponieren kann und auch nicht will - weil - das ist Arbeitsbeschreibung. Aber das ändert ja nichts daran, dass ich in der internen Diskussion - sei es in der Fraktion, auch im Kabinett oder wo man sich sonst trifft, auch im Vorstand der SPD - nicht eine klare Sprache führen würde.
DLF: In der Zwischenzeit hat es aber einen neuen ‚offenen Brief' einiger linker Abgeordneter gegeben. In diesem Brief geht es ebenfalls um diese von Ihnen seinerzeit monierte Gerechtigkeitslücke. Die Linken haben das Thema ‚Ausbildungsplätze' zum Anlass genommen, die noch immer nicht in ausreichender Zahl angeboten werden. Der Aufruf dieser Gruppe ist im Grunde genommen verpufft. Wie erklären Sie sich das?
Klimmt: Weil ja doch erkennbar ist, dass die Regierung sich sehr viel Mühe gibt, ihren Beitrag zur Herstellung vernünftiger Verhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt zu liefern. Wir haben ja auch eine einigermaßen entspannte Situation, das darf man nicht vergessen. Das Ergebnis der Vermittlungstätigkeit im vergangenen Jahr war nicht schlecht. Es hatte einen gewissen Rückgang gegeben, wie der Berufsbildungsbericht gezeigt hat, aber es ist noch keine irgendwie geartete desaströse Situation gewesen. Hier geht es einfach darum, auch wieder entsprechende Akzente zu setzen, damit die Wirtschaft sich auch wirklich engagiert. Denn das, was in dem Brief moniert wird, ist praktisch der Verzicht auf eine Ausbildungsplatzabgabe. Das ist ja nun eine alte Diskussion, die die SPD nun über Jahrzehnte schon begleitet. Es gab übrigens schon einmal eine beschlossene, die dann vom Bundesverfassungsgericht nur wegen formaler Gründe aufgegeben wurde - damals noch von SPD und F.D.P. zusammen als Gesetz zustande gebracht. Also, das ist sozusagen ein sozial- und bildungspolitischer Dauerbrenner. Und eigentlich bedeutend und wichtig ist für mich einfach das Ziel, dass wirklich die Jugendlichen auch eine Ausbildung bekommen.
DLF: Nun hat die Regierung dieses Problem ‚Ausbildungsplätze' durch ein Sonderprogramm gelöst. Aber es kann ja nicht der Königsweg sein, dass ich alljährlich Sonderprogramme beschließe, um junge Leute in die Ausbildung zu bringen. Da müssen doch andere Formen des Miteinanders auch mit der Wirtschaft, die für diese Ausbildungsplätze zuständig ist, gefunden werden.
Klimmt: Ja, das müsste in der Tat die Wirtschaft tun, wobei ich es für richtig halte, dass etwa, wenn es darum geht, Defizite im Bildungsbereich - es gibt ja auch lernschwächere Schüler - auszugleichen, dass man das dann auch mit öffentlicher Unterstützung macht. Ein Teil des Geldes, was aus diesen Programmen kommt, fließt ja in solche Vorhaben. Und man muss zum zweiten wissen, dass die demographische Kurve sich auch wieder verändern wird. Also die Frage, in welcher Weise Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, beantwortet sich auch zyklisch. Mal sind genug Ausbildungsplätze da und mal nicht. Das hat etwas zu tun mit den Jahrgangsstärken, und deshalb ist es durchaus gerechtfertigt, phasenweise öffentlich etwas zu tun.
DLF: Ja, braucht man das jetzt in Zukunft nicht mehr? Glauben Sie, dass es so funktioniert?
Klimmt: Man muss den Unternehmen, die auch sehr bequem sind, immer wieder Feuer machen. Und die Diskussion um eine Ausbildungsplatzabgabe ist - glaube ich - so ein Feuer, was dazu hilft, dass die Bemühungen sich verbessern.
DLF: In dem Zusammenhang mit programmatischen Fragen bei der SPD stellt sich natürlich auch die Frage nach der Rolle Oskar Lafontaines, weil Programmatik und der Name Lafontaine doch eng miteinander verbunden sind, auch was das letzte Programm anlangt. Er hat ja nun versucht, sich politisch wieder einzubringen auf dem Parteitag der SPD vor drei Wochen hier an der Saar in Schiffweiler. Bundespolitisch - denke ich - wurde das nicht honoriert. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn für ihren politischen Weggefährten, sich da wieder stärker zu Wort zu melden?
Klimmt: Ja, er ist sozusagen am Beginn einer neuen Karriere vielleicht. Also, er fängt praktisch so richtig von vorne an, natürlich versehen mit dem Nimbus, den er als einer der bedeutenden deutschen und saarländischen Politiker der Nachkriegszeit mit Recht hat. Augenblicklich ist ihm die Rolle eines ‚freelancers' zugewiesen, der sich publizistisch zu Wort meldet oder bei der Gelegenheit gewisser Veranstaltungen. Direkte Verantwortung trägt er nicht, und ich weiß auch nicht, ob er die Absicht hat, noch einmal in direkte Verantwortung einzutreten und sich nicht mit diesen - sage ich mal - aus seinem Erfahrungsschatz und seinen auf Kenntnis und Phantasie beruhenden Vorschlägen weiter auf der Bühne präsent zu sein.
DLF: Braucht die Partei denn Oskar Lafontaine?
Klimmt: Ich bin der Meinung ‚Ja'.
DLF: Es gibt aber auch welche, die sagen: ‚Wir können gut auf ihn verzichten'
Klimmt: Ja, das war aber früher auch schon so. Und es gibt auch einige, die meinen, man könnte auch auf Klimmt verzichten. Nun muss man schon sagen: ‚Nein, ich habe auch eine Meinung', und diese Auffassung würde ich gerne im Prozess äußern. Und so lange man mich läßt, werde ich das auch tun.