- Wie ist die aktuelle Situation?
- Wie sieht die Situation im Vergleich mit vorherigen Jahren aus?
- Sind die Engpässe in Krankenhäusern hauptsächlich Corona-bedingt?
- Ist eine Übersterblichkeit zu beobachten?
- Hat die Corona-Pandemie Auswirkungen auf andere Patienten?
- Gibt es Reserven und gegenseitige Hilfe?
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rechnet trotz des harten Lockdowns mit einem weiteren Anstieg von COVID-19-Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen. Eine Nachfrage bei der DKG ergab, dass am 14.12.2020 mehr als 4.600 Covid-Patientinnen und Patienten bundesweit auf den Intensivstationen betreut wurden. Hinzu kommen etwa 20.000 Covid-Patienten auf Normalstationen.
"Derzeit verfügen wir noch über rund 4.100 freie Intensivbetten, müssen aber bis Ende des Jahres mit einem Anstieg der Zahl der COVID-19-Intensivpatienten auf über 5.000 rechnen", erklärte DKG-Präsident Gerald Gaß gegenüber dem Deutschlandfunk. "Wir haben heute 60 Prozent mehr Intensivpatienten als im Frühjahr."
Anders als im März und April, handele es sich auchnicht um eine kurzzeitige Situation. "Vielmehr steigen die Zahlen schon seit Wochen, ohne dass wir ein Ende erkennen können. Für das Personal ist dies eine extreme Herausforderung und Belastung", so Gaß.
Während die Gesamtzahl der belegten Intensivbetten sich nicht stark erhöht, steigt die Anzahl der Patientinnen und Patienten mit COVID-19 auf Intensivstationen jedoch sichtbar. Noch am 1. Oktober befanden sich 362 Personen mit Corona-Erkrankung auf deutschen Intensivstationen, am 14. Dezember waren es bereits 4.553. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl der belegten Intensivbetten betrug nach Angaben des Statistischen Bundesamts am 1. Oktober 21.881 und am 14. Dezember 22.020.
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Uwe Janssens, sagte im ARD-Fernsehen, in den Krankenhäusern sei es nicht "fünf vor", sondern "fünf nach zwölf": "Die Belastungen auf den Intensivstationen haben ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr lange von Pflegern und Ärzten gestemmt werden kann. Wir befürchten einen körperlichen und psychischen Kollaps der Mitarbeiter, die nun schon seit Wochen diesen Anforderungen ausgesetzt sind".
Deutschland – Betten in der Intensivmedizin
Bereits jetzt müssen sich einzelne Krankenhäuser in Deutschland immer wieder von der Notfallversorgung abmelden, darunter beispielsweise die Lukas-Klinik in Solingen (Nordrhein-Westfalen). Anfang Dezember waren dort mindestens 32 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund positiver Corona-Testergebnisse ausgefallen.
Im sogenannten Intensivregister der DIVI werden tagesaktuell die Kapazitäten in den Krankenhäusern aufgelistet. In der Leistungskategorie "High-Care", die auch eine invasive Beatmung (also durch Intubation) bietet, gaben sechs Kliniken per roter Ampel an, dass sie ausgelastet sind – bei 42 gelisteten Krankenhäusern immerhin ein Siebtel.
In Sachsen sind es sogar 20 von 72 und damit mehr als ein Viertel. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt sich die Situation mit 23 roten Ampeln bei 310 gelisteten Kliniken bislang deutlich besser (etwa 7,4-Prozent). (Stand 14.12.2020)
Die Krankenhäuser erleben derzeit eine extreme Ausnahmesituation, die es in jüngerer Geschichte so noch nicht gab. Allerdings wäre es unter Umständen irreführend, die reine Zahl der aktuell belegten Betten mit der Situation aus vergangenen Jahren zu vergleichen. Schließlich sagt die Anzahl wenig über die tatsächliche Belastung aus – worauf auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft hinweist:
"Die Zahl der verfügbaren Intensivbetten bezieht sich immer auf Betten, für die ausreichend Personal zur Verfügung steht. Ein COVID-19-Patient ist aber deutlich behandlungsintensiver als andere Patienten, sowohl auf Normalstationen als auch auf Intensivstationen, benötigt also viel mehr Personal als ein durchschnittlicher Patient", so DKG-Präsident Gaß.
Personalausfall durch Infektionen und Quarantäne wirkten sich auf diese Situation zusätzlich verschärfend aus.
Bereits vor der Pandemie mussten Krankenhäuser mit einem spürbaren Fachkräftemangel im Pflegebereich umgehen. Die aktuell zu beobachtenden Engpässe sind aber hauptsächlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen. Dennoch machen sich eventuelle Versäumnisse aus der Vergangenheit nun bemerkbar.
DKG-Präsident Gerald Gaß: "Die Länder haben über viele Jahre nicht die Investitionsmittel gezahlt, die notwendig waren. Dies zeigt sich beispielsweise an zum Teil fehlenden Schleusenzimmern, aber auch an Rückständen in der Digitalisierung."
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bestätigt eine Übersterblichkeit. Diese sei klar erkennbar, so Präsident Gaß: "Im April lagen die Zahlen deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre, mit mehr als zehn Prozent".
Nach einer Normalisierung der Zahlen ab Mai sind die Daten ab der zweiten Oktoberhälfte wieder deutlich angestiegen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Ein Blick in eine Tabelle des Bundesamtes zeigt, dass sich die Anzahl der Sterbefälle ab ca. Ende Oktober bis Mitte November um zum Teil 300 bis 400 Fälle im Vergleich zum Vorjahr erhöht hat. (Zahlen ab der zweiten Novemberhälfte 2020 lagen zum Zeitpunkt dieser Recherche noch nicht vor.)
Neuinfektionen in Deutschland pro Tag
Wie bereits im Frühjahr, mussten die Kliniken am Jahresende wieder viele medizinische Leistungen und Eingriffe verschieben. Während die Deutsche Krankenhausgesellschaft betont, dass es sich dabei ausschließlich um planbare Behandlungen handle, bei deren Verschiebung keinerlei gesundheitliche Schäden drohten, schätzt Stefan Kluge von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin die Lage drastischer ein:
"Auch dringend notwendige Operationen – zum Beispiel bei Krebs- oder Herzerkrankungen – können bereits in einigen Versorgungsgebieten nicht mehr zeitnah durchgeführt werden", sagte der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Der DKG ist eine Botschaft an die Bevölkerung ein besonderes Anliegen: "Ganz wichtig ist aber vor allen Dingen, dass Menschen nicht aus Angst vor Corona die Notaufnahmen meiden. Dazu gibt es keinen Grund. Der Infektionsschutz in den Krankenhäusern ist gewährleistet, und jeder, der ein Problem hat, sollte unbedingt auch ein Krankenhaus aufsuchen."
Vor Beginn der Pandemie standen laut Intensivregister insgesamt knapp 28.000 Intensivbetten zur Verfügung – etwa 22.000 mit Beatmungsmöglichkeit. Mittlerweile konnten diese Kapazitäten auf mehr als 28.000 Betten mit Beatmungsmöglichkeit erhöht werden.
Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft steht zusätzlich eine Reserve bereit, die binnen einer Woche aktiviert werden kann. "Diese Reserve schwankt je nach Personalsituation zwischen 11.000 und 12.000 Betten" heißt es auf der Website der DKG. Die Organisation betont zugleich, dass die Reserve auch durch weiteres Rückfahren der Regelversorgung verfügbar gemacht werde.
Zusätzlich besteht das sogenannte Kleeblattprinzip, das das Bundesinnenministerium zusammen mit den Gesundheits- sowie Innenministern der Länder konzipiert hat. Dem Konzept zufolge wird das Bundesgebiet in fünf große Regionen unterteilt. Die kleineren Gebiete innerhalb einer Großregion sollen sich gegenseitig bei der Übernahme von Patienten unterstützen – zum Beispiel per Krankenwagen oder Hubschrauber. Im Osten Deutschlands haben sich beispielsweise Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen sowie Thüringen zusammengeschlossen.
Friedrich München von der Krankenhausgesellschaft Sachsen sagte im Deutschlandfunk: "Ich weiß, dass in Sachsen-Anhalt auch Krankenhäuser bereitstehen und – wenn es tatsächlich zu Kapazitätsproblemen in Sachsen kommt – entsprechend Patienten übernehmen würden."
Zugleich benannte München ein konkretes Problem: "Man muss die Patienten in besonders gesicherten Krankentransportwagen transportieren." Auch eingesetzte Hubschrauber dürften ausschließlich für COVID-19-Patienten verwendet werden – "und da sind die Transportkapazitäten eher begrenzt."
(Quelle: DKG, DIVI, Statistisches Bundesamt, Deutschlandfunk)