Dirk Müller: In Berlin am Telefon ist jetzt der Publizist und Fußballexperte Norbert Seitz. Guten Morgen!
Norbert Seitz: Guten Morgen!
Müller: Herr Seitz, ist ein "Weiter so" in dieser Situation richtig?
Seitz: Ja, das ist eine komplizierte Situation: Auf der einen Seite muss man sagen, das Personalangebot ist nicht da. Er hat keine Alternative zur Verjüngung, denn was hieße denn, dass man ältere Spieler wieder einsetzt? Das hieße ein zurück zu Didi Hamann und Jens Jeremies. Das wollen wir doch alle nicht. Und andererseits muss man sagen, Klinsmann hat umfangreiche Reformen angefangen. Er muss darauf hoffen, dass sie erfolgreich sind. So lange sie nicht erfolgreich sind, weiß er, dass er in eine Autoritätskrise hineinschlittert. Wir haben das ja erlebt auch in dem Fall des unterdurchschnittlichen Spielers Christian Wörns, der plötzlich überdurchschnittlich diskutiert worden ist.
Also Klinsmann muss wohl so weiter machen und zu Klinsmann selber gibt es ja momentan auch keine Alternative. Wir würde die denn aussehen? Das wäre Herr Sammer, der mit alten Sprüchen über die deutschen Sekundärtugenden daher kommt und sagt: Früher haben wir sie doch alle weggeknüppelt, auch ohne das System, nach dem Klinsmann jetzt sucht. Und wie hieße die Alternative zu Sammer? Da nenne ich nur einen Namen und sage sonst nichts mehr: Lothar Matthäus.
Müller: Herr Seitz, reden wir über die deutschen Sekundärtugenden, dazu gehört ja auch der Erfolg der deutschen Fußballspieler. Muss Klinsmann mehr bringen, als er kann?
Seitz: Ich glaube schon, dass er mehr bringen muss, als er kann. Er muss vor allen Dingen das Land, die Fußballfans in eine optimistischere Stimmung versetzen. Man hatte schon vor dem Spiel, man hat es am Bewegungsablauf der Spieler gemerkt, man hat es am Gesichtsausdruck der Spieler gemerkt, dass diese Truppe nicht viel drauf hat, dass diese Truppe nicht froh gestimmt ist, dass diese Truppe nicht mit dem letzten Einsatz daran gehen will. Es gibt ja immer den alten Spruch von Uwe Seeler: Man darf verlieren, aber man muss alles gegeben haben. Diese Truppe hat nicht alles gegeben und wenn sie alles gegeben hat, dann war das so wenig, dass man um ein gutes Abschneiden fürchten muss.
Müller: Brauchen die Deutschen denn mehr brasilianische Sonne?
Seitz: Das würde ich nicht sagen. Herr Beckmann hat ja auch gesagt, es wäre besser, man würde jetzt nur Heimspiele machen, damit man vom Taumel der Leute getragen wird. Aber Sie wissen auch, dass die deutschen Fans sehr, sehr kritisch sind und zwar mit Recht. Sie wollen was sehen von ihren hochbezahlten Stars und sie fangen auch schneller zu pfeifen an, wenn es mal nicht klappt auf einen Schlag. Ich glaube nicht, dass das mit Sonne oder mit den Zuschauern zusammenhängt. Es wird ein ganz schwieriger Gang für Klinsmann, denn auch die USA - das muss man klar sehen - die USA, das ist keine drittrangige Mannschaft. Die qualifizieren sich seit 20 Jahren für die Weltmeisterschaft und sie haben uns ja auch im Viertelfinale der letzten Weltmeisterschaft ziemlich stark zugesetzt.
Müller: Ist denn dieser Pessimismus, den es ja nicht nur im Fußball gibt in Deutschland, der auch immer wieder kritisiert wird, aus ausländischer Sicht, aus fremder Sicht, ist das so etwas systemimmanentes, wo die Deutschen so schwer rauskommen, auch beim Fußball?
Seitz: Nein, das würde ich nicht sagen. Man soll nicht immer nur alles zum Stimmungsfaktor erheben. Sicher ist es so, es kommt sehr auf die Stimmung an, keine Frage, mehr denn je, aber die Zuschauer sind kritischer geworden. Sie lassen sich nicht alles vorsetzen, und das finde ich auch richtig so. Es werden dauernd unheimliche Summen diskutiert, denken Sie nur an Michael Ballack, von dem es im Kölner Karneval hieß, er würde jetzt um 100 Millionen feilschen, wo er vor 15 Jahren noch nicht wusste, wie eine Banane geschmeckt hat. Ich würde nicht so weit gehen, aber ich denke mal, dass der Fan in solchen Kategorien auch denkt, und da hat er auch Recht. Deshalb kann man nicht sagen, dass die Deutschen nur die Miesepeter sind, dass sie alles schlecht machen oder wie die Politiker dann immer zu sagen pflegen, hier wird auf hohem Niveau herumgestänkert.
Müller: Aber warum sind die deutschen Einzelspieler offenbar nicht gut genug?
Seitz: Das liegt daran, dass sie zum Beispiel das Tempo nicht mithalten können und Klinsmann hat das schon vor einem halben Jahr richtig analysiert meines Erachtens. Man hat ja bei der Europameisterschaft in Portugal vor zwei Jahren gesehen, als die Griechen gewannen, dass es wirklich am Tempo liegt: Sie sind nicht schnell genug und das heißt auch, sie sind nicht intelligent genug. Unsere Spieler - das hängt mit der Spielweise in der Bundesliga zusammen, das hängt damit zusammen, dass man auch die Bundesliga jahrelang immer viel zu sehr geschönt hat, immer gesagt hat, das sei die stärkste Liga in Europa. Das ist lange nicht so. Die Bundesliga ist eine Langweilerklasse geworden, wo der Meister schon am ersten Spieltag feststeht, wo wir praktisch zwischen Platz 5 und Platz 16, da findet das Nirwana statt, das spielerische, nämlich fast nichts mehr. Wir haben erleben müssen, dass sogar die französische Liga bei der Bewertung der Champions League an uns vorbeigezogen ist, wo man doch früher immer gesagt hat: Die französische Liga, die taugt nichts, weil die besten Spieler sowieso im Ausland spielen. Wir müssen sogar befürchten irgendwann, dass die Holländer an uns vorbeiziehen. Also ich denke mal, es hängt auch damit zusammen, dass wir zu wenig Stars haben, auch zu wenig Stars, die im Ausland spielen.
Müller: Aber, Herr Seitz, wenn ich hier noch mal einhake, Sie sagen, in erster Linie liegt es am Tempo. Kann man gegen fehlendes Tempo nicht dann einfach mehr laufen?
Seitz: Na ja, gut, das hängt natürlich auch mit spielerischer Intelligenz zusammen, denn sie müssen ja die nächsten Spielzüge antizipieren, wie das bei Günter Netzer heißt und das geschieht halt zu wenig. Es wird zu sehr in die Breite gespielt und damit das Spiel fortgesetzt, dass uns schon bei der letzten Europameisterschaft - ich denke immer an den Spieler, der diese Spielweise symbolisiert, nämlich an Didi Hamann - dieses Spielweise hat man wieder gesehen. Sie stellen sich zu wenig frei, sie laufen zu wenig, sie sind einfach zu wenig einsatzbereit. Das war teilweise erschreckend, was man da sah.
Müller: Der Publizist und Fußballexperte Norbert Seitz war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Seitz: Auf Wiederhören.
Norbert Seitz: Guten Morgen!
Müller: Herr Seitz, ist ein "Weiter so" in dieser Situation richtig?
Seitz: Ja, das ist eine komplizierte Situation: Auf der einen Seite muss man sagen, das Personalangebot ist nicht da. Er hat keine Alternative zur Verjüngung, denn was hieße denn, dass man ältere Spieler wieder einsetzt? Das hieße ein zurück zu Didi Hamann und Jens Jeremies. Das wollen wir doch alle nicht. Und andererseits muss man sagen, Klinsmann hat umfangreiche Reformen angefangen. Er muss darauf hoffen, dass sie erfolgreich sind. So lange sie nicht erfolgreich sind, weiß er, dass er in eine Autoritätskrise hineinschlittert. Wir haben das ja erlebt auch in dem Fall des unterdurchschnittlichen Spielers Christian Wörns, der plötzlich überdurchschnittlich diskutiert worden ist.
Also Klinsmann muss wohl so weiter machen und zu Klinsmann selber gibt es ja momentan auch keine Alternative. Wir würde die denn aussehen? Das wäre Herr Sammer, der mit alten Sprüchen über die deutschen Sekundärtugenden daher kommt und sagt: Früher haben wir sie doch alle weggeknüppelt, auch ohne das System, nach dem Klinsmann jetzt sucht. Und wie hieße die Alternative zu Sammer? Da nenne ich nur einen Namen und sage sonst nichts mehr: Lothar Matthäus.
Müller: Herr Seitz, reden wir über die deutschen Sekundärtugenden, dazu gehört ja auch der Erfolg der deutschen Fußballspieler. Muss Klinsmann mehr bringen, als er kann?
Seitz: Ich glaube schon, dass er mehr bringen muss, als er kann. Er muss vor allen Dingen das Land, die Fußballfans in eine optimistischere Stimmung versetzen. Man hatte schon vor dem Spiel, man hat es am Bewegungsablauf der Spieler gemerkt, man hat es am Gesichtsausdruck der Spieler gemerkt, dass diese Truppe nicht viel drauf hat, dass diese Truppe nicht froh gestimmt ist, dass diese Truppe nicht mit dem letzten Einsatz daran gehen will. Es gibt ja immer den alten Spruch von Uwe Seeler: Man darf verlieren, aber man muss alles gegeben haben. Diese Truppe hat nicht alles gegeben und wenn sie alles gegeben hat, dann war das so wenig, dass man um ein gutes Abschneiden fürchten muss.
Müller: Brauchen die Deutschen denn mehr brasilianische Sonne?
Seitz: Das würde ich nicht sagen. Herr Beckmann hat ja auch gesagt, es wäre besser, man würde jetzt nur Heimspiele machen, damit man vom Taumel der Leute getragen wird. Aber Sie wissen auch, dass die deutschen Fans sehr, sehr kritisch sind und zwar mit Recht. Sie wollen was sehen von ihren hochbezahlten Stars und sie fangen auch schneller zu pfeifen an, wenn es mal nicht klappt auf einen Schlag. Ich glaube nicht, dass das mit Sonne oder mit den Zuschauern zusammenhängt. Es wird ein ganz schwieriger Gang für Klinsmann, denn auch die USA - das muss man klar sehen - die USA, das ist keine drittrangige Mannschaft. Die qualifizieren sich seit 20 Jahren für die Weltmeisterschaft und sie haben uns ja auch im Viertelfinale der letzten Weltmeisterschaft ziemlich stark zugesetzt.
Müller: Ist denn dieser Pessimismus, den es ja nicht nur im Fußball gibt in Deutschland, der auch immer wieder kritisiert wird, aus ausländischer Sicht, aus fremder Sicht, ist das so etwas systemimmanentes, wo die Deutschen so schwer rauskommen, auch beim Fußball?
Seitz: Nein, das würde ich nicht sagen. Man soll nicht immer nur alles zum Stimmungsfaktor erheben. Sicher ist es so, es kommt sehr auf die Stimmung an, keine Frage, mehr denn je, aber die Zuschauer sind kritischer geworden. Sie lassen sich nicht alles vorsetzen, und das finde ich auch richtig so. Es werden dauernd unheimliche Summen diskutiert, denken Sie nur an Michael Ballack, von dem es im Kölner Karneval hieß, er würde jetzt um 100 Millionen feilschen, wo er vor 15 Jahren noch nicht wusste, wie eine Banane geschmeckt hat. Ich würde nicht so weit gehen, aber ich denke mal, dass der Fan in solchen Kategorien auch denkt, und da hat er auch Recht. Deshalb kann man nicht sagen, dass die Deutschen nur die Miesepeter sind, dass sie alles schlecht machen oder wie die Politiker dann immer zu sagen pflegen, hier wird auf hohem Niveau herumgestänkert.
Müller: Aber warum sind die deutschen Einzelspieler offenbar nicht gut genug?
Seitz: Das liegt daran, dass sie zum Beispiel das Tempo nicht mithalten können und Klinsmann hat das schon vor einem halben Jahr richtig analysiert meines Erachtens. Man hat ja bei der Europameisterschaft in Portugal vor zwei Jahren gesehen, als die Griechen gewannen, dass es wirklich am Tempo liegt: Sie sind nicht schnell genug und das heißt auch, sie sind nicht intelligent genug. Unsere Spieler - das hängt mit der Spielweise in der Bundesliga zusammen, das hängt damit zusammen, dass man auch die Bundesliga jahrelang immer viel zu sehr geschönt hat, immer gesagt hat, das sei die stärkste Liga in Europa. Das ist lange nicht so. Die Bundesliga ist eine Langweilerklasse geworden, wo der Meister schon am ersten Spieltag feststeht, wo wir praktisch zwischen Platz 5 und Platz 16, da findet das Nirwana statt, das spielerische, nämlich fast nichts mehr. Wir haben erleben müssen, dass sogar die französische Liga bei der Bewertung der Champions League an uns vorbeigezogen ist, wo man doch früher immer gesagt hat: Die französische Liga, die taugt nichts, weil die besten Spieler sowieso im Ausland spielen. Wir müssen sogar befürchten irgendwann, dass die Holländer an uns vorbeiziehen. Also ich denke mal, es hängt auch damit zusammen, dass wir zu wenig Stars haben, auch zu wenig Stars, die im Ausland spielen.
Müller: Aber, Herr Seitz, wenn ich hier noch mal einhake, Sie sagen, in erster Linie liegt es am Tempo. Kann man gegen fehlendes Tempo nicht dann einfach mehr laufen?
Seitz: Na ja, gut, das hängt natürlich auch mit spielerischer Intelligenz zusammen, denn sie müssen ja die nächsten Spielzüge antizipieren, wie das bei Günter Netzer heißt und das geschieht halt zu wenig. Es wird zu sehr in die Breite gespielt und damit das Spiel fortgesetzt, dass uns schon bei der letzten Europameisterschaft - ich denke immer an den Spieler, der diese Spielweise symbolisiert, nämlich an Didi Hamann - dieses Spielweise hat man wieder gesehen. Sie stellen sich zu wenig frei, sie laufen zu wenig, sie sind einfach zu wenig einsatzbereit. Das war teilweise erschreckend, was man da sah.
Müller: Der Publizist und Fußballexperte Norbert Seitz war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Seitz: Auf Wiederhören.