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Klothes: Menschen denken sehr zuversichtlich über Deutschland

Der Vorsitzende der Identity-Stiftung, Paul J. Kothes, hat den Deutschen ein entspanntes Verhältnis zum Deutschsein bestätigt. Man habe den Minderwertigkeitskomplex aus der Vergangenheit, eigentlich keine richtige Nation zu sein, überwunden. In entscheidendem Maße habe dazu beigetragen, dass Deutsche in der Außensicht positiv gesehen würden, sagte Klothes.

Paul J. Kothes im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: In diesem Jahr feiert die Bundesrepublik Deutschland den 60. Jahrestag ihres Bestehens. Grund genug für die gemeinnützige Stiftung "Identity Foundation", eine repräsentative Studie über die deutsche Identität, das Selbstverständnis, das Wir-Gefühl der Deutschen zu erstellen. Diese Studie wird heute der Öffentlichkeit vorgestellt und sie wartet mit spektakulären Ergebnissen auf, über die ich vor der Sendung mit Paul J. Kothes gesprochen habe. Er ist einer der führenden Berater für Unternehmenskommunikation in Deutschland, Gründer der heute größten deutschen PR-Agentur, und er hat als Autor mehrere Bücher verfasst, unter anderem "Jesus für Manager". Außerdem ist er Gründer und Vorsitzender der Identity-Stiftung. Guten Tag, Herr Kothes.

    Paul J. Kothes: Guten Tag, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Kothes, vor einigen Monaten haben wir den Grünen-Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele im Deutschlandfunk gefragt, warum er Probleme hat mit der deutschen Flagge.

    O-Ton Christian Ströbele: Natürlich sehe ich das am Deutschen Bundestag, am Reichstagsgebäude wehen jeden Tag immer neu die Flaggen und da kann man auch sehen, ob da nun Volkstrauertag ist oder so was. Aber da habe ich eigentlich auch nichts dagegen. Aber als das während der Fußballweltmeisterschaft überall und in Massen und an Autos und in Gärten und an Balkonen und überall zu sehen war, da habe ich mich doch etwas unwohl gefühlt. Das Nationale raushängen, das passte nicht, weil das doch ein bisschen erinnert an nationale Überbetonung, an nationalistische Tendenzen. So die große Liebe zur Nation, die kann ich bei mir eigentlich nicht entdecken.

    Spengler: So weit Christian Ströbele. - Herr Kothes, ist Christian Ströbele heutzutage ein eher untypischer Deutscher?

    Kothes: Ja, unbedingt. Da muss er noch ein wenig nachschieben in seiner Erkenntnis, denn die Deutschen haben ein durchaus entspanntes Verhältnis in der Zwischenzeit zum Deutschsein und natürlich auch zum Zeigen von deutschen Flaggen.

    Spengler: Was heißt denn "entspannt"?

    Kothes: Entspannt heißt, dass sie vieles von dem, was die Entspannung verhindert hat in der Vergangenheit, überwunden haben, und die Entspannung hat natürlich verhindert, dass wir als Nation nie so richtig eine Nation gewesen sind, als deutsche Nation, und dann, als wir es mal versucht haben, ist es gründlich daneben gegangen.

    Spengler: Gehört denn nicht mehr in unser Bewusstsein die Erinnerung an die deutschen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus?

    Kothes: Doch. Es gibt eine substanzielle Zahl von Menschen, vor allem natürlich die ältere Generation, die hier noch eine große Betroffenheit hat, aber es wächst eben eine Generation heran, die da eine größere Gelassenheit hat, ohne das Thema zu verdrängen. Das ist, ich glaube, einer der wenigen Fälle auch durchaus in der Welt - ich habe das auch von anderen Meinungsbildnern gehört -, dass die Deutschen als eine der Nationen ihre Probleme durchaus ernsthaft versucht haben zu bearbeiten, und das zeigt jetzt Früchte.

    Spengler: Also Sie haben keinen Grund zur Sorge, dass wir wieder auf einen übersteigerten Nationalismus zusteuern?

    Kothes: Die Zahlen geben dafür gar keinen Anlass. Es gibt natürlich einen harten Kern der relativen Nationalisten. Das ist aber mengenmäßig nicht sehr ausgeprägt. Aber es gibt da eine große Mehrheit von Menschen, die eben sehr freundlich und sehr zuversichtlich über Deutschland denken. Das ist nun keine tiefe Bindung - das darf man sich dabei nicht vorstellen -, sondern das ist, die Forscher haben das gesagt, so eine Kaffeehaus-Deutschmentalität. Das ist international gesagt: nice to have.

    Spengler: Kaffeehaus-Mentalität heißt, so ganz ernst meint man es mit der Heimatliebe nicht, oder was meint das?

    Kothes: Doch, mit der Heimatliebe schon und das ist genau der Punkt. Wir haben ja eine Untersuchung gemacht, die ist in mehreren Stufen gegangen: Erst mal über die tiefenpsychologischen Aspekte des Deutschseins und dann über die kreativen Aspekte und dann schließlich die repräsentativen Aspekte. In der tiefenpsychologischen Untersuchung kam heraus, dass die Deutschen schon ein sehr tiefes Bewusstsein zu Heimat, zu Wald und zu ihrer Region haben, und das allein ist viel wichtiger, in der tiefsten Seele viel wichtiger als der Zusammenschluss. Es war eher der Druck von außen, von anderen Nationen, Frankreich vor allen Dingen, der den Deutschen gesagt hat, ihr seid nicht in Ordnung, ihr habt ja noch nicht mal eine richtige Nation. Das hat zu diesem Missverhältnis geführt, dass man sich nicht wohl fühlte in seiner Haut, wobei das Deutschsein den Deutschen gar nicht so wichtig ist.

    Spengler: Nun hat der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann einmal auf die Frage, ob er Deutschland liebe, geantwortet, er liebe keine Staaten, er liebe seine Frau. Heute sagen 60 Prozent der Deutschen, sie seien stolz darauf, Deutsche zu sein. Diese Änderung, die stellen Sie fest?

    Kothes: Ja, die ist doch sensationell.

    Spengler: Wie kann man auf etwas stolz sein, wofür man selber gar nichts kann, was ja keiner eigenen Leistung entspricht?

    Kothes: Na ja, das was funktioniert - das kennen Sie ja aus dem Alltag -, das erfüllt einen immer mit Freude, egal wo es herkommt. Der Erfolg hat viele Väter. Und allein die Tatsache, dass die Deutschen im Moment im Ausland wieder gut gesehen und gut gelitten sind, hat natürlich auch Rückwirkungen auf das Selbstverständnis der Deutschen, dass man sieht - und das ist für die Deutschen besonders wichtig -, dass sie sozusagen in der Außenperspektive positiv gesehen werden. Ich sage mal, dieser uralte - ich will es mal etwas überspitzt sagen - Minderwertigkeitskomplex, keine richtige Nation zu sein, der lässt natürlich immer darauf schielen, wie sehen uns die anderen.

    Spengler: Das heißt, wenn man stolz ist, ein Deutscher zu sein, dann ist man eigentlich stolz darauf, dass man von anderen anerkannt wird und respektiert wird?

    Kothes: Ja, natürlich. Aber das ist doch im normalen Leben genauso.

    Spengler: Wie weit geht denn die Liebe zu Deutschland oder der Stolz auf Deutschland? Ist man nur bereit, die Steuern zu zahlen, oder auch sein Leben zu opfern fürs Vaterland?

    Kothes: Na ja, das war die Idee mit dieser Kaffeehaus-Mentalität. Das ist eben "Deutschland light". Das muss man schon so sagen. Die Bereitschaft, sich wirklich zu engagieren, ist nicht sehr ausgeprägt. Da gibt es zwar eine Gruppe von etwa 30 bis 40 Prozent Menschen, die auch wirklich substanziell etwas tun würden, und in Katastrophenfällen steigt diese Zahl besonders an, aber im Normalfalle fühlen sich die Deutschen nicht unbedingt verpflichtet. Im Gegenteil: Sie würden gerne sich engagieren, aber bitte nur freiwillig. Bloß keine Verpflichtungen!

    Spengler: Sie schreiben, Herr Kothes, dass das Wir-Gefühl sich in einer enormen Vielfalt von Bezugspunkten zeige, die gar nicht über die Maßen zur Schau getragen würden. Was meinen Sie damit?

    Kothes: Das ist ja das besondere Phänomen, warum es den Deutschen so schwerfällt, eine geschlossene Identität zu finden, noch mal, wie es andere Nationen, die Engländer oder die Holländer oder die Franzosen haben. In Deutschland ist das so ein Patchwork von unterschiedlichen Aspekten, nämlich die Heimat, das Stolzsein auf die deutschen Leistungen als Wirtschaftsnation, dass hier alles funktioniert, hat einen großen Stellenwert. Die deutschen Tugenden darf man nicht unterschätzen, nämlich die Tugend, anständig zu sein. Das sind so richtig konservative Dinge, die haben einen hohen Stellenwert. Und wenn Sie mal sehen: Wir haben die Frage gestellt, wenn sie wählen könnten, würden sie dann noch mal Deutsch als Nation wählen; dann sagen immerhin drei Viertel der Menschen, "Ja klar mache ich das!".

    Spengler: Was bezeichnet man denn als "typisch Deutsch"?

    Kothes: Das ist ja genau das Patchwork, um das es hier geht, dass wir ja verschiedene Fassetten haben, nämlich die Herkunft ist ein wichtiger Punkt, da wo ich geboren bin, und da kommt nämlich diese alte Tradition hinein: der kleine Stamm, sozusagen das Ländle oder die regionale Herkunft ist mir besonders wichtig. Die geht dann auf in einem größeren Zusammenhang.

    Wichtig ist auch die Leistung der Deutschen. Da kommen durchaus die traditionellen Tugenden der Dichter und Denker und, was ein wichtiges Untersuchungsergebnis ist, das typische deutsche Werkeln. Es gibt ja kein Land, wo es so viele Baumärkte gibt, wie in Deutschland. Auch typisch.

    Warum ist das so? Weil wir sozusagen diesen Ausdruck haben, uns in irgendeiner schöpferischen Tätigkeit darzustellen. Das ist ein Stück gemeinsames Gefühl, dass der Nachbar mit mir im Garten werkelt, dass ich mich austausche über das, was da so entsteht. Baumarkt ist überall, in unseren Herzen und natürlich im Markt.

    Spengler: Paul J. Kothes, der Vorsitzende der Identity-Stiftung. Herr Kothes, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Kothes: Gerne.