Archiv


Kluge Kompilation

"Auf dem Dach der Welt: Frei nach Alexander Kluge" ist eine musikalische Verbeugung vor einem der prominentesten Intellektuellen unserer Zeit. Jedes der 13 Hörstücke von Künstlern wie Michaela Melián, Peter Brötzmann, David Grubbs, Sophie Rois oder Helge Schneider nimmt Bezug auf einen Text Kluges.

Von Andi Hörmann |
    "Auf dem Dach der Welt: Frei nach Alexander Kluge" ist eine musikalische Verbeugung vor einem der prominentesten Intellektuellen unserer Zeit. Eine Kompilation an Hörstücken zwischen Mixtape und Radiosendung. Jedes der 13 Stücke von Künstlern wie Michaela Melián, Peter Brötzmann, David Grubbs, Sophie Rois oder Helge Schneider nimmt auf seine ganz eigene Art und Weise Bezug auf einen Text von Alexander Kluge.

    Stolpernde Töne für sperrige Texte - Peter Brötzmann und Otomo Yoshihide antworten mit quengelndem Free Jazz auf einen Text von Alexander Kluge.

    Das Stück "Tanaka Highschool" bezieht sich auf "Der Stolz des Ortes ist die Schule" - eine Episode aus dem Hörspiel "Die Pranke der Natur". Autor: Alexander Kluge. Regie: Karl Bruckmaier. Der Musikjournalist zeigt sich nun auch für eine Zusammenstellung an Hörstücken verantwortlich: "Auf dem Dach der Welt: Frei nach Alexander Kluge". Zum Auftakt der CD versucht sich der schwedische Musiker und Autor Sven-Åke Johansson etwas ungelenk an einem Gassenhauer der Dreigroschenoper:

    Musik: Sven-Åke Johansson, "Über die Unsicherheit der menschlichen Verhältnisse"
    "Ja, menschlich sein, wer wollte es nicht?"

    Vielleicht ist "Über die Unsicherheit der menschlichen Verhältnisse" ein Schlüsselstück zum Verständnis von Leben und Schaffen des Autors Alexander Kluge - diesen kritischen Beobachter und literarischen Chronisten des Weltgeschehens. Das Mysterium Mensch musikalisch verdichtet. David Grubbs bezieht sich zum Beispiel mit seinem Chicagoer Post-Rock auf das Justizdrama "Abschied von gestern" aus dem Jahr 1966. Thema: Ehebruch.

    David Grubbs, "An Unlocked Car":
    "She leaves the car / Spend time in the rain"

    Ein glasklarer Gitarrenklang - die Protagonistin steht im Regen. Ganz anders: Die Künstlerin Michaela Melián. Sie wählt eine flirrende Vibrato-Klangschichtung und hat dabei den Kluge-Film "Die Patriotin" aus dem Jahr 1979 im Sinn:

    "Ich bin der Meinung, dass das Material für den Geschichtsunterricht nicht positiv genug ist, weil unsere deutsche Geschichte nicht positiv genug ist."

    Und der Indie-Gitarren-Pop von Zwanie Jonson & Maurice Summen bezieht sich auf den Kluge-Text "Als wir noch Reptilien waren":

    Zwanie Jonson & Maurice Summen, "Zu heiß, zu kalt"
    "Aus dem Wasser in die Dachgeschosswohnung / Scheint die Sonne / Scheint die Sonne / ins Jetzt hinein"

    In "Auf dem Dach der Welt: Frei nach Alexander Kluge" korrespondieren musikalische Interpretationen mit Prosa. Kompositionen Musikern, die Kluges Bücher und Filme verehren. 13 Stücke, 62 Minuten Spielzeit - eine Zusammenstellung von verquerem Jazz bis zugänglichem Pop. Nur im Titelstück hört man Alexander Kluge selbst lesen:

    Alexander Kluge, "Auf dem Dach der Welt":
    "Weit im Osten, neun Zeitzonen von Washington entfernt, fuhr der Vertrauensmann des Präsidenten"

    Die analytischen, poetisch durchbrochenen Alltagsbeobachtungen von Alexander Kluge werden auf der CD aber oftmals nur durch Popmusik verziert und verzärtelt - Klangfarben für Textaussagen.

    Musik: Greie Gut Fraktion
    "An Händen und Füßen gefesselt"

    Überzeugender und spannender wird es mit Hörstücken, die einzelne Werke von Kluge experimentell vertonen. Carsten Nicolai alias alva noto setzt etwa die Kluge-Erzählung "Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945" akustisch in Szene.

    alva noto: "Die Unheimlichkeit der Zeit"

    "Auf dem Dach der Welt: Frei nach Alexander Kluge" ist eine abwechslungsreiche musikalische Verbeugung, eine ernste und ästhetische Annäherung an das Werk von Kluge. Keine leichte Kost, eher eine Tribut-CD für echte Fans. Doch mit sanftem Ausklang:

    Helge Schneider, "Für Alexander"
    "The wind in your hair makes people happy."

    Am Ende setzt Helge Schneider der ganzen intellektuellen Ernsthaftigkeit etwas Trivialität entgegen, indem er den Wind in den Haaren von Alexander Kluge besingt.

    Helge Schneider, "Für Alexander"
    "Na ja."