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Knackpunkte bei ökologischer Steuerreform und anderen Wirtschaftsthemen abzusehen?

Engels: Es geht voran, aber es ist nicht einfach. So läßt sich die Stimmung zusammenfassen, gestern abend bei den Koalitionspartnern SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Liste der abzuhandelnden Punkte ist lang. Ganz oben ein Bündnis für Arbeit, die ökologische Steuerreform und die zukünftige Wirtschaftspolitik. Zum Stand der Verhandlungen aus Bonn Ulrich Kremer.

    Kremer: Schon gestern abend haben der zukünftige Bundeskanzler Schröder und sein voraussichtlicher Außenminister Joschka Fischer in ihrer Eigenschaft als Chefunterhändler in ihrer rot-grünen Verhandlungsdelegation zum Koalitionsvertrag für das zukünftige Regierungsbündnis deutlich gemacht, daß die für heute angesetzte dritte Runde zur Mittagszeit am selben Ort wohl schwieriger werden dürfte als alles bisher schon erreichte. Denn gestern abend hatte man sich noch auf politische Grundsätze einigen können, was nach Auskunft beider Seiten auch schon nicht ganz reibungslos verlaufen ist. Heute dagegen müssen die Grundsätze mit verbindlichen Verabredungen über ganz konkrete Politikschritte angereichert werden, was praktisch bedeutet, daß beispielsweise der Einstieg in eine ökologisch gewichtete Steuerreform jetzt ausgestaltet und auch finanziert werden muß. Geld ist ja praktisch keines mehr in den Bundeskassen, und sicher scheint auch zu sein, daß die abgewählte Bundesregierung ihren Nachfolgern nach den ersten schnellen Analysen Haushaltsrisiken von mehr als 20 Milliarden Mark hinterlassen hat. Und zusätzliche Neuverschuldungen läßt das Gesetz auch nicht zu, so daß beispielsweise der ökologische Einstieg in eine große Steuerreform praktisch nur über Umschichtungen finanziert werden kann. Was bedeutet, daß etwa auch eine von allen verabredete Senkung der Lohnnebenkosten, zum Beispiel durch Einführung einer gemäßigten Energiesteuer oder auch durch die Erhöhung der Benzinpreise, finanziert werden müßte. Und der über das beschlossene Bündnis für Arbeit forcierte Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sowie der sogenannte Aufbau Ost müssen finanziert werden. Auf diesem politischen Minenfeld will man heute also nach ersten Durchgängen und Lösungen suchen und sie natürlich auch finden. Wobei Schröder als Kanzler in spe sich gestern abend auch zuversichtlich zeigte, diese schwierigen Probleme mit seinen zukünftigen grünen Koalitionspartnern auch in den Griff zu bekommen und, ebenso wichtig aus seiner Sicht, dazu noch die ohnehin nicht reichlichen Versprechen aus Wahlkampfzeiten ebenfalls einhalten zu können. Dazu gehört, man weiß es, vor allem die Anhebung des Kindergeldes von 220 auf 250 Mark und eine jährliche Steuerentlastung der Durchschnittsfamilie um etwa 2000 Mark. Und außerdem wollen die Koalitionäre bereits von den Vorgängern beschlossene Reformteile wieder rückgängig machen, was ebenfalls Geld kosten dürfte.

    Engels: Das war aus Bonn Ulrich Kremer und mitgehört hat Siegmar Mosdorf, Wirtschaftsexperte in der SPD-Fraktion. Guten Morgen!

    Mosdorf: Morgen, Frau Engels!

    Engels: Herr Mosdorf, die Einigung auf Grundzüge einer ökologischen Steuerreform und auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik wurde gestern als erster großer Durchbruch verkauft, bei den Koalitionsverhandlungen. Ist das ein wirklicher Durchbruch oder nicht eher eine Selbstverständlichkeit?

    Mosdorf: Sie müssen sehen, die Lage ist auf dem Arbeitsmarkt dramatisch. Wir haben turbulente Finanzmärkte. Wir haben erhebliche Defizite in der deutschen Wirtschaft und im Staat: Das heißt wir haben schon eine ganze Menge an Hypotheken, und da ist es nicht einfach, zumal in diesem wichtigen Feld der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik, wo es um sehr seriöse Grundlagen geht, eine Einigung zwischen den Grünen und uns ja sozusagen das erste mal in dieser Tiefe auch verhandelt wird. Deshalb glaube ich, daß das Ergebnis und daß die Schritte, die wir jetzt vollzogen haben, ein positives Zeichen sind für die Konstruktion, für die konstruktive Haltung beider Seiten

    Engels: Interessant ist ja für den Bürger was hinten rauskommt, wie man so schön sagt. Sprich: Wieviel Geld muß eine ökologische Steuerreform realistisch bringen, um Nebenkosten, Lohnnebenkosten spürbar zu senken?

    Mosdorf: Also, wir haben immer gesagt, und da gab es auch einen Differenzpunkt zu den Grünen, daß wir angesichts der höchsten Steuerabgabequote in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht für Steuererhöhung sind. Sie wissen, daß ein Teil der Grünen gerne einen Teil des Aufkommens - das entsteht durch die ökologische Steuerreform - im Haushalt belassen würde. Wir haben immer gesagt: "Eine intelligente ökologische Steuerreform muß erstens vorsichtig sein und zweitens muß sie strikt aufkommensneutral sein." Das heißt, alles was auf diesem Wege eingenommen wird, muß in jedem Falle zur Senkung der Belastungen auf dem Faktor Arbeit, denn das ist sozusagen die Conditio, die wir haben, verwendet werden. Wir wollen alles tun, damit die Arbeitslosigkeit abgebaut wird.

    Engels: Können Sie diese Bedingungen, diese Conditio - wie Sie sagen - aufrecht erhalten bei einem Milliardenloch von mindestens 20 Milliarden? Zeitungen sprechen heute von möglicherweise sogar 40 Milliarden.

    Mosdorf: Die Risiken sind dramatisch hoch, das ist keine Frage und Sie haben ja gehört, gestern haben unsere Finanzexperten eine erste Recherche gemacht, und wir werden natürlich über den Haushalt '99 neu reden müssen. Aber völlig klar ist: Wir werden alles tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das heißt nicht Steuererhöhung, sondern Steuersenkung, und das heißt, daß man versuchen muß, die Zinsen zu senken, und das heißt, daß man versuchen muß, alles zu tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Denn das Hauptziel von Sozialdemokraten und von Grünen ist, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu senken. Und wenn man dann mit dem Instrument der ökologischen Steuerreform erreichen könnte, daß der Faktor Arbeit entlastet wird, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden, dann entlastet das vor allem Handwerker und Mittelstand.

    Engels: Wenn Sie sagen, daß die Rahmenbedingungen auf jeden Fall verbessert werden sollen, wird die SPD dann auch bereit sein, möglicherweise eine höhere Verschuldung im Bundeshaushalt für eine Zeit zumindest einzukalkulieren, zu akzeptieren, um der Wirtschaft diesen Vorlauf überhaupt geben zu können?

    Mosdorf: Das ist sehr schwierig. Sie müssen sehen, die ausscheidende Bundesregierung hat die Staatsverschuldung jetzt schon sehr, sehr hoch getrieben. Wir haben heuten fast über zwei Billionen Mark Staatsschulden und müssen jedes Jahr fast 90 Milliarden nur für Zins und Tilgung ausgeben. Deshalb bin ist strikt dagegen, daß man die Staatsverschuldung weiter nach oben treibt. Erstens ist es unverantwortlich gegenüber den zukünftigen Generationen, und zweitens gibt es eine klare Marke , eine klare Prämisse. Wir haben die Pflicht, auf keinen Fall mehr an Schulden zu machen, als wir an Investitionen ausgeben wollen.

    Engels: Aber ist das nicht ein Widerspruch, der da entstehen wird in der Realität?

    Mosdorf: Nein, deshalb nicht, weil

    Engels: Entlasten, und gleichzeitig nicht mehr Schulden machen können?

    Mosdorf: Nein, Frau Engels. Deshalb nicht, weil es ja mehr als zwei Alternativen gibt. Es gibt ja nicht nur die Frage: Was können wir sozusagen bei den Steuern senken, um die Rahmenbedingungen ökonomisch zu verbessern? Und auf der anderen Seite: Was gibt es an Staatsschulden? Und es gibt ja auch die Möglichkeit den Staatshaushalt zu durchforsten. Das heißt, Sie können auch zielgenauer operieren. Sie können, müssen auf Einsparungen setzen und auf ähnliche Dinge mehr

    Engels: Beispiele?

    Mosdorf: Beispiele: Im Subventionsbereich, zum Beispiel. Ich sage Ihnen einen weiteren Punkt: Daß jetzt Santer, Präsident der europäischen Kommission von sich aus anbietet, daß man den deutschen Anteil für die Europäischen Gemeinschaft senkt, ist ein klares Indiz dafür, daß die Bundesregierung bisher versagt hat. Wir haben immer gesagt, wir sind für die europäische Integration. Wir wollen alles tun, damit auch andere Länder sich sozusagen der ökonomischen Entwicklung anpassen können und haben dazu auch Finanzhilfen zugesagt.

    Engels: Das würde aber bedeuten: Agrarkosten in Zukunft aus dem nationalen Haushalt. Das heißt, da gibt's wieder neue Ausgaben.

    Mosdorf: Nein, im Gegenteil. Sie müssen ja sehen, die 50 Prozent EU-Etat, die für Agrarkosten ausgegeben werden, landen nicht in Deutschland. Es geht um den Nettobeitrag der Deutschen. Wir zahlen 22 Milliarden. Dieses ist 1993 im Vereinigungsboom verhandelt worden, als die Nachbarstaaten alle in der Rezession waren. Ökonomisch unverantwortlich für fünf Jahre festgelegt worden, und jetzt geht es um den Zeitraum von 2000 bis 2004. Und wenn Santer anbietet, daß der deutsche Anteil um 7 Milliarden sinken kann, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Aber Sie sehen daran, daß dies allein der Regierungswechsel bewirkt hat, daß man in Brüssel darüber nachdenkt, wie man den deutschen Anteil verändern kann. Das ist ein ganz wichtiger Punkt der Rahmenbedingungen, wenn Sie sich vorstellen, wie unser Haushalt aussieht.

    Engels: Herr Mosdorf, die Ostparlamentarier in der SPD sind in Aufruhr. Sie fürchten neue Belastungen für den Aufbau Ost, zum Beispiel auch im Rahmen einer ökologischen Steuerreform, und sie fordern Sonderregelungen für den Osten. Sind die sinnvoll?

    Mosdorf: Also, bei einer ökologischen Steuerreform bin ich der Auffassung, daß man ohnehin energieintensive Betriebe, daß man für energieintensive Betriebe Ausnahmeregelungen schaffen muß, das ist keine Frage. Wir wollen ja die Wettbewerbsbedingungen nicht verschlechtern, sondern verbessern. Deshalb muß es in dem Bereich Ausnahmeregelungen geben, aber nicht nur für Ostdeutschland. Es gibt auch in Westdeutschland energieintensive Branchen, wo man sehr genau aufpassen muß, damit keine negative Wettbewerbsverschiebung stattfindet. Ansonsten muß es natürlich eine Reihe von speziellen Programmen für Ostdeutschland geben, weil die Arbeitslosigkeit, auch die Jugendarbeitslosigkeit dort dramatisch hoch ist.

    Engels: Die SPD wie auch die Grünen treten an, Subventionen abzubauen. Ist das in Einklang zu bringen?

    Mosdorf: Ja, das ist in Einklang zu bringen. Ich bin dafür, daß wir einen Grundsatz festlegen. Den Grundsatz nämlich, daß wir von vornherein bei jedem Programm, das Fördermittel vorsieht, einen Endzeitpunkt festlegt und ein degressives Auslaufen festlegt. Sie kommen von keiner Förderung, von keiner Subvention mehr runter, wenn Sie nicht einen Endzeitraum und einen Fixpunkt festlegen und ein degressives, also staffelweises Zurückführen festlegen. Und es gibt einen zweiten Punkt, Frau Engels, den ich sagen will: Ich bin auch dafür, daß wir einen Grundsatz markieren, in diesen Koalitionsgesprächen, der sagt, in Zukunft werden alle Privatisierungserlöse, wenn der Staat privatisiert, nicht mehr zum Stopfen von Haushaltslöchern genommen, sondern für Zukunftsinvestitionen reserviert. Wir haben immer gesagt, daß wir das Zurückfallen Deutschlands in den technologischen Bereichen aufholen wollen, deshalb auch den Forschungs- und Technologieetat erhöhen wollen. Das geht nur, wenn wir bereit sind, die Privatisierungserlöse der Zukunft, da wird ja Tafelsilber verkauft - manche Dinge sind sinnvoll. Es muß nicht alles der Staat machen - aber in dem Bereich alle Erlöse dann auch wirklich in Zukunftsinvestitionen zu stecken. Das sind so mehrere Grundsätze, Frau Engels. Also: Subventionen zeitlich fixieren und degressiv auslaufen lassen, mechanisch, automatisch, damit man nicht unter Lobbydruck kommt und zweitens Privatisierungserlöse immer nicht zum Haushaltslöcherstopfen nehmen, sondern für Zukunftsinvestitionen.

    Engels: Mecklenburg-Vorpommern befürchtet, daß mit Unterstützung Schröders und Niedersachsens die neue Airbus-Fertigung nach Hamburg, statt nach Rostock gehen könnte. Ist das ein ermunterndes Zeichen für den Vorrang Aufbau Ost?

    Mosdsorf: Nein, das muß man sich sehr genau ansehen. Also, da kenne ich die Faktenlage ziemlich genau, das ist eine sehr komplizierte Entscheidung.. Sie müssen sehen, daß Hamburg ja schon sehr, sehr stark engagiert ist, auf diesem Feld. Und wenn natürlich dann Entscheidungen, sozusagen Standortentscheidungen implizieren, daß in Hamburg alles wegfällt, dann muß man das sehr behutsam machen. Auf der anderen Seite ist klar, daß Rostock natürlich auch von den Voraussetzungen her sehr, sehr gute Bedingungen hat, und da würde ich mich jetzt im Moment auch nicht festlegen. Da muß man sehr genau hinschauen und darf ja auch nicht wahlpolitisch irgendwie mit der Trompete herumwedeln, nach dem Motto: Gebe ich denen etwas, nehme ich denen etwas weg. Muß man sehr genau ansehen, ist eine sehr wichtige Entscheidung.

    Engels: Namen sind in diesen Zeiten Programm. Gehen Sie als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium?

    Mosdorf: Diese Entscheidungen werden ganz am Ende der Koalitionsverhandlungen getroffen. Wir haben eine ganze Reihe von sachlichen Fragen noch zu klären. Die Verhandlungen laufen sehr gut, und Gerhard Schröder hat gesagt, daß am Schluß, bevor es dann sozusagen zum formellen Abschluß kommt und auch zur Kanzlerwahl kommt, diese Personalfragen geklärt werden.

    Engels: Dann werden Sie auch mehr wissen. Rot -grüne Koalitionsgespräche, das war der SPD-Wirtschaftsexperte Siegmar Mosdorf. Vielen Dank für das Gespräch.