Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Knalltrauma
Störendes Taubheitsgefühl

Es reicht schon ein einziges lautes Geräusch, um das Ohr zu schädigen und das Hören zumindest vorübergehend zu beeinträchtigen. Wie schwer die Schädigung ist, kann nur ein Arzt bestimmen. Entscheidend für die Heilung ist, dass eine Behandlung zeitnah beginnt.

Von Andrea Westhoff | 27.12.2016
    Silvester in der Stadt: Am letzten und am ersten Tag des Jahres machen die Deutschen laute Sachen.
    An Silvester sind laute Geräusche absehbar. Ein Knalltrauma kann unangenehme Folgen haben. (picture alliance / ZB)
    Dauerhafter Lärm macht bekanntlich krank. Aber manchmal reicht auch schon ein winziger Krach-Moment. Ein Schuss, heftiges Gebell ganz nah am Ohr, Silvesterböller, ein Jet und sogar lautes Türenschlagen können genügen, um ein Knalltrauma auszulösen, sagt Dr. Steffen Knopke aus der HNO-Klinik der Berliner Charité:
    "Ein Knalltrauma ist eine akute Lärmschädigung des Ohres, letztendlich wird ein lautes Geräusch oder ein Knall vom äußeren über das Mittelohr auf das Innenohr übertragen. Die Schalldruckwelle wird dort auf Flüssigkeit übertragen, die wiederum eine Auslenkung der sogenannten Haarzellen im Innenohr bewirkt. Bei einem sehr, sehr starken Schalldruckpegel, über 150 dB, von unter zwei Millisekunden, kommt es zu einer mechanischen, aber auch zu einer chemischen Schädigung."
    Richtig lauter Krach kann nicht nur Risse in der sogenannten Basilarmembran verursachen, die sich in der Hörschnecke im Innenohr befindet. Er stört auch die komplizierten chemischen Prozesse, mit denen Nervenimpulse an das Gehirn geschickt werden, damit man überhaupt etwas "hört". Bei einer "Einwirkzeit" von über zwei Millisekunden spricht man nicht mehr vom Knall-, sondern vom Explosionstrauma.
    "Ein Explosionstrauma ist eine intensivere Art der Schädigung, und hier besteht die Gefahr des Fortschreitens der Hörstörung. Ein Explosionstrauma kann wehtun, weil dort das Trommelfell reißt."
    "Wattegefühl im Ohr"
    Beim eigentlichen Knalltrauma ist die Symptomatik insgesamt eine andere:
    "Typischerweise tut es nicht weh, weil das Innenohr selbst nicht schmerzempfindlich ist, beim Knalltrauma empfindet der Patient ein Vertäubungsgefühl, ein 'Wattegefühl' im Ohr, das Gefühl, nichts mehr zu hören, ganz klar ein sofort einsetzendes Ohrgeräusch, Tinnitus, meist als Pfeifen, ohne Auftreten von Schwindel, ohne Blutung aus dem Ohr oder ähnliche Dinge."
    Nach dem großen Knall hört sich zum Beispiel der Wetterbericht im Radio nicht mehr so an: "Winterwetter bestimmt unser Wochenende", sondern eher so:
    "Winterwetter bestimmt unser Wochenende."
    Manchmal kann es neben dem Taubheitsgefühl auch zu einer größeren Geräuschempfindlichkeit kommen. Dr. Steffen Knopke
    "Das nennt sich Hyperakusis, – 'hyper' für zu viel hören – das ist für die Patienten sehr, sehr unangenehm, das zu laut wahrnehmen, zum Beispiel normale Alltagsgeräusche als schmerzhaft zu empfinden."
    Ein Knalltrauma droht – wie gesagt – nicht nur beim Silvesterfeuerwerk. Schon ein platzender Autoreifen oder Airbag, nahe Blitzeinschläge oder sogar eine Ohrfeige können Auslöser sein. Und besonders bei Kindern gibt es weitere, oft unterschätzte Gefahren, sagt die Toningenieurin und Lärmforscherin Susanne Neyen vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen in Berlin.
    Eine genaue Diagnose sollte erfolgen
    "Spielzeugpistolen, die haben auch über 100 Dezibel, und das sind schon gefährliche Werte. Kinder spielen dann irgend eine Filmszene nach, ganz nah neben dem Ohr lassen die das knallen, und da gibt's viele Fallbeispiele, schon die Quietscheente, die man dem Baby ans Ohr hält, kann einen Hörschaden nach sich ziehen, es ist, als ob man es in die Disco mitnimmt. Oder der Kuss aufs Ohr, ja, die meisten wissen es einfach nicht, und daraus resultiert das falsche Verhalten."
    Und weil es so viele hörschädliche Knallereignisse gibt, sollte immer eine genaue Diagnostik erfolgen, rät der HNO-Arzt Steffen Knopke. Denn vor allem die Unterscheidung zum Explosionstrauma ist wichtig für die Behandlung:
    "Was sagt der Patient dem Arzt, wie kam es zu diesem plötzlichen Hörverlust? Alles stützt sich auf die Krankengeschichte und die klinische Untersuchung. Davon abhängig wird der Arzt einen Hörtest anfertigen und dann entscheiden, welche Art der Schädigung vorliegt."
    Behandlung oft mit Infusionen
    "Eintausend Hertz – zweitausend – dreitausend – viertausend, das ist der Bereich, der am empfindlichsten reagiert bei Lärmeinwirkung."
    "Wir haben im Hörtest diesen klassischen Bereich bei viertausend Hertz, es können auch andere Frequenzen betroffen sein, und haben wir alle diese Komponenten zusammen, sprechen wir von einem Knalltrauma, und die entsprechende Behandlung wird eingeleitet."
    In der Regel sind das Infusionen, erklärt Dr. Steffen Knopke:
    "Haben wir ein Knalltrauma nachgewiesen, dann ist die Empfehlung heute, zu einer Therapie mit Kortison, über die Vene in hohen Dosen, es gibt Kortison-Rezeptoren im Bereich des Innenohres, aber vielmehr: Kortison hat eine membranstabilisiernde Funktion auf neurale Strukturen und eine Abschwellung. Es gibt auch verschiedene alternative Ansatzmethoden, die aber von den verschiedenen Fachgesellschaften im Augenblick nicht als Stand der Wissenschaft empfohlen werden."
    Die Diagnose ist individuell zu stellen
    In seltenen Fällen ist sogar eine Operation nötig, etwa, wenn sich eine Fistel im Innenohr gebildet hat. Insgesamt hat man bei einem richtig und rechtzeitig behandelten Knalltrauma gute Chancen, dass die Störung ungefähr nach sechs Wochen wieder verschwindet.
    "Die Prognose ist individuell zu stellen. Letztendlich hängt es von der Ausprägung der Schädigung ab, wobei auch durchaus sein kann, dass auch eine schwere Schädigung, eine hochgradige Schädigung, komplett zurückgehen kann und eine leichte Schädigung eben nicht. Wichtig ist, dass eine Behandlung zeitnah anfangen muss, das heißt, spätestens am nächsten Tag, und das entscheidet definitiv die Prognose. Eine Behandlung erst nach ein oder zwei Wochen anzufangen, sollte dringend vermieden werden."
    Man muss also etwa in der Silvesternacht nicht unbedingt gleich in die Notaufnahme gehen. Manchmal verschwindet die typische Taubheit ein, zwei Stunden nach dem Knall auch von selbst. Besser wäre es noch die Ohren mit Schaumstoffstöpseln zu schützen – mindestens in solchen Situationen, in denen plötzliche, sehr laute Geräusche zu erwarten sind. Damit das Feuerwerk wirklich nur das alte Jahr oder böse Geister vertreibt – und nicht die Hörfähigkeit.