Knoke vs. Müller Urwald oder Holzplantage: Muss der Wald wilder werden?
Deutschland ist Waldland. Etwa ein Drittel der Landesfläche ist von Bäumen bewachsen, Tendenz steigend. Die Deutschen lieben ihren Wald so naturnah und urwüchsig wie möglich. Doch Holzwirtschaft, Jagd und Freizeitgestaltung stören dieses Idealbild. Viele wünschen sich mehr Wildnis im Wald. Ist das der richtige Weg?
Eine zugespitzte Frage, zwei Gäste, zwei konträre Positionen – dazu eine Moderatorin oder ein Moderator und ein weites Themenspektrum, jeden Samstag um 17.05 Uhr. Das ist das Konzept der neuen Sendung. Sind wir zu politisch korrekt? Passen Religion und Aufklärung zusammen? BER und Stuttgart 21 – hat Deutschland das Bauen verlernt? Den Streit wert sind Kunst und Musik, Glaube und Wissenschaft, Lebensstil und politische Kultur. Eine gleich bleibende Debattendramaturgie sorgt für klare Standpunkte, dann folgen echter Austausch, Abwägen und gemeinsames Nachdenken. Im besten Fall wird der Titel so eingelöst, dass wir genau das vorführen: Streit-Kultur.
Wie soll der Wald in Deutschland sich entwickeln? (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Bevor der Mensch immer stärker die Natur gestaltete, wuchsen in Mitteleuropa dichte Buchenwälder. Sie bedeckten über neunzig Prozent der Fläche. Weit weniger Hirsche und Rehe als heute streiften durch das Dickicht. Nicht Jäger bedrohten ihre Existenz, sondern Raubtiere wie der Wolf. In verschiedenen Nationalparks in Deutschland soll die die Natur jetzt wieder frei schalten und walten können. Arten, die in den letzten Jahrhunderten von der Forstwirtschaft verdrängt wurden, kehren Schritt für Schritt zurück. Im Herzen Europas entsteht eine neue Wildnis, die jedoch nicht nur auf Zuspruch stößt. Ob und wie viel Wildnis wir uns leisten können, wird unter Forstexperten kontrovers diskutiert. Muss der Wald wilder werden?
"Ja", sagt Professor Jörg Müller, Stellvertretender Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, Sachgebiet: Naturschutz und Forschung.
"Der Wald muss zwar nicht wilder werden, aber viele Menschen wünschen es sich, und ich wünsche es mir natürlich auch. Dadurch würde es vielen Arten, die in den letzten 200 Jahren durch saubere und moderne Waldwirtschaft an den Rand gedrängt wurden, wieder besser gehen. Aus Sicht der Artenvielfalt haben wir 200 Jahre die Wälder auf Ertrag getrimmt, und dabei sind viele Strukturen verloren gegangen. Wenn sich diese Arten wieder frei entwickeln können und wenn wir Menschen das Wort Katastrophe in den Mund nehmen, dann entstehen tolle Strukturen im Wald, an die diese seltenen Arten gebunden sind."
Prof. Dr. Jörg Müller (Forstwissenschaftler) (Foto: privat)
"Nein", meint Professor Thomas Knoke, Fachgebiet für Waldinventur und nachhaltige Nutzung, Technische Universität München.
"Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Menschheitsgeschichte geprägt ist von einer Kultivierung. Wir haben den Wald zurückgedrängt. Und dann ist es auch durch die Landwirtschaft möglich geworden, den Wohlstand, den wir heute haben, zu entwickeln. Und dieser Wohlstand macht es überhaupt erst möglich, jetzt darüber nachzudenken, ob man wieder Wildnis einführen kann. Ich denke, man müsste so formulieren: Unser Wald kann wilder werden, wenn dadurch andere Dinge nicht beeinträchtigt werden. Aber so lange unser Ressourcenverbrauch so hoch ist, glaube ich, dass wir wenig Chancen haben, durch Wildnis etwas zu verbessern. Im Gegenteil: Es besteht dadurch die Gefahr, dass wir dadurch Umweltschäden anderenorts provozieren."
Prof. Dr. Thomas Knoke (Forstwissenschaftler) (TU München)