Heinlein: Herr Vesper, sind Sie ein Politclown?
Vesper: Nein, das bin ich nicht und ich glaube, das sind auch generell Bezeichnungen, die man in einer solchen Lage zu vermeiden versuchen sollte, weil sie anspitzen, wo das gar nicht nötig ist und wo die Probleme, die diesem Streit zugrunde liegen, sehr viel größer sind, als dass man sie mit solchen flapsigen Bemerkungen bezeichnen könnte.
Heinlein: Haben Sie eine Erklärung, warum SPD-Landeschef Harald Schartau diese Bezeichnung unter viel Beifall gegenüber einigen Genossen in Bezug auf die Grünen gefunden hat?
Vesper: Ich weiß nicht, ob er es getan hat, wenn er es getan hat, manchmal sagt man ja Dinge im internen Kreis, die man nicht so gerne draußen hören möchte, aber ist das nicht angemessen, weil wir im Moment wirklich vor gewaltigen Problemen stehen und zwar nicht dieser Koalitionsstreit ist da gemeint sondern es geht ja um viel wichtigere existenzielle Fragen, nämlich um die Frage, wie wir in den nächsten Jahrzehnten unsere Sozialsysteme erhalten können angesichts der demographischen Entwicklungen, und wie wir es schaffen, dass der Staat auf all seinen Ebenen, also Bund, Länder und Gemeinden, seine Hauhalte so konsolidiert, dass die Kernaufgaben nicht vernachlässigt werden müssen. Um diese Fragen geht es im Kern und alles andere, was das im Moment diskutiert wird, sind meines Erachtens Nebenkriegsschauplätze, haben mit dem eigentlichen Problem, das wir zu lösen haben, wenig zu tun.
Heinlein: Die Probleme sind klar, Herr Vesper, glauben Sie denn, dass die SPD weiter gewillt ist, diese Probleme mit Ihnen, den Grünen, zu lösen?
Vesper: Ich denke ja, ich hoffe ja. Sie haben es ja eben gesagt, bei unserem Landesparteitag am vergangenen Wochenende haben wir ein klares Bekenntnis dazu abgegeben, dass wir diese Koalition wie vereinbart bis 2005 fortsetzen wollen und es wäre sicherlich hilfreich, wenn auch die sozialdemokratische Seite sich so klar äußern würde, damit wir uns dann wirklich mit den Problemen beschäftigen können.
Heinlein: Warum wollen Sie denn unter allen Umständen mit der SPD weitermachen, wenn es menschlich und politisch so schwierig ist?
Vesper: Nein, wir wollen nicht unter allen Umständen mit der SPD weitermachen sondern wir haben einen Auftrag bekommen von den Wählern und Wählerinnen im Jahre 2000 bei der Landtagswahl, diese Koalition zu machen, haben einen Kollationsvertrag mit der SPD geschlossen, der bis zum Jahre 2005 gilt und es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, die wir noch vor der Brust haben. Diese Koalition hat erheblich besser gearbeitet, als das im Moment in den Kommentaren zum Ausdruck kommt.
Heinlein: Wo liegt denn Ihre Schmerzgrenze, Herr Vesper, wo wäre für Sie endgültig Schluss?
Vesper: Ich glaube, dass das eine falsche Sichtweise ist, zu fragen, wo die Schmerzgrenze ist, sondern sie Sichtweise muss sein: welche Probleme haben wir vor der Brust, welche Probleme müssen wir lösen und wir müssen in der Tat, da gebe ich Ihnen recht, von dem Bild der Streitkoalition weg, weil ein solches Bild weder rote noch grüne Wähler besonders anzieht, sondern eher abstößt. Darum muss es darauf ankommen, jetzt schleunigst dieses Bild abzulegen und ein Bild einer Lösungskoalition, einer Reformkoalition, die wirklich an den wichtigen Problemen dran ist, zu schaffen.
Heinlein: Wie dynamisch ist denn noch diese Koalition? Ihre Kabinettskollegin Bärbel Höhen hat ja auch von Ermüdungserscheinungen gesprochen.
Vesper: Nein, diese Koalition ist gewillt, die Probleme, vor denen wir stehen, anzugehen. Sehen Sie, wir schreiben heute den 26. Mai. Vor sechs Monaten, am 26. November 2002, war Peer Steinbrück gerade neu zum Ministerpräsidenten gewählt, das neue Kabinett gebildet, da gab es Euphorie pur, da haben wir alle von einem Neustart gesprochen. Und ich glaube, dass wir wieder in eine solche Situation hineinkommen müssen, dass wir uns sputen müssen, den Menschen klarzumachen, dass wir die Probleme lösen wollen, dass wir zwar Konflikte haben, wie das in jeder Koalition der Fall ist, dass es uns aber im Kern darauf ankommt, die von mir eben zitierten Themenstellungen existenzieller Art für diese Gesellschaft wirklich angehen zu wollen.
Heinlein: Ist das ein Appell an die SPD und an die Herren Steinbrück und Schartau?
Vesper: Das ist ein Appell an alle Beteiligten, aber sicherlich auch an die von Ihnen genannten. Wissen Sie, im Moment erlebe ich das ein bisschen so, dass wir Grünen zum Sündenbock gemacht werden sollen für die schwierige Lage, in der die SPD sich derzeit befindet. Normalerweise ist es besser, wenn man einen Außendruck, der ja gewaltig ist, der Problemdruck, wenn man ihn nicht nach innen richtet und versucht, weiterzugeben, sondern wenn man ihn dazu nutzt, gemeinsam ihm standzuhalten und Ideen zu entwickeln, wie man diese Themen bearbeiten kann.
Heinlein: Glauben Sie, Herr Vesper, dass ab dem kommenden Sonntag, wenn die SPD höchstwahrscheinlich die Reformagenda verabschiedet hat, die Nerven bei der SPD wieder ein bisschen beruhigt sind und dann Rot-Grün auch in Düsseldorf gemeinsam weiterarbeiten kann?
Vesper: Ich kann das nur hoffen, dass die Nerven sich dann etwas beruhigen. Ich habe mir jedenfalls zum Prinzip gemacht, je nervöser meine Umgebung ist, desto ruhiger und gelassener zu sein. Deswegen bin ich optimistisch, dass uns das, was wir jetzt lösen müssen, was wir im Übrigen auch gemeinsam verabredet haben am vergangenen Montag, dass wir das jetzt umsetzen können. Das schwierigste, was wir lösen müssen, ist die Bewältigung einer Haushaltslage, die desaströs ist, das wird Handlungsfähigkeit verlangen, um dieses Problem zu lösen und deswegen brauchen wir einen Partner, dessen Nerven nicht flattern, sondern der sehr ruhig und bestimmt und konstruktiv in diese Auseinandersetzung geht.
Heinlein: Und deshalb sind Sie auch sicher, dass Sie im Sommer weiterhin Minister sind?
Vesper: Ich gehe davon aus, dass wir unseren Wählerauftrag bis 2005 erfüllen und dann einen spritzigen und erfolgreichen Wahlkampf führen.
Heinlein: Michael Vesper war das heute morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Vesper, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Düsseldorf.
Vesper: Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio